Nachruf:Der gute Mensch aus dem Silicon Valley

Campbell

Die großen Unternehmer vertrauten ihm und setzten sich auch mal spontan an seinen Pool: Bill Campbell war vor allem gefragt, wenn es ums Menschliche, ums gute Miteinander ging.

(Foto: OH)

Er war Ratgeber und Coach für Leute wie Apple-Gründer Jobs oder Amazon-Chef Bezos, vor allem, wenn es ums Menschliche ging. Jetzt ist Bill Campbell gestorben.

Von Kathrin Werner

Am Abend traf man Bill Campbell in seiner Kneipe. Old Pro ist eine ehrliche amerikanische Bar, mit dünnem Bier, dicken Hamburgern und Fernsehern an der Wand, auf denen immer irgendein Football- oder Baseballspiel läuft. In der Ecke hängt eine Blechplakette für Campbell, den Stammgast und Miteigentümer: "Coach's Corner" steht darauf. Hier saß Campbell, Spitzname: Coach, trank Bier, aß Chicken Wings, klopfte Witze mit seiner rauen Stimme und verpasste seinen Kumpeln seine berühmte Bärenumarmung. Das alles wäre nicht sehr interessant, wenn Campbells Freunde nicht Steve Jobs, Larry Page oder Jeff Bezos hießen.

Eine moralisch-emotionale Instanz wie ihn kann die Branche gut gebrauchen

Das Old Pro liegt in Palo Alto, mitten im Silicon Valley. Campbell war eigentlich kein Kneipier, sondern Berater von fast jedem, der in Amerikas Hightech-Industrie etwas zu sagen hat, einer der wichtigsten Strippenzieher. Campbell kannte jeden, jeder kannte ihn im eng vernetzten Valley, außerhalb aber kaum jemand. Er war keiner, der seinen Namen gern in der Zeitung las. An diesem Montag ist der legendäre Mentor gestorben, er wurde 75 Jahre alt.

Das Silicon Valley verliert keinen großen Erfinder, keinen Technik-Guru. Es verliert seine moralisch-emotionale Instanz - und damit etwas, das die Branche gut gebrauchen kann. "Das ist ein sehr trauriger Tag", schrieb Eric Schmidt, der ehemalige Chef von Google, als er von Campbells Tod erfuhr. "Bill hat als Mentor für mich, Google und alle Unternehmern aus dem Valley eine Schlüsselrolle gespielt." Dick Costolo erzählt, Campbell habe ihn an seinem letzten Tag als Chef des Kurznachrichtendiensts Twitter noch angerufen und "sowohl die witzigsten als auch die hilfreichsten Kommentare abgegeben". Und Jeff Bezos, Gründer und Chef von Amazon, schreibt wie direkt an seinen verstorbenen Freund: "Du hast so viele beraten. Deine Weisheit und Wärme werden im Gedächtnis bleiben." Apple-Chef Tim Cook sagt: "Wir werden seine Weisheit, Freundschaft, Humor und Liebe zum Leben vermissen."

Campbell hatte eine ungewöhnliche Karriere. Mit Technik und dem Silicon Valley hatte er lange gar nichts zu tun, er war Coach. Er studierte Wirtschaft und Lehramt an der renommierten Columbia University in New York und spielte währenddessen als Kapitän des Football-Teams. Nach dem Studium war er jahrelang Football-Lehrer, wechselte dann zu einer Werbeagentur und später zur Fotofirma Kodak, wo er aufstieg und auffiel: wegen seiner Persönlichkeit, nicht wegen Technik-Tüftelei.

Apple, der oberste Technik-Tüftler, holte ihn 1983 als Marketingvorstand nach Kalifornien. Er arbeitete Jahre für den Konzern, später für ein Start-up, das Tablet-Computer baute. In den Neunzigerjahren leitete er die Software-Firma Intuit. Später wurde er Mitglied einer Reihe von Aufsichtsräten, unter anderem von Intuit und Apple, die in den USA großen Einfluss auf Unternehmensentscheidungen haben.

Aber die Ämter, die Campbell offiziell bekleidete, waren nicht das, was ihn zur Legende im Silicon Valley machte. Er war da, wenn seine Freunde in den Technik-Unternehmen seinen Rat brauchten. Meist verlangte er dafür kein Geld. Er sagte einmal, dass er das Gefühl hat, er stehe in der Schuld des Silicon Valley und wolle sie begleichen. Die Manager baten ihn bei strategischen Entscheidungen um Hilfe, wenn es zum Beispiel darum ging, wie sie ein Meeting gut organisieren oder Kandidaten für Vorstandsämter einschätzen wollten. "Ich bin nicht innovativ, ich unterstütze Innovationen. Ich werde nie eine Produktidee haben, die irgendwas taugt", sagte Campbell im Unternehmensberatermagazin McKinsey Quarterly über sich in einem seiner wenigen Interviews. "Aber ich stelle sicher, dass die richtigen Leute im Raum sind und dass auch die extremen Spinner eine Chance bekommen, etwas beizutragen." Als sich die einstigen Geschäftspartner Google und Apple um die Jahrtausendwende herum immer mehr zerstritten, gehörte Campbell beiden Aufsichtsräten an. "Wenn du ihnen hilfst, schadest du mir", sagte Jobs damals zu ihm, schreibt das Magazin Fortune. Campbell antwortete nur: "Ach was, ich kann nicht mal HTML. Ich bringe ihnen nur bei, wie ihre Firma besser läuft."

Apple-Gründer Jobs kam bei seinen Wochenend-Spaziergängen, die er zum Nachdenken brauchte, oft einfach bei Campbell vorbei und klingelte. Oder er ging einfach in den Garten und setzte sich an den Pool. Jobs war es, der Campbell bat, in Apples Aufsichtsrat zu kommen. Dort war er von 1997 bis 2014, länger als jeder andere. Jobs, selbst inzwischen verstorben, sagte über Campbell: "Er hat etwas zutiefst Menschliches an sich." Es ist ein ungewöhnlicher Satz über jemandem im Silicon Valley, wo verkopfte Technikmenschen und große Egos üblicher sind als ein Typ, der sich vor allem als Coach für andere sieht. "Er liebt Menschen", sagte Jobs. "Und er liebt es, Menschen wachsen zu helfen."

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