"Was alles man darüber lesen und hören kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen." Das ist einer der berühmtesten Sätze der deutschen Wirtschaftsgeschichte, und er hat dem Sprecher und seiner Firma unendlich viel Ärger eingebracht. Der das gesagt hat, am 3. Februar 2002 im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Bloomberg, war Rolf-Ernst Breuer, damals 64 Jahre alt und als Vorstandssprecher der Deutschen Bank auf dem Höhepunkt seiner beruflichen Karriere.
Die traditionsreiche Deutsche Bank, gegründet 1870 noch vor der Gründung des Deutschen Reichs, war um das Jahr 2000 auf dem Sprung, weltweit eines der wichtigsten Finanzhäuser zu sein, womöglich auf Augenhöhe mit den großen Spielern in den Vereinigten Staaten und in Asien. Und Breuer fand sichtlich Gefallen an der Macht, die damit für ihn persönlich verbunden war. Hintergrundgespräche mit ihm im Gästehaus der Deutschen Bank fanden in eleganter Atmosphäre bei gutem Essen statt und waren für Journalisten inhaltlich lohnend. Breuer, in dunklem Tuch korrekt gekleidet, saß gravitätisch in der Mitte der Tafel, erklärte die Welt, lächelte mitunter bei Fragen vielsagend und ließ einiges erkennen über das, was ihn bewegte.
Breuer hatte etwas getan, was man in seiner Position nie machen darf: über seine Kunden reden.
Der gebürtige Bonner, Jahrgang 1937, war ein deutscher Großbanker alter Schule. Erst kam die Banklehre, auch schon bei der Deutschen Bank in Mainz und München, dann ein Jura-Studium in Lausanne, München und Bonn: beste Adressen. In seiner Geburtsstadt wurde er 1967 promoviert, da arbeitete er bereits in der Filiale Karlsruhe der Deutschen Bank. Während die "Achtundsechziger" den Staat infrage stellten, schaffte er den Sprung in die Konzernzentrale nach Frankfurt am Main, in die Börsenabteilung, die er ab 1974 leitete. 1985 wurde er Mitglied im Vorstand, 1997 Sprecher des Vorstandes, wie es dort hieß, also Chef. In den folgenden Jahren bis 2002 war er einer der mächtigsten Männer der deutschen Wirtschaft, seine zahlreichen Ämter in der Wirtschaft und seine Kontakte gaben ihm Einfluss, er wusste fast alles.
2002 dann war für Breuer ein Schicksalsjahr. Nicht nur, weil er seinem Nachfolger Josef Ackermann Platz machen musste, der noch mehr bestimmte, noch mehr wusste und noch mehr in die Öffentlichkeit ging. In der nach außen strahlenden Ära Ackermann begannen die großen Krisen, die strategischen Fehler, der Machtverfall der einst so kraftstrotzenden Bank, von dem sie sich bis heute mühsam erholt. Für Breuer persönlich war 2002 auch deshalb ein Jahr, das er garantiert nie wieder vergessen hat, weil er sich das erwähnte Bloomberg-Interview leistete, das fortan sein Leben mindestens in der Außenwahrnehmung bestimmte.
Es ging dabei um den vielschichtigen Konzern des Unternehmers Leo Kirch, der im Medienbereich so mächtig war wie Breuer in der Finanzwelt. Die Deutsche Bank war einer der Geldgeber der Kirch-Gruppe, und deshalb war es ein Paukenschlag, als der Bankchef im Interview beiläufig wiedergab, was "alles man darüber lesen und hören kann", wie es der Kirch-Gruppe finanziell gehe, nämlich schlecht. Als diese kurz darauf tatsächlich in die Knie ging, machte Kirch Breuer dafür verantwortlich und forderte Schadenersatz von ihm und der Bank. Der so erfahrene Banker hatte etwas getan, was man in seiner Position nie machen darf: über seine Kunden reden.

Frankfurt:Früherer Deutsche-Bank-Chef Breuer ist tot
Der ehemalige Vorstandssprecher und Aufsichtsratsvorsitzende ist am Mittwoch im Alter von 86 Jahren nach längerer Krankheit verstorben.
Was folgte, war ein erbitterter juristischer Krieg in vielen Instanzen und Gerichtssälen, der bis 2014 dauerte. Breuer gewann und verlor. Einmal wurde ein Schadensersatzanspruch gegen die Bank bestätigt, nicht aber gegen Breuer persönlich, dann wurde die Höhe dieses Anspruchs reduziert, aber Breuer auch persönlich in die Pflicht genommen, so ging es hin und her, die teuersten Anwälte der Republik kreuzten die Klingen. Leo Kirch war längst verstorben, aber Breuer war immer noch mittendrin und manchmal im Gerichtssaal. Dort beteuerte er seine Unschuld, nie habe er Kirch mit dem Interview schaden wollen: "Was mir unterstellt wird, ist ungeheuerlich und ehrenrührig." Das Gericht dagegen nannte sein Verhalten sittenwidrig. Am Ende musste die Bank fast eine Milliarde Euro zahlen, sie nahm bei ihrem früheren Chef Regress, verlangte ihm 3,2 Millionen Euro ab, seine Managerhaftpflicht musste ein Vielfaches zahlen. Vom Vorwurf des versuchten Prozessbetrugs im Zusammenhang mit den Kirch-Wirren wurde Breuer zusammen mit anderen Spitzenleuten der Deutschen Bank freigesprochen. Es war ein Freispruch erster Klasse.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Breuer auch das Amt als Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank, das er nach der Zeit als Vorstandschef, wie das damals üblich war, übernommen hatte, längst verloren - er war mit seinem großen Plan, mit der Deutschen Börse in Frankfurt, wo er ebenfalls Aufsichtsratsvorsitzender war, die London Stock Exchange zu kaufen, an Gegenspielern im Finanzmarkt gescheitert.
Danach wurde das Leben des Bank-Rentners ruhiger. Er engagierte sich im kulturellen und im Bildungsbereich, war Sprecher des Hochschulrates der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität und Ehrensenator, Vorsitzender des Kuratoriums der Kulturstiftung der Länder und vieles andere mehr. Es war ein spätes Nachglühen und eine Reminiszenz an die Zeit, als die Deutsche Bank im Deutschland AG genannten Netzwerk einflussreich und in der Gesellschaft zentral engagiert war. Heute ist sie nach der Bilanzsumme zwar immer noch die größte deutsche Bank, hat aber weder in der Industrie noch beim kulturellen Engagement im Land außergewöhnlichen Ehrgeiz. Am 22. Mai 2024 ist Rolf-Ernst Breuer, wie die Bank am Donnerstag bekannt gab, im Alter von 86 Jahren "nach längerer Krankheit im Kreise seiner Familie" gestorben.