Nahaufnahme:Ein Amerikaner in China

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Der Ökonom Christopher Balding von der Universität Peking forscht zu Fragen, über die seine Kollegen nur tuscheln. Warum etwa verlässt so viel Geld das Land?

Von Christoph Giesen

Er ist einer der besten Volkswirte in China und vielleicht gerade deshalb einer der schärfsten Kritiker der chinesischen Wirtschaftspolitik: Der Amerikaner Christopher Balding. Er lehrt an der renommierten Peking-Universität - ausgerechnet an einer staatlichen chinesischen Hochschule.

Niemand in China forscht so detailliert zu Fragen, über die seine chinesischen Kollegen allenfalls tuscheln, aber niemals Beiträge in wissenschaftlichen Publikationen einreichen würden: Wie geht es der chinesischen Währung? Wie agiert die chinesische Zentralbank? Und stimmen die chinesischen Zahlen überhaupt?

Was Balding besonders umtreibt, ist Abfluss von Geld aus China. Die größte Kapitalflucht der Welt. "Seit 2012 haben etwa 1,6 Billionen Dollar die Volksrepublik verlassen", sagt er. "Und das nur durch manipulierte Import- und Exporte." Seine Methode, um die Unwucht zu belegen: Er vergleicht die Importzahlen des Zolls mit Datensätzen der Banken für Auslandsüberweisungen, und in der Tat tut sich dabei eine gewaltige Kluft auf. Die Werte für Importgüter, die der Zoll ermittelt, sind demnach deutlich niedriger als die Summen, die ins Ausland geschickt werden.

Laut Gesetz dürfen jährlich nur umgerechnet 50 000 Dollar pro Person China verlassen. Wer mehr Geld transferieren möchte, muss eine Genehmigung einholen. Seit 2012 gibt es jedoch ein Schlupfloch: Um den Bürokratieaufwand zu reduzieren, verzichten die Behörden seit vier Jahren darauf, jede einzelne Importrechnung freizugeben. Die Folge: Etliche Chinesen haben in den vergangenen Jahren überall auf der Welt Unternehmen gegründet und betreiben Handel.

Eine kleine Firma bekommt dann zum Beispiel statt der georderten Waren im Gegenwert von zwei Millionen Dollar nur Güter für eine Million geliefert, der Rest des Geldes wird auf ein Konto im Ausland eingezahlt. Ist es möglich, den Geldabfluss zu kontrollieren? "Man müsste jedes Schiff, jeden einzelnen Container überprüfen und dann den realen Wert der Waren in diesen Containern kennen", sagt Balding. Unmöglich. Sieben der zehn größten Häfen der Welt liegen in China.

Dass es ein massives Leck gibt, haben auch die Behörden begriffen. Inzwischen prüfen sie, ob Exporteur und Importeur verwandt sind.

Doch selbst wenn man dieses Phänomen eindämmen sollte, gibt es noch andere Tricks: "Nehmen wir einmal an, Sie sind reich und würden gern ein Haus in Sydney kaufen", sagt Balding. "Einfach eine Million Dollar nach Sydney überweisen? Keine Chance."

Wie also dann? "Sie könnten zum Beispiel eine Beratungsgesellschaft in Hongkong mit der Aufgabe betrauen, Ihnen eine Studie zum Wohnungsmarkt in Sydney zu erstellen. Kostenpunkt 1 050 000 Dollar." Diese Rechnung könne man dann bei den Behörden einreichen, das Geld fließe, sagt Balding. 50 000 behält die Beratungsfirma ein, für die verbliebene Million Dollar wird dann wie geplant die Immobilie gekauft. Und das Geld ist weg aus China - wahrscheinlich für immer.

Dass Balding überhaupt in China gelandet ist, ist eher Zufall: "Ich bin Volkswirt und kein Sinologe. 2006 kam ich zum ersten Mal nach China. Meine Frau arbeitet als Architektin und wurde damals gefragt, Hochhäuser und Golfplätze zu bauen." 2009 bewarb er sich schließlich an der Peking-Universität und wurde genommen. "Meine drei Kinder sprechen fließend Chinesisch. Ich kann gerade einmal einem Taxifahrer sagen, wo es hingehen soll."

Das macht aber nichts, schließlich kennt sich kaum jemand sonst so gut im chinesischen Zahlenwerk mitsamt seinen Schwachstellen aus.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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