Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Mission des Mafia-Jägers

Roberto Scarpinato warnt Deutschland vor einer Unterwanderung durch kriminelle Banden.

Von Markus Zydra

Roberto Scarpinato, 67, erzählt bei seinen Auftritten oft dieselbe Geschichte. Doch seine Redundanz erzeugt keine Langeweile, sie macht aber Angst. Der leitende Oberstaatsanwalt der Anti-Mafia-Direktion in Palermo warnt Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt vor kriminellen Banden, zuletzt bei einem Symposium zu Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.

Scarpinato, Sohn eines Richters, trug einen dunklen Anzug, sein ergrautes Haar, fast schulterlang, war nach hinten gekämmt. Seine Bodyguards waren in der Nähe, als er mit tiefer sonorer Stimme loslegte. Auf Italienisch, einen Dolmetscher zur Seite. Deutschland sei ein "Geldwäscheparadies" sagte er. Die Kriminellen würden ihr illegal erworbenes Geld investieren, in Immobilien und Restaurants. Es drohe Schlimmes. "Die Mafia kann Deutschland angreifen so wie den Norden Italiens. Dort wurden Steuerberater, Unternehmen und Politiker verurteilt", erzählte Scarpinato. Die Demokratie werde unterwandert und korrumpiert, die Mafia operiere wie ein globaler verschworener Großkonzern. "Die unternehmerische Mafia verdrängt rechtschaffene Firmen, auch in der Baubranche. Deutsche Ausschreibungen sind von der Mafia sehr einfach zu unterbieten."

Scarpinato trägt dies alles mit wenig Pathos vor. Mag sein, dass der Italiener ein wenig resigniert hat. Er und seine Mafia-Jäger aus Italien fühlen sich viel zu oft von Deutschland im Stich gelassen. Das beginnt bei der Rechtslage. In Deutschland darf man bis heute Immobilien mit Bargeld bezahlen - in Italien wie auch anderen EU-Staaten ist das verboten. Ein Einfallstor, um kriminelle Gelder zu waschen. Auch bei der Bezahlung von Schmuck und Autos fließt in Deutschland viel zu oft Bargeld, dessen Herkunft zweifelhaft ist. Ähnliches passiert im Glücksspielbereich. Hiesige Juweliere, Notare, Autohändler und Juweliere melden verdächtige Geschäfte viel zu selten. Gleichzeitig stapeln sich Tausende unbearbeitete Verdachtsmeldungen von Banken bei der behördlichen Sammelstelle Financial Intelligence Unit (FIU).

Und auch das ist strenger in Italien: Dort darf die Justiz Vermögen sofort beschlagnahmen, wenn der Verdächtige Mitglied der Mafia ist. Die Verdächtigen müssen dann nachweisen, dass sie das Geld auf legale Weise erworben haben. Diese Beweislastumkehr gibt es in Deutschland nicht.

Die Mafia hat mit ihren Milliardengeschäften Fuß gefasst in der deutschen Gesellschaft, was die Öffentlichkeit aber nur sporadisch bemerkt. Etwa nach dem Mafiamord von Duisburg 2007 mit sechs Toten. Oder nach der Festnahme von 'Ndrangheta-Mitgliedern im Jahr 2018. Diese Menschen hatten viele Jahre in Stuttgart und Umgebung ein vermeintlich rechtschaffenes Leben geführt, teilweise mit guten Verbindungen in die Politik.

Scarpinato fragt sich, warum Deutschland nicht stärker gegen die organisierte Kriminalität vorgeht. Er weiß, was passieren kann, wenn die "Krake" zu groß wird. Der Jurist arbeitete ab 1988 mit den Richtern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino zusammen. Sie waren seine Lehrer. Nach ihrer Ermordung 1992 übernahm er die Mafia-Verfahren. Im Prozess gegen den siebenmaligen italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti trat Scarpinato als Chefankläger auf. Der Italiener riskiert viel für seinen Kampf, er steht seit 30 Jahren unter Personenschutz und entging vier Attentaten.

Die Macht der Mafia wachse, wenn sie Milliarden Euro in Deutschland und Europa investiere und dadurch ihren Einfluss auf Wirtschaft und Politik stärke. Scarpinato fordert einheitliche Gesetze für Europa. Allein auf nationaler Ebene könne man die globalisierte organisierte Kriminalität nicht besiegen.

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Quelle:
SZ vom 16.12.2019
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