Nahaufnahme:Kopf schlägt Kapital

Nahaufnahme: "Businesspläne erweisen sich zu etwa 70 Prozent als falsch. Kein Wunder, dass so viele scheitern." Günter Faltin.

"Businesspläne erweisen sich zu etwa 70 Prozent als falsch. Kein Wunder, dass so viele scheitern." Günter Faltin.

(Foto: dpa)

Günter Faltin ist Wirtschaftsprofessor und Firmengründer. Er setzt auf simple, aber genau durchdachte Geschäftsideen und hilft seinen "Ideenkindern".

Von Christopher Eichfelder

In seiner Jugend war Günter Faltin, 70, so etwas wie ein Schmuddelkind. Die Dinge, die ihn damals sehr interessierten, die las man besser heimlich unter der Schulbank. Mit 14 machte er die ersten eigenen Erfahrungen mit dem "Tabuthema": Er kaufte Aktien. Zu einer Zeit, in der Kapitalisten in seinem Umfeld gar nicht gut ankamen. Faltin aber faszinierten die großen Visionäre der Wirtschaftswelt. Henry Ford und Andrew Carnegie hatten es ihm besonders angetan, die kreativen Gründerikonen eben. Dass er anfing Ökonomie zu studieren, war deshalb nur folgerichtig. Was er aber in den Hörsälen von St. Gallen und Tübingen erlebte, hatte mit den Geschichten der waghalsigen US-Gründer nicht viel zu tun. Alles war aus seiner Sicht mit mathematischen Formeln konterkariert - "mit Praxis hatte das überhaupt nichts zu tun".

Faltin wollte eine andere Herangehensweise an die Ökonomie. Weniger Betriebsrechnung, mehr Innovationsgeist. Den brachte er 1977 auch an die Freie Universität Berlin. Faltin baute dort den Fachbereich Entrepreneurship auf, Unternehmertum im besten Sinne. Dann bemerkte der Ökonomieprofessor einen entscheidenden Fehler im System: "Wer nicht selbst gründet, kann es eigentlich gar nicht richtig lehren." Also sprang er ins kalte Wasser. Und wurde selbst Entrepreneur.

Als praxisfremder Wissenschaftler wurde Faltin eher belächelt oder bemitleidet. "Die meisten Leute haben mir abgeraten", sagt er. Immerhin war das noch gut gemeint. Eine Studentin meinte dagegen in einer Vorlesung: "Leute, merkt ihr denn nicht, wie bescheuert der ist?" Frech, aber sie wusste ja die gesamte Wirtschaftstheorie auf ihrer Seite. Ohne Businessplan und ohne passendes Finanzierungsmodell ein Unternehmen gründen? Dazu steht kein echter Ansatz in den Lehrbüchern. Also funktioniert das nicht. Tut es aber doch: Sozusagen in bester Start-up-Manier machte sich Faltin an den Selbstversuch und gründete eine "Teekampagne". Mit begrenzten Mitteln, aber einer genauen Idee im Hinterkopf: den besten Darjeeling, Tee von den Hängen des Himalaja, für jedermann erschwinglich anzubieten. Entgegen allen Marktregeln fixierte er sich auf diese eine Teesorte, sogar noch in Großpackungen. Der Einkauf lief ohne Zwischenhändler, direkt an Ort und Stelle. 10 000 D-Mark investierte Faltin im Jahr 1985 als "Venture Capital" in zwei Tonnen Darjeeling. Noch über einen Strohmann damals, denn nicht mal den Teebauern in Indien war der Uni-Professor wirklich geheuer. Ein blauäugiges Unterfangen, fanden viele Kritiker. Allerdings lagen die grundfalsch. Heute ist die Teekampagne mit 400 Tonnen jährlich der größte Importeur von Darjeeling-Blatttee - noch vor den Global Playern Lipton und Unilever.

"Gründen ist eben etwas anderes als die Theorie: Ein theoretischer Businessplan ist im Grunde nur ein Bündel von Annahmen. Und laut einer Studie erweisen sich etwa 70 Prozent davon in der Praxis als falsch. Kein Wunder, dass so viele scheitern." Nachwuchsgründern hilft Faltin deshalb in seinen Büchern mit der Formel "Kopf schlägt Kapital" auf die Sprünge. Sein Gründerwettbewerb hat schon zahlreiche "Ideenkinder", wie er sie nennt - Projekte nach Schema Faltin. Der ganz große Wurf war bisher noch nicht dabei, aber Faltin ist sich trotzdem sicher: "Sogenannte Spinner" haben oft wertvolle Ideen. Sie sollten versuchen, diese praktisch umzusetzen, mit unternehmerischen Mitteln.

Mit den derzeitigen Möglichkeiten könne Entrepreneurship sogar ein Volkssport werden. "Warum soll ich mir die Zeit einfach nur mit Krimis oder am Stammtisch vertreiben?", fragt Günter Faltin. Man könnte sich ja stattdessen seinen eigenen Gründungskrimi ausdenken, meint der Professor.

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