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Anna Schuster: "Wir arbeiten nicht in Kollektionen. Wir wollen mit den Sachen arbeiten, die sonst keiner mehr will." (Foto: Elisabeth Dostert)

Die Modedesignerin Anna Schuster ist Mitgründerin des Londoner Start-ups Joa. Sie näht aus Altkleidern Parkas und Bomberjacken. Viel zu viel Ware lande auf dem Müll.

Von Elisabeth Dostert

Anna Schuster, 24, trägt eine geblümte Bluse, eine schwarze Culotte und Sneakers. Alles ist gebraucht. In konventionelle Modeläden geht sie nur noch sehr selten, sagt sie. Was die junge Frau braucht, kauft sie in Läden und Märkten für Vintage-Mode und Secondhand. Schuster ist Modedesignerin, sie kauft Gebrauchtes oder näht aus Altkleidern Neues. Upcycling nennt sich das. Die alten Textilien gewinnen an Wert.

Ende 2018 hat sie ihren Master am London College of Fashion gemacht und gemeinsam mit zwei Kommilitoninnen, Julie Chaussande und Oliva Weber, das Start-up Joa gegründet. "London ist eine tolle Modestadt", sagt Schuster, "und da ändert sich gerade etwas. Das Interesse an nachhaltiger Mode, die Ressourcen schont, die Umwelt weniger belastet und die Näherinnen nicht ausbeutet, wächst," beobachtet sie.

Nach einer Studie der 2010 von der ehemaligen Profi-Seglerin Ellen MacArthur gegründeten Stiftung, die sich der Kreislaufwirtschaft verschrieben hat, werden jede Sekunde Textilien, die einen Müllwagen füllen könnten, verbrannt oder entsorgt. 2015 habe die Textilindustrie mehr Treibhausgase ausgestoßen als internationale Flüge und Seeschifffahrt zusammen.

"Wir arbeiten nicht im klassischen Kollektionstakt", so Schuster. Mehrere Kollektionen im Jahr sind für sie ein Merkmal von Fast-Fashion-Konzernen wie H & M oder Zara. Joa arbeitet in Projekten. Schuster zieht zwei Bomberjacken aus einer Reisetasche. Sie sind Teil der ersten Kollektion, die Joa für einen Wohlstätigkeitsladen in London entwickelt hat. Die Altkleider - Anzüge, Kleider, Blusen - hat Joa aus dem Laden. "Wir wollen mit den Sachen arbeiten, die sonst keiner mehr will", sagt Schuster. Die Jacken verkaufen sie jetzt auf ihrer Online-Seite, und ein Teil der Erlöse geht an den Wohltätigkeitsladen.

Schuster stammt aus einem kleinen Ort in Bayern. Ihre Mutter ist Floristin, der Vater Ingenieur. "Heimat und Natur bedeuten mir viel." Mit 13 Jahren hat sie bei einer Schneiderin im Nachbarort nähen gelernt und sich schon bald aus alten Kissen und Vorhängen Taschen und später Klamotten genäht. Sie studierte an der Mediadesign Hochschule in München Modedesign und machte ein Praktikum bei Erdem in London, einem Hersteller luxuriöser Roben. "Das war spannend", erinnert sich Schuster. Aber sie hat auch gesehen, wie viel Mode auf dem Müll landet, Roben, die nicht verkauft werden.

Ihre erste Kollektion hat sie 2015 in München entwickelt. Sie hat alte Jeans in schmale Streifen oder Flecken zerlegt und aus den Teilen Bomberjacken gewoben oder in Patchwork gearbeitet. Dann ging es zum Master nach London im Fach Fashion Futures. Auf Dauer will Schuster dort nicht leben, so cool es war. Sie will zurück nach München und dort das Konzept von Joa verbreiten. "Wir suchen Schneiderinnen, die nach unseren Schnitten Parkas und Bomberjacken aus Altkleidern nähen."

In London bekommen ihr zufolge Gründer sehr viel mehr und leichter Unterstützung als in Deutschland. "In Deutschland wird er oder sie in der Mode leichter angenommen, wenn man schon im Ausland Erfolg hatte." Aber das hält Schuster nicht davon ab, es in Deutschland zu versuchen. Diese Woche ist Schuster nach Hongkong geflogen. Mit ihrer Masterarbeit hat sie es in das Finale eines Wettbewerbs von Redress geschafft, einer Nichtregierungsorganisation, die den Konsum von Mode verändern will. Für ihre Kollektion Anna Meets X hat Schuster mit einem Uhrmacher und einem Grafiker kooperiert, und sie war in einem Altenheim. Ein paar alte Frauen haben für sie Flicken gestrickt, die sie dann zu Jacken verarbeitet hat. Sie haben viel geredet. "Für die alten Frauen ist Kleidung kein Wegwerfartikel. Für die hat sie einen Wert."

© SZ vom 29.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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