Nahaufnahme:Die Unerschrockene

Nahaufnahme: Teresa Bellanova: "Jemand mit meinem Leben kann sich die Opferrolle nicht leisten.“

Teresa Bellanova: "Jemand mit meinem Leben kann sich die Opferrolle nicht leisten.“

(Foto: Senato)

Italiens neue Agrarministerin Teresa Bellanova setzt sich souverän gegen Hassattacken aus dem rechten politischen Lager zur Wehr. Dabei hilft ihr die eigene Vergangenheit.

Von Ulrike Sauer

Angeblich war das Volantkleid aus Chiffon schuld. Am Morgen der Vereidigung des neuen Kabinetts in Rom war Teresa Bellanova, 61, in ein leuchtend blaues Gewand geschlüpft. Die Fotos ihres Auftritts entfesselten die Trolle. In den sozialen Netzwerken wurde Italiens neue Landwirtschaftsministerin zur Zielscheibe einer Hasskampagne. Man beleidigt sie wegen des auffälligen Looks, wegen ihrer Silhouette, wegen ihres Hauptschulabschlusses. Verletzt sie das? Nein, das fehlt ja noch, antwortet sie. "Jemand mit meinem Leben kann sich die Opferrolle nicht leisten", sagt die ehemalige Gewerkschafterin.

Als Bellanova in ihrem grellblauen Kleid im Quirinalspalast stand, dachte sie an ein Jugenderlebnis, 15 Jahre war sie alt. Statt die Schule zu besuchen, muss sie damals Geld verdienen. Sitzt eingequetscht in einem überfüllten Kleinbus, der die Tagelöhner im Morgengrauen auf die Felder karrt. Das Fahrzeug ihres Arbeitsvermittlers verunglückt, zwei ihrer Freundinnen sterben. Bellanova sagt, den Mädchen sei nicht nur eine Ausbildung verwehrt worden. Sie hätten nicht einmal die Chance zum Leben bekommen. "Alles andere, auch die Polemik über mein Aussehen, ist irrelevant", sagt die Ministerin.

In ihrer süditalienischen Heimat Apulien heißt sie "Teresa, la tosta": Teresa, die Taffe. Sie ist unerschrocken, verhandlungsstark, kompetent und immer unbequem. "Irritiert" ist sie über die sexistische Hasswelle schon. Vor Italien lägen große Herausforderungen - und die Leute diskutieren ihre äußere Erscheinung. In der Tat vergiftet auch nach dem Ausscheiden des Oberpopulisten Matteo Salvini aus der Regierung das Schüren des Grolls weiterhin das Klima im Land.

"Wir müssen Italien das Lächeln zurückgeben", sagt die Ministerin. Sie versucht es mit Ironie. "Ich war an dem Tag der Vereidigung hoch zufrieden und fühlte mich leuchtend blau mit Volant und so hab ich mich auch angezogen. Aufrichtig wie eine Frau", twitterte sie. Am Tag darauf posiert sie in ihrem Büro im Landwirtschaftsministerium in einem gelben Kleid mit schwarzen Tupfen und postet das Foto unter #vestocomevoglio. Sie kleide sich, wie sie wolle. "Da das Blau gestern viele elektrisiert hat, probiere ich es heute mit diesem Kleid", schreibt sie dazu. In Assisi solidarisieren sich sogar Franziskanermönche mit ihr.

Natürlich war das Kleid nur vorgeschoben. Bellanova ist mit ihrem außergewöhnlichen Lebenslauf eine Provokation für Hasser aus dem rassistischen Milieu des Lega-Chefs Salvini. Ihr Vater Rocco war Feldarbeiter und Kommunist. Sie selbst fing mit 14 an, in der Landwirtschaft zu arbeiten und war den herrschenden Mittelsmännern ausgeliefert. 1980 organisiert sie den ersten Streik der Tagelöhner in Ceglie Messapica, ihrem Heimatort. Es kommt zu gewalttätigen Übergriffen. Die vor der Polizei fliehenden Arbeitgeber lassen zwei Pistolen aus dem Auto fallen, um Teresa einzuschüchtern. Das war vor 40 Jahren. "Mir haben die Waffen keine Angst eingejagt, ein paar Idioten hinterm Computer tun es erst recht nicht", sagt die Ministerin.

Hinter ihr liegen drei Jahrzehnte als Gewerkschafterin. 2014 rief sie der damalige Premier Matteo Renzi als Staatssekretärin im Arbeitsministerium in die Regierung. 2016 wurde sie zur Vize-Ministerin im Industrieministerium befördert. Dort machte sie sich als zielsichere Verhandlerin in vielen Unternehmenskrisen einen Namen.

Im Landwirtschaftsministerium hat sich ihr stramm rechter Vorgänger von der Lega einer geordneten Amtsübergabe verweigert.

Bellanova will nun auch den Kampf ihrer Jugend wieder aufnehmen und der Versklavung der Flüchtlinge als Erntehelfer entgegentreten. "Dahinter", sagt sie, "steckt die Mafia."

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