Zuletzt ging es bei Aldi um Wurst. Um den Vorwurf, Wursthersteller hätten seit Jahren ihre Preise abgesprochen. Der Kompass der Wurstbörse soll ausgerechnet der Discounter gewesen sein: Aldi. Höhere Wurstpreise im Billig-Supermarkt hieß: Wurstpreise hoch. Niedrigere Preise hieß: Preise runter. Aldi also nicht nur als Billig-Discounter. Aldi jetzt auch als so etwas wie der nationale Wurstpreis-Index.
Aldi ist eine Großmacht im Handel, und zwar international. Gegründet von den Aldi-Brüdern Theo und Karl. Theo starb vor vier Jahren; Karl, der reichste Mensch Deutschlands, starb am vergangenen Mittwoch, in seiner Villa im Essener Stadtteil Bredeney. Es passt, dass die Todesnachricht erst Tage später an die Öffentlichkeit geht - bei den Albrechts gingen vor allem immer nur die Kassenbänder schnell. Alles andere: diskret, öffentlichkeitsscheu, eher langsam. Die Familie wollte Zeit und Ruhe, um den Konzernpatriarchen auf dem Essener Friedhof beizusetzen.
Wer sich zuletzt auf die Suche nach Karl Albrecht machte, fand zumindest Spuren des Unternehmers. Auf dem Klingelschild steht sein Nachname. Schwarz auf Weiß. Hinter einer dünnen Plastikschicht klebt ein bedruckter Papierstreifen, acht Buchstaben: Albrecht. Hinter dem Schild führt an fünf Laternenmasten eine kurze Einfahrt zum Haus hinauf. Unten weißer Putz, das obere Stockwerk ist mit dunklem Holz verkleidet. Über den schwarzen Dachziegeln donnern Flieger. Das Haus liegt nahe der Einflugschneise des Flughafens Essen-Mülheim, keine Glamour-Gegend, eher gutbürgerlich. Vor dem Tor und rund um das Haus wachsen hinter einem schulterhohen grünen Stahlzaun Rhododendron-Hecken. Hier also wohnte er, der reichste Mensch Deutschlands. Das Phantom.
"Ein ganz normaler Mensch"
Er hätte sich jeden Luxus leisten können. Er hätte sein Geld spenden, sich als Wohltäter feiern lassen können. Aber all das tat Karl Albrecht nicht. Wer wissen wollte, warum, konnte das schon zwei Jahre vor seinem Tod erfahren - und sich in Essen-Bredeney umschauen. Zum Beispiel das Blumengeschäft Franz und Scharf. Zwei blaue Blumenkübel standen damals vor dem großen Schaufenster. Drinnen roch es nach Rosen und nasser Erde. Annelore Manzius begrüßt hier die Kunden. "Der Karl Albrecht, der kauft hier seine Blumen", sagte sie. "Ein ganz normaler Mensch, wie du und ich. Auf der Straße würden sie ihn nicht erkennen." Das Wort "normal" wiederholte sie drei Mal. Er sei "zurückhaltend und sehr nett". Mittlerweile schicke sie ihm die Blumen per Post, schließlich sei er nicht mehr so gut zu Fuß. Vor allem über Pfingstrosen freue er sich. Aber mehr könne sie darüber nicht sagen. Er kaufe auch nur hier ein, weil er wisse, dass sie nichts sagt.
Karl Albrecht steckte seine Milliarden nicht in Prunk, nicht in Luxusimmobilien, nicht in Lamborghinis, und schon gar nicht in irgendwelchen lukrativen Großbeteiligungen in der Industrie. Ein Großteil des Eigentums soll in einer Stiftung liegen, vor allem sind es Anteile an Aldi. Die Spur des Geldes, sie führt nach Eichenau, einen verschlafenen Vorort von München. Hier sitzt die Siepmann-Stiftung. Im Gewerbegebiet liegt ein Aldi-Zentrallager, an das ein karges Bürogebäude angehängt ist. Dort wird Karl Albrechts Vermögen verwaltet, es ist eine Art Geldspeicher. Die Stiftung dient den "gemeinsamen Interessen der Angehörigen der Familie Albrecht", heißt es dort. Drinnen gibt es einen Wartesaal, indem als einzige Zeitschrift der "Aldi-informiert"-Prospekt ausliegt. Fragen beantwortet niemand. Die Stiftung ist so verschwiegen, dass selbst alteingesessene Eichenauer nicht wissen, dass Milliarden ausgerechnet hier, schräg gegenüber der freiwilligen Feuerwehr des Ortes, verwaltet werden.
Zu der Stiftung gehören zwei Unterstiftungen, die medizinische und kulturelle Projekte fördern. Welche Projekte das sind und wie viel Geld fließt? Unbekannt. Jeder, der hier Karl Albrecht kennt oder kannte, sagt auf Nachfrage reflexartig: Er spendet sehr, sehr viel. Aber Genaueres will niemand erzählen. Was man sich erzählt, ist: Er soll sehr viel in die Krebsforschung gesteckt haben.
Im Gegensatz zu dieser Spendenbereitschaft steht die Sparsamkeit der Albrechts, sie ist sprichwörtlich. All diese Anekdoten über die Pfennigfuchserei der Brüder. Sie sollen in Räumen immer zuerst das Licht ausgemacht haben, Bleistifte wurden bis zum Stummel runtergeschrieben. Nur ein einziges Luxusgut soll sich Karl Albrecht in seinem Leben geleistet haben: 1976 ließ er das Golfhotel Öschberghof bei Donaueschingen bauen. 179 Euro pro Nacht. Ein Fünf-Sterne-Tempel mit Spa und Pure-Gold-Radiance-Facial-Gesichtsmasken.
Linktipp:
- "Ich habe Glück gehabt, sehr viel Glück": Kurz vor seinem Tod hat Karl Albrecht erstmals mit einem Journalisten gesprochen.