Nahaufnahme:Kniefall vor dem IWF

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Argentiniens Präsident Mauricio Macri braucht einen Kredit in Milliardenhöhe und weckt damit ein altes Trauma. Kredite des IWF gelten als einer der Gründe für den Staatsbankrott 2001.

Von Boris Herrmann

"Dieses Land hat kein Problem mit dem Dollar, dieses Land produziert Dollar." Der Satz stammt vom argentinischen Präsidenten Mauricio Macri - aus einer Zeit, als er noch der Wahlkämpfer Macri war. Damals, vor gut zweieinhalb Jahren, hatte sein Gegenkandidat Daniel Scioli im Fernsehduell behauptet, Macri plane eine "Rückkehr in die Vergangenheit", er wolle das Land wieder den Bedingungen des Internationalen Währungsfonds unterwerfen. Macri wehrte sich und sprach von einer "Angstkampagne" Sciolis.

Tatsächlich gibt es wohl keinen Staat, in dem die Angst vor diesem Fonds so groß ist wie in Argentinien. Mit dem IWF ist ein nationales Trauma verbunden. Die an harte Konditionen geknüpften Kredite gelten dort als einer der Hauptgründe für die Schuldenkrise um die Jahrtausendwende, die Ende 2001 in den Staatsbankrott führte. Millionen Argentinier verloren damals große Teile ihrer Ersparnisse. Als Präsident Néstor Kirchner vier Jahre später sämtliche IWF-Schulden vorzeitig beglich, fast zehn Milliarden Dollar, wurde das wie eine Unabhängigkeitserklärung gefeiert. Auch dessen Witwe und Nachfolgerin Cristina Kirchner schürte mit dem Leitbild der "Autarkie" recht erfolgreich patriotische Gefühle: Zum Teufel mit den Finanzhaien in Washington, wir haben doch uns!

Angesichts dieser Vorgeschichte lässt sich ermessen, wie schwer Mauricio Macri seine Fernsehbeichte diese Woche gefallen sein muss: Dass Argentinien eben doch ein Problem mit dem Dollar hat, und dass er deshalb die IWF-Chefin Christine Lagarde um einen Kredit bittet. Nach Medienberichten geht es um 30 Milliarden Dollar.

Der Multimillionär Macri, 59, war Ende 2015 mit dem Versprechen angetreten, die Wirtschaftsprobleme Argentiniens dauerhaft zu lösen, das chronische Staatsdefizit zu beseitigen, sein Land wieder zu einem verlässlichen internationalen Partner zu machen. In seiner Rolle als Global Player will er im November als Gastgeber des G-20-Gipfels in Buenos Aires glänzen. Niemand Geringeres als Christine Lagarde hat ihn noch vor wenigen Wochen für seinen "mutigen Reformkurs" gelobt. Überhaupt kam der seriös auftretende Unternehmer im Ausland von Anfang an extrem gut an, nach den Jahren der exzentrischen Cristina Kirchner kein allzu großes Wunder.

Was dabei übersehen wurde: Macri hat die strukturellen Schwächen des Landes nie in den Griff bekommen, allen voran die rasante Inflation von derzeit rund 25 Prozent, die zweithöchste in Lateinamerika nach Venezuela. Geblieben ist auch die extreme Abhängigkeit von den Zuckungen des globalen Devisenhandels. In der zurückliegenden Woche verlor der argentinische Peso acht Prozent an Wert gegenüber dem Dollar. Steigende Zinsen in den USA hatten zuletzt in zahlreichen Schwellenländern zu einer plötzlichen Kapitalflucht geführt, aber nirgendwo ging es so schnell wie in Argentinien. Nachdem auch der Versuch der Zentralbank gescheitert war, den freien Fall des Pesos mit drei Leitzinserhöhungen binnen weniger Tage zu stoppen, sah Macri offenbar keinen anderen Ausweg als eine radikale Kehrtwende in der Finanzpolitik: den Kniefall vor dem IWF.

Es war ein öffentliches Eingeständnis seines Scheiterns, eine Steilvorlage für seine Kritiker und nicht zuletzt eine Entscheidung, welche die argentinische Innenpolitik komplett durcheinanderwirbeln dürfte - zu Macris Ungunsten. Die aus seiner Sicht sonst so verlässlich zerstrittene peronistische Opposition ist sich beim Feindbild IWF absolut einig. Macri wird in jedem Fall einen hohen politischen Preis für den Kredit aus Washington zahlen müssen. Und ob sich das zumindest wirtschaftlich lohnt, ist noch keineswegs ausgemacht. Auch nach seinem Anruf bei Lagarde stürzte der Peso weiter ab.

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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