Die Sachen, die Christian Walter am Wochenende zum Picknicken und Verteilen in Aachen mitgebracht hat, hatte er in der Nacht zuvor aus dem Müll geholt: Obst, Joghurt, eine Kokos-Makronen-Backmischung oder auch Remoulade. Die Passanten griffen zu. Das zumindest hat der 27-Jährige erreicht: die Menschen auf eine ziemlich absurde Situation hinzuweisen und etwas daran zu ändern.
Schätzungsweise elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jedes Jahr im Müll, fast zwei Drittel davon im privaten Mülleimer. Jeder einzelne Verbraucher wirft an jedem Tag eine Menge weg, wie sie etwa in einem Frühstück steckt. Natürlich sind dabei auch Speisereste. Den weitaus größeren Teil aber machen Gemüse, Obst und Gebäck aus. Und etwa die Hälfte davon wäre nach Schätzung von Experten durchaus vermeidbar.
Um daran etwas zu ändern, lädt Walter die Menschen nicht nur zum Picknick aus der Mülltonne. Er hat auf der Plattform change.org auch eine Petition gestartet. Darin fordert er unter anderem, dass essbare Lebensmittel nicht mehr vernichtet werden dürfen - und dass das Containern, also das Sammeln von Müll aus den Abfalltonnen von Supermärkten, entkriminalisiert wird. Auch Müll ist nämlich Eigentum. Er gehört dem Händler, solange er dort auf dem Hof steht, anschließend dem Entsorger. Wer von der Polizei dabei erwischt wird, Lebensmittelabfälle im Wert von mehr als 50 Euro aus den Containern zu holen, der macht sich des schweren Diebstahls strafbar. Wer dazu noch über einen Zaun klettert, kann des Hausfriedensbruchs angeklagt werden. Mehr als 90 000 Menschen haben die Petition bereits unterzeichnet.
Ernährung sei ein Grundbedürfnis, kein Add-On
Seit neun Jahren sammelt Christian Walter auch selbst Lebensmittel aus dem Müll. Außerdem zeigen er und ein etwa zehnköpfiges Bündnis um ihn herum bei Facebook Fotos ihrer Beutezüge. Und sie unterstützen zwei Aachener, die beim Containern vor etwa einem Jahr erwischt und wegen schweren Diebstahls angeklagt wurden.
Eine Zeit lang habe er sich auch mal ausschließlich von dem ernährt, was er im Müll fand, sagt Walter. Nur ein paar Dinge, Salz oder Öl beispielsweise, hat er dazugekauft. Kaum mehr als fünf Euro im Monat habe er dafür ausgegeben. "Man kommt so schon klar, aber auf Dauer ist das nichts für mich." Auch weil Walter nicht daran glaubt, allein dadurch, dass er seine Lebensmittel nicht mehr im Supermarkt kauft, sondern aus den dortigen Mülltonnen angelt, die Verschwendung zu stoppen. "Letztlich", sagt er, "müssen wir dahin kommen, dass nicht nur große Konzerne darüber entscheiden, was wie produziert wird." Nur wie?
Dazu, sagt er, seien viele kleine Dinge nötig. Aktivisten, der wie er und sein Bündnis beim Picknick aus dem Müll die Passanten zum Nachdenken bringen. Der Verbraucher, der im Supermarkt auch mal die Banane kauft, die schon eine braune Stelle hat. Und Politiker, die die richtigen Gesetze machen. Eine Regelung, wie sie bereits in Frankreich gilt und bald wohl auch in Italien, hält er allerdings nicht für ausreichend. Dort dürfen Händler Lebensmittel nicht mehr wegwerfen. Sie müssen sie spenden oder aber als Futter oder für Biogasanlagen zur Verfügung stellen. Doch ob sich daran wirklich alle halten, sei in der Praxis schwer zu kontrollieren, sagt Walter. Außerdem lenke es vom eigentlichen Problem ab: der Verschwendung von wertvollen Ressourcen. "Die Frage ist doch, wie wir überhaupt in eine Situation gekommen sind, in der Lebensmittel nicht mehr dazu eingesetzt werden, die Menschen satt zu machen, sondern dazu, Profite zu maximieren", betont Walter. Ernährung sei schließlich ein Grundbedürfnis, kein Add-on.