Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Alles auf eine Karte

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Oliver Kray will mit einer App die Postkarte revolutionieren. Vor allem aber will er auf ganzer Linie gewinnen und sucht daher nach einem Weg, Schreibern das Adressieren zu ersparen.

Von Christoph Gurk

Wenn Oliver Kray von Herausforderungen spricht, sagt er das englische Wort, "Challenge". Adressen, zum Beispiel, können so eine "Challenge" sein, weil es doch nicht sein kann, dass man sie heute, in Zeiten von Smartphones, immer noch braucht, um Post zu verschicken. "Wer weiß denn heute noch die Straße, Hausnummer und Postleitzahl seiner Freunde?", fragt Kray. Niemand, natürlich, und das ist gerade die Challenge, schließlich ist Kray Gründer von My Postcard, einem Start-up, das per App die gute alte Postkarte wiederbeleben möchte.

Einst der Klassiker der Urlaubsgrüße, ist die Postkarte heute eher zweite Wahl. Umfragen zeigen: Mehr als die Hälfte der Deutschen meldet sich heute nur noch digital aus dem Urlaub. 2017 wurden zwar nach Angaben der Deutschen Post immer noch 195 Millionen Postkarten transportiert, drei Jahre zuvor waren es aber noch 15 Millionen mehr. Keine rosigen Geschäftsaussichten also. Was will ein junger Gründer dann aber ausgerechnet mit altmodischen Ansichtskarten? Fragt man Kray, sagt er: "Gewinnen."

37 Jahre alt ist Kray, ein bisschen sieht er aus wie früher Ex- Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, bevor der die Start-up-Welt entdeckte: Die Haare nach hinten gegelt, Polohemd und Wildlederslipper. Früher, sagt Kray, habe er Graffiti gesprüht in seiner Heimatstadt Berlin, dann begann er ganz legal Fassaden zu bemalen, erst für kleine, dann für große Firmen. 2012 gewann er den Deutschen Fassadenpreis und auf das Dach der Mercedes Benz Arena in Berlin malte er einen 50 Meter breiten Stern. So ist das immer bei Kray: "Wenn ich etwas mache, dann mache ich das 100 Prozent." Doch so gut das Fassadengeschäft lief, hatte es doch einen Nachteil: Es war nicht skalierbar.

Dann kam 2013 ein Urlaub in Griechenland. Kray wollte eine Postkarte verschicken, ihm fehlte aber ein Stift, eine Marke und auch ein Briefkasten. Alles viel zu kompliziert, fand Kray, und so entdeckte er seine Geschäftsidee: My Postcard. Nutzer können in der App ihre eigenen Karten gestalten, mit Fotos aus dem Handy oder Instagram-Konto. Für 1,99 Euro druckt und verschickt My Postcard sie in die ganze Welt.

2014 ging das Unternehmen an den Start. Um es zu finanzieren, löste Kray seine Bausparverträge auf. Am Anfang klebte er noch selber das Porto auf und verteilte Flyer mit Werbung. 100 Prozent eben, nur wer gewinnen will, gewinnt. Glaubt man Kray, hat sich die Mühe gelohnt: Eine Million Nutzer hätten sich die Anwendung schon aus dem App-Store geladen. Dort gäbe es auch die Apps Funcard von der Deutschen Post oder Postcard von Cewe. Sie sind aber keine Konkurrenz für Kray: "Die wollen nur Marktteilnehmer sein. Ich will die Postkarte revolutionieren." Wie das gehen soll, zeigt er gleich auf seinem Handy: In der App kann man nicht nur eigene Fotos hochladen, man findet auch ganz klassische Postkartenmotive, den Eiffelturm, die Brooklyn Bridge, Positano. Kray hat die Lizenzen von Verlagen gekauft, und nun kann man die Bilder mit eigenen Fotos mischen. "Wir sind die Postkarte, die du wirklich willst", sagt er.

Zwei Millionen Karten würden sie heute im Jahr verschicken, sagt Kray, meistens aus oder nach Deutschland. Dank eines Start-up-Programms des Bundeswirtschaftsministeriums hat My Postcard jetzt auch ein Büro in New York. "Ein hartes Pflaster", sagt Kray, "wer da Mist baut, ist sofort weg." Wieder eine Herausforderung, eine Challenge, ganz so, wie Kray es mag. Vom Big Apple aus will er die USA erobern, dazu noch Rahmen und Fotobücher anbieten. Selbst die Challenge mit dem Versand ohne Adressdaten wird er bald lösen, da ist Kray sich sicher. Warum? "Ich kann einfach nicht verlieren."

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Quelle:
SZ vom 02.08.2018
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