Karlsruhe/Lübeck (dpa/tmn) - Noch ein paar Stunden bis zur Prüfung - und der Lernstoff sitzt nicht annähernd: Wenn die Zeit drängt, bleibt oft nur die Nachtschicht. Aber bringt die auf den letzten Drücker überhaupt etwas?
Da gehen die Meinungen auseinander.
„Für die Mehrheit trifft das nicht zu“, sagt Oliver Broschart, Vorsitzender des Berufsverbands für Studien- und Laufbahnberatung, Orientierung und Information an Hochschulen in Baden-Württemberg. „Ich weiß aus Erfahrung, dass es immer mal wieder einzelne Fälle von Studierenden gab, die dazu in der Lage waren, Wissenslücken in der Nacht vor einer Klausur zu füllen. Aber das sind tatsächlich Einzelfälle.“
Wer vorher noch gar nicht ins Buch geschaut habe oder bei den Vorlesungen war, der habe auch mit einer Nachtschicht keine Chance auf Erfolg. „Wie auch? Je nach Fach können es ganze Buchreihen voller Informationen sein, die dann fehlen“, sagt Broschart. „Dann müsste man eher überlegen, die Reißleine zu ziehen und noch mal auf Start zurück zu gehen.“
Spickzettel für Zuhause
Nicht ganz schwarz für die Nachtschicht sieht Linda Wulff. Die Ergebnisse des Last-Minute-Lernens müssten nicht unbedingt schlechter sein, sagt die Productivity Coachin. Sie sieht sogar einen entscheidenden Vorteil im Lernen auf Zeit: „Ich muss mich extrem auf das Wesentliche konzentrieren und mich sehr stark fokussieren.“
Hier kommt das sogenannte Pareto-Prinzip ins Spiel. Demnach erreicht man mit 20 Prozent des Einsatzes 80 Prozent der Ergebnisse. „Wenn ich also extrem wenig Zeit habe, würde ich gucken, was sind die 20 Prozent der Quellen, auf die ich mich jetzt fokussieren kann, die die allerwichtigsten Informationen enthalten“, rät Wulff. Das könne ein gutes Fachbuch sein - oder jene 20 Prozent des Lernstoffs, die die Professorin oder der Professor immer wieder betont und wiederholt hat.
Auch die so genannte Spickzettel-Methode könne beim fokussierten Lernen helfen. „Man kann sich fragen, was sind die wichtigsten Informationen, die auf einen Spickzettel drauf müssten“, so Wulff. „Durch dieses extreme Herunterbrechen und Hinterfragen der Informationen wendet man automatisch die Pareto-Methode an und lernt die Infos schneller auswendig, so dass der Spickzettel am Ende nicht mehr gebraucht wird.“
Pausen nicht vergessen
Wulff empfiehlt zudem, den Lernstoff nicht nur aufzuschreiben, sondern selbst einmal mündlich wiederzugeben. „Alleine durch ein In-Worte-Fassen der Informationen verfestigt sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit mehr und ich kann schneller erkennen, wo ich noch Verständnislücken habe“, erklärt die Productivity Coachin. Um Informationen schneller aufzunehmen, helfe es generell, verschiedene Lernkanäle zu nutzen. Durch Visualisierungen könnten wir uns etwa Inhalte leichter abrufbar machen.
Vergessen sollte man aber auch bei Zeitdruck eines nicht: Pausen einlegen.
Studien zufolge nehme die menschliche Leistungsfähigkeit schon nach wenigen Minuten und dann kontinuierlich ab, sagt Wulff. „Das bedeutet, man sollte allerspätestens nach einer Stunde Arbeit fünf Minuten Pause machen.“ Und das möglichst nicht am Schreibtisch. Also: Aufstehen, den Kreislauf in Schwung bringen, bewegen, den Blick schweifen lassen, die Handgelenke stretchen, nicht aufs Handy gucken - und in jedem Fall etwas trinken.
Nachtschichten vermeiden
Wem das Last-Minute-Lernen zu stressig und zu riskant ist, dem hilft aber womöglich vor allem ein guter Lernplan.
Der sollte möglichst frühzeitig erstellt werden, rät Oliver Broschart. Und immer wieder an die Umstände angepasst und überarbeitet werden. „Man beginnt mit kleinen Schritten und steigert das Lernpensum von Zeit zu Zeit. Je kontinuierlicher man am Ball bleibt, desto besser funktioniert es“, so der Studienberater. Wichtig sei, die unangenehme Aufgabe, das Lernen in eine positive Erfahrung umzuwandeln. „Positiv wird es dann, wenn ich Erfolge habe.“
Gegen Aufschieberitis empfiehlt Broschart, sich in Lerngruppen zu vernetzen und verbindliche Termine mit sich selbst zu setzen. „Wenn ich einen fixen Termin mit mir mache, zu welchem ich von dann bis dann die und die Aufgabe löse, ist es verbindlicher als zu sagen: Heute lerne ich Mathe.“
Den Schweinehund austricksen
Auch Linda Wulff rät, sich regelmäßige Lern-Termine zu setzen. Um den eigenen Schweinehund zu überwinden, könne man zudem auf die Timeboxing-Methode setzen.
Dafür stellt man einen Timer auf die Zeitspanne, die der innere Schweinehund mitspielt - aber maximal auf eine Stunde. „In dieser Zeit konzentriere ich mich. Danach mache ich in jedem Fall etwas kleines anderes“, erklärt Wulff. „Und dann setze ich mich wieder hin und arbeite maximal 60 Minuten.“ Das trainiere einen darauf „zu merken, es ist nichts Schlimmes, sich für eine gewisse Dauer zu konzentrieren.“
Für ganz lustlose Lerner, die trotzdem Leistung bringen müssen, empfiehlt sie die „5-Minuten-Regel“. Dabei arbeite man erst mal nur fünf Minuten. „Wenn ich dann noch immer keine Lust habe, höre ich wieder auf“, sagt Wulff. „Aber meistens arbeitet man dann einfach weiter - denn der Anfang kostet oft die meiste Überwindung.“
© dpa-infocom, dpa:230322-99-50222/2