Wer in diesem Sommer entspannt und auch noch mit gutem Klimagewissen in den Urlaub aufbrechen will, hat es schwer. Im Zug von Hamburg Richtung Berge? Keine bequeme Vorstellung hinter Masken und ohne Mindestabstand im Großraumwagen. Von München aus mit Kindern über volle Autobahnen an die Nordsee fahren? Auch keine verlockende Alternative. Wohl selten war die Sorge von Urlaubern größer, gerädert anzukommen, als in Corona-Zeiten.
Ein kleines Eisenbahnunternehmen mit Sitz in Hamburg sieht genau darin seine Chance. Denn der private Bahn-Anbieter RDC startet von Juli an ein neues Angebot, das lange von gestern schien. Zu langsam, zu teuer, zu wenig geschätzt: Nachtzüge galten eigentlich als Auslaufmodell, seit die Deutsche Bahn 2016 aus dem Geschäft ausstieg und nur wenige Strecken an die österreichische Staatsbahn ÖBB zum Weiterbetrieb übergab. Doch nun wagt sich RDC mit eigenen Zügen an den Start. Der neue Alpen-Sylt-Nachtexpress soll am 4. Juli zu seiner Premierenfahrt aufbrechen.
Zwei Mal wöchentlich wird er bis September von Sylt nach Salzburg und zurück rollen. Die Strecke führt über Husum, Hamburg, Frankfurt und München und Prien am Chiemsee. Sie ist so gewählt, dass sie mehrere Großstädte mit Ferienregionen im Süden und Norden des Landes verbindet. Billig wird das Aufwachen in den Bergen oder am Strand nicht. Die Tickets kosten ab 399 Euro pro Fahrt und Richtung im Liegewagen - unabhängig vom Einsteigeort. Sie gelten aber für das ganze Abteil und bis zu sechs Personen - inklusive Bettwäsche und Handtüchern. Für Gruppen oder Familien kann sich die Sache rechnen. Wer abends einsteigt, ist morgens am Ziel, hat den ganzen Tag vor sich, ohne für ein Hotel zu zahlen. Masken bräuchten die Passagiere im eigenen Abteil nicht, heißt es bei RDC.
Schon vor der Corona-Krise war der Druck der Politik gewachsen, das Angebot auf der Schiene in Deutschland wieder auszubauen. Ende vergangenen Jahres starteten mehrere deutsche Grünen-Politiker eine Initiative für ein europäisches Nachtzugnetz, "nicht aus Nostalgie", sondern als "attraktive Alternative zum europäischen Flugverkehr". Auch die FDP spricht sich dafür aus, CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer steht einem Ausbau des Nachtverkehrs "offen" gegenüber. Die Deutsche Bahn aber tut sich schwer und plant bislang keinen Wiedereinstieg.
Doch die Chance auf eine Renaissance des Nachtzugs wächst. Denn das Fliegen dürfte in der Corona-Krise deutlich teurer werden. Wer morgens am Ziel sein will, könnte auf die Schienen ausweichen. Auch die ÖBB hofft auf einen guten Start, wenn ihre Züge, die auch Strecken von Hamburg nach Wien und Zürich bedienen, ab Monatsende nach wochenlangem Corona-Stopp wieder fahren. Vor der Krise habe man wegen der Klimadebatte immer vollere Abteile registriert, sagt ein ÖBB-Sprecher. "Ab Sommer rechnen wir wieder mit verstärkten Reisen." In Hamburg denkt man längst weiter als von Sylt nach Salzburg. Weitere Strecken könnten folgen, heißt es. Zum Beispiel nach Skandinavien.