Nahaufnahme:Der Unbeugsame

Nahaufnahme: Antônio Andrioli: "19 Prozent des Amazonas sind bereits entwaldet. Wissenschaftler, die das mit Daten untermauern, werden in Brasilien entlassen oder bedroht."

Antônio Andrioli: "19 Prozent des Amazonas sind bereits entwaldet. Wissenschaftler, die das mit Daten untermauern, werden in Brasilien entlassen oder bedroht."

(Foto: Silvia Liebrich)

Wissenschaftler wie Antônio Andrioli haben es in Brasilien schwer. Wer die Regierung kritisiert, muss mit Schikanen und Kündigung rechnen.

Von Silvia Liebrich

Antônio Andrioli ist keiner, der sich den Mund verbieten lässt. Egal, ob es um die Folgen intensiver Landwirtschaft oder die repressive Politik von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro geht. Der Wissenschaftler spart auch nicht mit Kritik an der Bundesregierung, die die umstrittene Agrarpolitik des südamerikanischen Landes großzügig unterstützt. "Mich schockiert, dass Deutschland die brasilianische Regierung mit 40 Millionen Euro für nachhaltige Landwirtschaft unterstützt, obwohl der Regenwald weiter gerodet wird", sagte der Brasilianer in München, wo er vergangene Woche den Bayerischen Naturschutzpreis der Umweltorganisation BUND erhielt.

Ärgerlich findet er auch, dass Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) ihrer brasilianischen Amtskollegin zuletzt bei der Grünen Woche eine große Bühne geboten hat: "Tereza Cristina vertritt eine Regierung, die sich offen gegen Umweltschutz und Menschenrechte ausspricht und unverhohlen die Interessen der Großgrundbesitzer durchsetzt." Bekannt ist, dass Brasilien seine Position als Produzent von Soja, Zuckerrohr und Fleisch weltweit ausbauen will. Ein Vorhaben, das zulasten des Amazonas und der indigenen Bevölkerung geht.

Der 45-Jährige kennt sich in der deutschen Politik aus. Immerhin hat er fünf Jahre in Osnabrück gelebt und dort an der Uni promoviert. Er spricht gut Deutsch und bekennt sich zum FC St. Pauli. International bekannt gemacht hat ihn seine Forschung auf dem Gebiet von Gentechnik und Pestiziden. Der große Mann mit Vollbart erzählt ruhig und sachlich, wie drastisch sich sein Leben innerhalb weniger Monate verändert hat. Seine Ämter als Regierungsberater für Lebensmittelsicherheit und Vizepräsident der Universität UFFS im Süden Brasiliens hat er verloren. "19 Prozent des Amazonas sind bereits entwaldet", sagt Andrioli und fügt hinzu: "Wissenschaftler, die das mit Daten untermauern, werden in Brasilien entlassen oder bedroht." Mit einem Dekret vom 24. Dezember habe sich Bolsonaro die Kontrolle über Universitäten und Forschungseinrichtungen gesichert, erklärt er. Posten wie der eines Uni-Dekans werden demnach nicht mehr durch Fachgremien gewählt, sondern von ganz oben besetzt. "Das ist Zeichen für den Abbau von Demokratie und all das, was wir in den vergangenen Jahrzehnten in Brasilien aufgebaut haben", warnt Andrioli.

Viele seiner Kollegen beugen sich dem Druck und ziehen sich zurück. Sie haben Angst um sich und ihre Familien. Er selbst habe vor der jüngsten Rektoratswahl Morddrohungen erhalten, erzählt er. Seine Schwester, ebenfalls Professorin, habe im Briefkasten anonyme Botschaften mit Texten wie "Wir wissen, wo du wohnst!" gefunden. Unter den Studenten mache sich ein Klima des Misstrauens breit.

Andrioli gibt solchen Einschüchterungsversuchen nicht nach. Kritisch sieht er auch das im vergangenen Sommer geschlossene Handelsabkommen zwischen dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur und der Europäischen Union. Der Natur- und Wirtschaftswissenschaftler befürchtet negative Auswirkungen für Umwelt und Menschenrechte in Brasilien. "Viehzucht und Landraub werden zunehmen, die soziale Ungleichheit wächst weiter", glaubt er. Zugleich sieht er europäische Standards gefährdet: So seien in Brasilien mehr als 20 Pestizide im Einsatz, die in der EU verboten sind. Diese könnten als Rückstände in Exportgütern auch in Europa landen, ergänzt Andrioli. Zugleich fragt er, wie die Bundesregierung sicherstellen will, dass ihre Hilfsgelder in Brasilien auch wirklich für nachhaltige Landwirtschaftsprojekte eingesetzt werden. Eine Antwort darauf hat er nicht. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) äußerte sich auf SZ-Anfrage nicht dazu.

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