Wenn François Bayrou beschreiben soll, wo er herkommt und wo er hingehört, dann sagt er: "Meine Freunde und ich, wir sind nicht die Jet-Society, wir sind die Traktor-Society." Bayrou ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Heute ist er Bürgermeister des Städtchens Pau im äußersten Südwesten Frankreichs. Weiter weg von Paris kann man sich geografisch und geistig nicht verorten, jedenfalls aus binnenfranzösischer Sicht.
Zugleich kann Bayrou auf eine beachtliche Karriere in der Hauptstadt zurückblicken, als Abgeordneter, als Minister und als Parteichef. Für viele Franzosen zählt er daher zur politischen Kernbesetzung des Landes. Gebucht für die Rolle des geerdeten, ja gesetzten und netten Onkels aus der Provinz, der - anders als die arroganten Hauptstädter - Maß und Mitte und gesunden Menschenverstand hochhält.
Dieser Bayrou also soll jetzt Frankreich aus der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg herausmanövrieren. Präsident Emmanuel Macron will ihn an diesem Donnerstag zum Commissaire au Plan berufen, zum "Planungskommissar", im Range eines Ministers in direkter Konkurrenz zu Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. Bayrou wird ein Konjunkturprogramm im Umfang von 100 Milliarden Euro koordinieren. Damit soll das Land aus der virusbedingten Rezession finden.
Ausgerechnet Bayrou. Die Personalie vermittelt weniger Aufbruch denn Rückgriff auf Altvertrautes. Sie mutet wie eine doppelte Rolle rückwärts an: Macron belebt nicht nur das 2006 abgeschaffte Planungskommissariat neu, das nach dem Krieg vom damaligen Staatschef Charles de Gaulle eingerichtet worden war. Es dirigierte in Fünfjahresplänen die französische Wirtschaft, und heute verbinden viele Bürger damit eine glückliche Zeit des Aufschwungs. Nein, Macron belebt auch Bayrou wieder, politisch gesehen. Denn: Dem braven Mann aus der Provinz hängt eigentlich eine lästige Finanzaffäre an, die ihn vor drei Jahren zum Rückzug von der nationalen Bühne zwang.
2017 musste Bayrou als Justizminister zurücktreten, nur einen Monat, nachdem Macron ihn ernannt hatte. Ende 2019 wurden die Ermittlungen ausgeweitet. Es geht um den Verdacht, Bayrous Mitte-Partei Modem könnte sich über Scheinbeschäftigungsverhältnisse auf EU-Kosten illegal finanziert haben.
Doch Macron, als Erneuerer der französischen Politik angetreten, stört das offenbar nicht mehr. Eine mögliche Erklärung: Der Präsident ist im Parlament inzwischen auf die Stimmen von Bayrous Partei angewiesen, weil seine eigene Fraktion die Mehrheit verloren hat.
Seinen neuen Posten hat sich Bayrou, 69, in gewisser Weise selbst geschaffen. Den ganzen Sommer lang hat er Macron zur Reaktivierung des Planungskommissariats gedrängt. Der Präsident erfüllt ihm den Wunsch nun und rehabilitiert ihn damit in der nationalen Politik.
Der praktizierende Katholik Bayrou kokettiert gern mit seiner Herkunft von einem Bauernhof. Ihn darauf zu reduzieren, wäre allerdings ein Fehler: Bayrou ist auch ein intellektueller Kopf. Der studierte Altphilologe, ehemaliger Lehrer für Griechisch und Latein, ist Autor zahlreicher Bücher. Darunter eine Biografie des schillernden Renaissancekönigs Heinrich IV., die in Frankreich ein Bestseller wurde.
Bayrou selbst schaffte es zwar nie auf den Thron, respektive an die Spitze des Staates. Bei der Präsidentschaftswahl 2007 erreichte er mit 18,5 Prozent der Stimmen aber einen Achtungserfolg. "Falls ich gewählt werde, ändert sich in Frankreich nichts", sagte er damals im Wahlkampf. Das sollte ein Stabilitätsversprechen sein. Jetzt muss dieser Mann maximale Dynamik entfalten.