Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Das Kind loslassen

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Henriette Frädrich gründete eine Firma, scheiterte, haderte. Jetzt bietet sie das Unternehmen auf Ebay an.

Von Felicitas Wilke

Es soll der Abschied von einer Herzensangelegenheit werden, an der das Herz von Henriette Frädrich zuletzt immer weniger hing. Auf Ebay bietet die 37-jährige Kölnerin das Unternehmen an, das sie vor fast neun Jahren mitbegründet hat. Mindestpreis: 15 000 Euro. Sofort-Kaufen-Preis: 21 000 Euro. Artikelzustand: gebraucht. "Ich wünsche mir, jemanden zu finden, der das Kind adoptiert", sagt Frädrich. Obwohl sie mit ihrer Geschäftsidee gescheitert ist, von ihrem "Kind" spricht die Gründerin noch immer, wenn es um ihre Online-Plattform geht.

Ihre Firma erblickte vor knapp zehn Jahren das Licht der Welt - und wie bei jedem Start-up begann alles als großes Abenteuer. Henriette Frädrich und ihre Co-Gründerin Gabriele Dallmann glaubten fest an ihre Geschäftsidee und investierten eine sechsstellige Summe, um ihre Website, das Marketing und die Akquise aufzubauen. Ihre Plattform Pharmatching richtete sich an Pharma- und Biotechunternehmen, die dort passende Dienstleister finden sollten, um einzelne Aufgaben auszulagern, zum Beispiel an ein Speziallabor. "Wir wollten mit unserer Plattform die Outsourcing-Prozesse beschleunigen, vereinfachen und günstiger machen", sagt Frädrich.

Die beiden Gründerinnen riskierten viel: nicht nur, weil in der Firma eine Menge Geld steckte, das sie sich teilweise von Freunden und der Familie geliehen hatten, sondern auch, weil Frädrich und Dallmann Tochter und Mutter sind. Das hätte schiefgehen können. Doch die beiden schienen sich perfekt zu ergänzen: Die Tochter kannte sich als ehemalige TV-Redakteurin mit dem Internet aus, die Mutter brachte als diplomierte Immunbiologin ihr Wissen aus der Pharmabranche ein.

Dann kam die große Ernüchterung: Die Welt hatte nicht auf ihre Idee gewartet. Es registrierten sich "zu wenige, viel zu wenige" Nutzer auf der Plattform, um dauerhaft profitabel zu arbeiten, sagt Frädrich. Wie so viele Start-ups hatte die Gründerin eine ganze Branche revolutionieren wollen. "Aber die Pharmabranche wollte bisher nicht revolutioniert werden", sagt Frädrich. Und beauftrage lieber weiterhin "teure Outsourcing-Agenturen", als ihr Portal zu nutzen. Was letztlich den Ausschlag gab, dass der Erfolg ausblieb, weiß Frädrich bis heute nicht - "es kann an 1000 Gründen gelegen haben".

Vor gut drei Jahren lösten die beiden Gründerinnen ihre GmbH auf. Damals war Frädrich noch nicht bereit loszulassen. Für einen "zu verschmerzenden Betrag" kaufte sie das Unternehmen und führte es neben ihrer Arbeit als Autorin und Rednerin weiter. Ungefähr drei Stunden pro Woche habe sie zuletzt investiert, um neu registrierte Nutzer und Gesuche zu überprüfen und Neuigkeiten in den sozialen Netzwerken zu teilen. Alle paar Tage ein paar Klicks, immer weniger Herzblut.

"Es war ein langer Prozess, sich einzugestehen, gescheitert zu sein", sagt Frädrich. Inzwischen haben beide Gründerinnen ihren Frieden damit gemacht. Gabriele Dallmann arbeitet als Beraterin in der Pharmabranche, Frädrich schreibt Bücher und hält Vorträge auf Veranstaltungen - unter anderem dazu, wie Menschen vorherrschende Regeln brechen und neue Wege gehen können. Da passte es gut, auf unkonventionelle Weise einen neuen Besitzer für ihr Start-up zu finden. "Ich habe keine Zeit und keine Kraft mehr, nach großen Firmen oder Investoren als Käufer zu suchen und Business-Pläne zu schreiben."

21 000 Euro, das sei ein fairer Preis, sagt sie. Er spiegle die Umsätze eines Jahres wider. "Vielleicht bringt jemand das Kind zum Wachsen oder sogar noch zum Fliegen", hofft Frädrich. Sie kann ihr Kind jetzt loslassen, aber aufgeben will sie es noch nicht.

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Quelle:
SZ vom 22.09.2017
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