Nahaufnahme:Ein bisschen Konsum

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„Jedes Kleidungstück kostet unseren Planeten mehr, als wir ihm zurückgeben“, sagt Vincent Stanley. (Foto: Tim Davis)

Der Marketingchef von Patagonia muss Widersprüche vereinen: Die Outdoor-Firma wächst, unter anderem, weil sie Wachstum und Konsum kritisch sieht.

Von Caspar Dohmen

Vincent Stanley, 65, wollte schon als Zehnjähriger Schriftsteller werden. Heute verdient er sein Geld tatsächlich als Geschichtenerzähler, allerdings etwas anders als gedacht. Es fing damit an, dass er als 20-Jähriger Anfang der Siebziger bei seinem Onkel Yvon Chouinard arbeitete, der Utensilien für Kletterer hergestellt hatte und den Outdoorhersteller Patagonia gründete. Statt wie geplant einige Monate blieb Stanley dauerhaft und stieg zum Marketingchef des kalifornischen Familienunternehmens auf.

Heute ist er bei Patagonia quasi hauptberuflich dafür zuständig, die Firmenphilosophie unter die Leute zu bringen. "Wir sind im Geschäft, um unseren Heimatplaneten zu retten", wirbt Patagonia, der Pionier für nachhaltigere Produktion. Die Firma liefert mit konsum- und wachstumskritischen Äußerungen und Aktionen regelmäßig Gesprächsstoff. Dabei ist für Außenstehende nicht genau auszumachen, was ethischer Überzeugung und was Geschäftskalkül entspringt.

Stanley ist das Gegenteil eines Marktschreiers, formuliert nachdenklich, leise, aber klar in der Sache. Wenn er von den Anfängerfehlern erzählt, klingt dies ehrlich: "Die ersten Produkte saßen schlecht." Viele Kunden hätten die erste Kollektion von Rugby-T-Shirts verschmäht: "Zwölf von 15 Farben blieben liegen", sagt Stanley dieser Tage in einer Filiale in Berlin vor Ladenöffnung. 15 bis 20 Jahre hätten sie gebraucht, um wirtschaftlich auf einen grünen Zweig zu kommen. Wichtig dafür war, dass die Firma - lange vor dem Influencerzeitalter - mit Geschichten und neuen Ideen Kunden anlockte: Sie repariert etwa Bekleidung, verkauft gebrauchte und recycelte Jacken und warb mit dem Slogan: "Kauft diese Jacke nicht." All dies brachte Aufmerksamkeit und Imagegewinn unter konsumkritischen Kunden, aber auch Wachstum der Firma. Stanley weiß um die bestehenden Widersprüche. "Jedes Kleidungstück kostet unseren Planeten mehr, als wir ihm zurückgeben", sagt er und verweist damit auf die Auslagerung von Kosten auf Mensch und Umwelt.

Neuerdings ist Stanley aber optimistischer, dass sich der Kapitalismus insgesamt in eine nachhaltigere Richtung entwickeln könnte. Er verweist auf Konzerne wie Apple und Blackrock, die sich von der "Shareholderphilosophie verabschieden wollen": Statt einseitig auf den Gewinn der Aktionäre zu schauen, wollten sie sich nun an allen Stakeholdern orientieren, also auch Kunden, Mitarbeiter und Gemeinden in den Blick nehmen. "Wenn das so kommt, wäre das ein enormer Fortschritt", sagt Stanley und ergänzt selbstbewusst: "Aber viele wissen doch gar nicht, was das genau heißt. Ich kann mir gut vorstellen, dass Patagonia hier Entwicklungsarbeit für andere Firmen leisten kann." Schließlich versucht Patagonia dies schon lange, wobei nicht alles gelingt, wie die Umsetzung existenzsichernder Mindestlöhne für Näherinnen in Asien.

Wichtig sei die Strategie auch, um guten Nachwuchs zu finden. "Junge Menschen haben ein großes Bedürfnis für nachhaltige Unternehmen zu arbeiten", sagt Stanley, der regelmäßig als Dozent mit Studenten in Yale diskutiert.

Völlig abgewendet hat sich Stanley übrigens nicht von der Schreiberei, seit einigen Jahren verfasst er Gedichte. Wenn man ihn fragt, ob er ein paar Zeilen rezitieren will, winkt er verlegen ab - und ist dann schon wieder bei den Umweltproblemen und dem, was die Wirtschaft anders machen müsse. Und bei Trump: "Nein danke", hätten sie gesagt, als die Steuerreform für Unternehmen ihnen zehn Millionen Dollar zusätzlichen Gewinn einbrachten. "Wir haben das Geld gespendet", sagt Stanley und lächelt. Auch diese Geschichte machte die Runde.

© SZ vom 05.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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