Nahaufnahme:"Gewolltes Scheitern"

Nahaufnahme: Axel Börsch-Supan: "Das Rentenalter muss sich an das Lebensalter anpassen, nicht umgekehrt."

Axel Börsch-Supan: "Das Rentenalter muss sich an das Lebensalter anpassen, nicht umgekehrt."

(Foto: imago)

Axel Börsch-Supan, der in der Rentenkommission "Verlässlicher Generationen­vertrag" für die Bundes­regierung Vorschläge erarbeiten soll, ist ziemlich wütend.

Von Hendrik Munsberg

Unter Wissenschaftlern gilt es als große Ehre, von der Politik um fachlichen Rat für eine bedeutende Entscheidung gebeten zu werden - erst recht, wenn der Hilferuf aus der Bundeshauptstadt Berlin kommt, wo bekanntermaßen Deutschlands Spitzenpolitiker wirken.

Insofern müsste sich der Rentenexperte Axel Börsch-Supan, 65, seit etwa zwei Jahren mit Freude und Feuereifer seiner Aufgabe im Dienste des Staates widmen. Seither gehört Börsch-Supan jener Kommission an, die dem SPD-Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, bis Ende März die Blaupause für eine Rentenreform vorlegen soll. Die Zeit drängt, weil schon bald immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Rentner aufkommen müssen, der staatlichen Rentenkasse drohen dann erhebliche finanzielle Verspannungen.

Doch Börsch-Supan, der nicht nur an der TU München den Lehrstuhl für "Economics of Aging" leitet, sondern auch der Nationalen Akademie der Wissenschaften "Leopoldina" angehört, ist in letzter Zeit auffallend schlecht gelaunt. Vor wenigen Tagen ließ er sich sogar öffentlich zu einem regelrechten Wutausbruch hinreißen - bei einem Rentenseminar auf dem Gelände der Evangelischen Akademie Tutzing, die eigentlich als Urlaubspostkartenkulisse am Starnberger See für ihre sedierende Wirkung bekannt ist. Als passionierter Bergsteiger liebt Börsch-Supan so eine Umgebung, trotzdem ließ er Worte wie "Denkverbote" und "Blockade" fallen, was Kenner der Wissenschaftsgeschichte unweigerlich an Galileo Galilei denken lässt. Der Verdruss des Münchner Rentenprofessors war jedenfalls so unüberhörbar, dass er sich prompt eine Rüge einhandelte.

Der Tadel kam von Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) und Karl Schiewerling (CDU). Von wem, bitte? Beide sind Sozialpolitiker und ehemalige Abgeordnete, beide weithin unbekannt. Von den Spitzen der großen Koalition wurden sie dazu ausersehen, die zwölfköpfige Rentenkommission "Verlässlicher Generationenvertrag" zu lenken. Das Gremium ist ein Musterbeispiel für deutschen Korporatismus. Mit am Tisch sitzen neben Politikern Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Rentenversicherung, dazu als Aufpasser einer von Heils Staatssekretären. Und, ach ja, zur Kommission gehören außer Börsch-Supan zwei weitere Wissenschaftler. Die unabhängigen Fachleute sind also klar in der Minderheit. Und von einer gemeinsamen Linie ist man bisher meilenweit entfernt.

Besonders umstritten ist Börsch-Supans Ansinnen, das Rentenalter angesichts steigender Lebenserwartung weiter anzuheben - von 67 im Jahr 2031 schrittweise bis auf 69 im Jahr 2054. Sein Argument: "Das Rentenalter muss sich an das Lebensalter anpassen, nicht umgekehrt." Nur so sei die Rentenversicherung auch künftig finanzierbar. SPD und Gewerkschaften lehnen das strikt ab, das Diktum vom "Denkverbot" gilt einer angeblichen Vorgabe von Minister Heil, keine weitere Anhebung des Rentenalters vorzusehen. Längst wurde der Präsentationstermin der Kommission vom 10. auf den 27. März verschoben, doch gut möglich, dass gar nichts Brauchbares herauskommt. Was ist da los?

Für Bert Rürup, 76, der selbst mehrere Rentenkommissionen geleitet hat, ist die Sache klar. Rürup spricht von "gewolltem Scheitern". Nie in den Rentenkommissionen der Vergangenheit sei "die Bank der Wissenschaft mit nur drei Sitzen zahlenmäßig so schwach vertreten" gewesen. Und, wer hat Schuld? "Die Bundesregierung", sagt Rürup. "Nicht zuletzt die SPD" habe "mit Einrichtung des Expertengremiums vorrangig Zeit kaufen wollen, auch um ungestört ihre letzte Woche vom Kabinett beschlossene Grundrente auf den Weg zu bringen".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: