Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Bildung für alle

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Start-up-Unternehmerin Anne Kjær Riechert gründet Schulen für Geflüchtete und Migranten. Das macht sie zum Vorbild für eine neue Form des Wirtschaftens.

Von Susanne Klingner

Anne Kjær Riechert erkennt man beim Firmenevent nicht gleich als Hauptperson, sie ist zurückhaltend, spricht leise und freundlich, doch je länger sie dann auf der Bühne spricht, desto klarer wird: Diese Frau weiß, wie sie die Welt gestalten will. Bei einem Brunch ihrer ReDI School, einem Social Business, in dessen Kursen Geflüchtete und Migranten IT-Fähigkeiten lernen, spricht sie über die Chancen, die sie in der Zuwanderung nach Deutschland sieht - und dieser zentrale Punkt ihrer Arbeit scheint ihr ganzes Wesen auf den Punkt zu bringen: Dort, wo andere Probleme sehen, entdeckt sie Möglichkeiten, in die sie sich mit Leidenschaft stürzt.

Die Idee für die ReDI School - ReDI ist kurz für "Ready for Digital Integration" - kam Riechert im Sommer 2015, als sie im Norden von Berlin ein Flüchtlingslager besuchte und zu einer Ramadan-Feier eingeladen war. "Dort lernte ich Mohammad kennen, einen Programmierer aus Bagdad. Seit er in Deutschland war, hatte er keinen Laptop mehr und konnte sich keine neuen digitalen Fähigkeiten beibringen", sagt sie. Auf der einen Seite habe sie gesehen, wie viel Talent Mohammad habe und dass er gern in Deutschland arbeiten würde. Auf der anderen Seite gebe es 55 000 offene Stellen in der IT-Branche. Daraus wollte sie eine Win-win-Situation machen.

Dieses Denken hat Riechert spätestens an der dänischen Hochschule Kaospilot in Århus gelernt, eine Mischung aus Business- und Designschule, an der es darum geht, unternehmerische Lösungen für aktuelle gesellschaftliche Probleme zu entwickeln. Dort machte sie 2006 ihren Bachelor. Jährlich werden dort nur zwischen 35 und 37 Studierende aufgenommen.

Anschließend arbeitete sie einige Jahre als Beraterin für Corporate Social Responsibility (CSR). Für Samsung entwickelte sie eine CSR-Strategie für Skandinavien, die mehrfach ausgezeichnet wurde. 2010 zog sie dann nach Japan und machte ihren Master in Friedensforschung. 2012 ging sie nach Berlin, wo sie das Stanford Innovation Lab aufbaute, eine Initiative der Stanford University - und 2015 dann die Gründung der ersten ReDI School.

Riechert ist ein neuer Typ von Unternehmerin: international (sie spricht fünf Sprachen), mit 36 Jahren noch relativ jung und experimentierfreudig. Ihr sind die Strukturen wichtig, in denen sie arbeitet und die Menschen. "Ich mache das seit zehn Jahren. Am wichtigsten für mich war und ist die Erkenntnis, dass man es nicht alleine schaffen kann." Mit Hilfe anderer werde alles viel besser. Deswegen sei es für sie extrem wichtig, Leute um Unterstützung zu bitten und zu schauen, wie sie sich mit ihren Stärken und Netzwerken einbringen können. "Wenn ich sehe, hier gibt es ein Problem, denke ich: Wir brauchen einfach nur die richtigen Menschen zusammenzubringen, um diese Lösung umzusetzen."

Die ReDI School ist Riecherts drittes Social Start-up. Das macht sie auch zu einem Vorbild für eine neue Form des Wirtschaftens, die mehr Nutzen stiften will. "Ich glaube, es geht nicht nur mir so: Geld ist natürlich schön, aber gute Freunde und Sinn und Zweck in meinem Alltag zu haben, ist genauso wichtig." Das sei auch vielen Firmen wichtig, die sich von ihr beraten lassen. Riechert glaubt, dass hier der zukünftige Markt für Unternehmen liege. Eine ganze Generation frage schon jetzt nach dem tieferen Sinn von Unternehmen und suche im Berufsleben mehr als ein Einkommen. "Da werden wir noch große Veränderungen sehen. Aber es muss schneller gehen."

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Quelle:
SZ vom 21.01.2019
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