Nahaufnahme:Expertin für Empörung

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Die Aktivistin Stevie Schmiedel organisiert Shitstorms und ist damit der wandelnde Albtraum der Werbeindustrie. Warum nun ausgerechnet sie die Zukunft der Branche bestimmen könnte.

Von Angelika Slavik

Die Verniedlichung, findet Stevie Schmiedel, ist das Problem. "Wenn es um Mädchen geht, macht die Industrie immer alles niedlich und rosa und süß und harmlos", sagt sie. Schmiedel, 45, ist die Gründerin des Vereins "Pinkstinks". Die Organisation kämpft gegen Geschlechterklischees in der Produktgestaltung und in der Werbung und in diesem Kampf setzt sie vor allem auf den Druck der Öffentlichkeit. Schmiedel ist also so etwas wie eine professionelle Shitstorm-Organisatorin: Wenn Pinkstinks Produkte oder Kampagnen auf seinen Social-Media-Seiten anprangert, sehen sich die verantwortlichen Unternehmen meist binnen weniger Stunden einer Flut an kritischen Nachrichten und Schmähungen im Netz ausgesetzt. Nur wenige Firmen halten so einem Druck stand, die meisten Unternehmen ziehen die kritisierten Produkte oder Motive zurück, wenn sie es mit einer von Schmiedel organisierten Empörungswelle zu tun bekommen.

Stevie Schmiedel ist der wandelnde Albtraum der Werbewirtschaft, seit Jahren schon - von Oktober an aber ist sie auch die Frau, die maßgeblich darüber entscheidet, unter welchen Bedingungen diese Branche künftig überhaupt arbeiten darf.

Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums sollen Schmiedel und ihre Pinkstinks-Kollegen zwei Jahre lang die Tätigkeit des Werberats überwachen. Der Werberat ist ein Selbstkontrollorgan, darin sitzen also die Größen der Branche und beraten über die Beschwerden, die von Bürgern oder Organisationen über bestimmte Werbemotive eingehen. Dann und wann erteilt der Werberat eine öffentliche Rüge, 22 Mal war das im vergangenen Jahr der Fall. Zwingen, ein bestimmtes Motiv nicht mehr zu verwenden, kann der Werberat die Firmen aber nicht. Schmiedel und ihre Truppe sollen nun beobachten, ob das als Regulierungsmaßnahme ausreicht: Kann diese Branche sich selbst regulieren? Oder braucht es doch gesetzliche Regeln, um den Chauvinismus von den Plakatwänden zu vertreiben?

Vor ihrer Zeit als Aktivistin verfolgte die Deutsch-Britin Schmiedel eine akademische Karriere, promovierte in Kulturwissenschaften und unterrichtete Gender Studies an verschiedenen Universitäten, zuletzt in Hamburg. 2012 entschied sie, sich komplett auf den Kampf gegen Geschlechterklischees zu konzentrieren. Eine Kampagne, die mit Stereotypen spiele, sei nicht einfach nur Werbung, sagt Schmiedel. "Die Art, wie Frauen und Männer öffentlich dargestellt werden, hat Folgen für die Gesellschaft." Besonders bei Kindern und Jugendlichen prägten die veröffentlichten Rollenbilder auch den Blick auf sich selbst: "Das beeinflusst, wie sie ihren eigenen Körper wahrnehmen, aber auch, was sie sich im Leben zutrauen."

Und wie bestimmt man nun, was sexistisch ist und was nicht? Schmiedel sagt, sie wolle zunächst eine App entwickeln, mit der man strittige Werbekampagnen unkompliziert melden und bestimmten Kategorien zuordnen könne. Das solle auch dabei helfen, transparent und nachvollziehbar zu machen, wann eine Kampagne von den Werbeaufsehern als sexistisch eingestuft werde und wann nicht. "Da gibt es auch viel Verwirrung", sagt Schmiedel. Nicht jede sexualisierte Darstellung sei sexistisch: "Man darf das Thema auch nicht hysterisieren." Eine Haltung, die Pinkstinks und ihrer Gründerin auch in der Aktivistenszene Kritik einbringt: Einige andere feministische Organisationen finden sie schlicht nicht streng genug.

In der Werbebranche dagegen sorgt sich mancher um seine kreative Freiheit - ein Argument, das Schmiedel nicht gelten lässt. Bei der Werbung für Alkohol und Zigaretten gebe es ja auch Beschränkungen. "Trotzdem ist noch kein Plakat weiß geblieben."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, dass Stevie Schmiedel von August an die Tätigkeit des Werberats überwachen soll. Tatsächlich beginnt das Projekt aber erst im Oktober.

© SZ vom 01.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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