Nachruf:Goethes Faust und das Geld

Nachruf: Hans Christoph Binswanger hielt Wachstum für faulen Zauber: „Wenn es immer mehr Wachstum gibt, dann muss es weniger von etwas anderem geben“.

Hans Christoph Binswanger hielt Wachstum für faulen Zauber: „Wenn es immer mehr Wachstum gibt, dann muss es weniger von etwas anderem geben“.

(Foto: oh)

Zum Tode des Ökonomen Hans Christoph Binswanger. Er hielt Wachstum für faulen Zauber: "Wenn es immer mehr Wachstum gibt, dann muss es weniger von etwas anderem geben".

Von Markus Zydra

Über die Verheißungen des Kapitalismus haben sich Philosophen in vielen dicken Büchern ausgelassen. Doch Hans Christoph Binswanger genügten ein paar Worte. Die Menschen sähen da ein Versprechen. Man lebe in einem Wirtschaftssystem, das aus "wenig immer mehr machen" könne. Für den Schweizer Ökonomen, der im Alter von 88 Jahren in St. Gallen gestorben ist, drückte dieses Prophezeiung das "Magische an der Ökonomie" aus. Doch Binswanger hielt es für faulen Zauber. "Wenn es immer mehr Wachstum gibt, dann muss es weniger von etwas anderem geben", sagte er und zählte auf: Der Platz auf der Erde werde knapper, ebenso die Ressourcen der Natur, dazu kämen die Kosten der Umweltverschmutzung. Wachstum, so Binswanger, habe Kosten, doch diese Kosten ziehe niemand ab bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts. Er gilt als Erfinder der Ökosteuer und er kritisierte seine Zunft, die sich im Klein-Klein ihrer mathematischen Modelle verfangen habe.

Binswanger stellte die großen Fragen und antwortete in verständlichen Worten. Er studierte Volkswirtschaft in Zürich und Kiel, promovierte 1956 an der Universität Zürich und lehrte von 1969 bis zur Emeritierung 1994 als Professor an der Universität St. Gallen. Einer seiner Studenten war der spätere Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann. Binswanger mischte sich auch nach seiner Pensionierung politisch ein. Er hat zum Höhepunkt der globalen Finanzkrise in Goethes Faust nachgelesen, was der Dichter und Wirtschaftsminister am Weimarer Hof über den Kapitalismus dachte. Binswanger schrieb darüber das Buch "Geld und Magie - eine ökonomische Deutung von Goethes Faust". Er meinte, die Welt sei "süchtig" nach Wachstum geworden. Faust sei der erste global denkende Unternehmer gewesen und habe verstanden, dass die Wirtschaft dem göttlichen Schöpfungsprozess nahekomme.

Die Notenbanken würden heutzutage die Rolle des Alchemisten spielen, der aus Nichts Geld macht. Doch jeder gedruckte Geldschein stifte mehr Schaden als Nutzen, sagte Binswanger 2010 im SZ-Interview. Die Welt habe zu viel Geld, Investoren und Unternehmer wüssten nicht mehr, wofür sie es einsetzen sollen. "Das Geld vermehrt sich schneller als die kreative Fantasie", sagte Binswanger. Es sind klare Sätze wie dieser, über die es sich lohnt, politisch nachzudenken. Schließlich stellen sie die Frage, ob sich die Menschheit in ihrem Wachstumsstreben nicht verrannt hat.

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