Youtube:lonelygirl15, die erste große Lüge

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So sieht lonelygirl15 alias Bree heute aus. (Foto: Screenshot Youtube "lonelygirl15")

Vor zehn Jahren führte die Youtuberin lonelygirl15 die Welt an der Nase herum. Aus heutiger Sicht kann man sich nur wundern: Wie naiv waren die Zuschauer eigentlich?

Von Michael Moorstedt

Genau zehn Jahre ist es her, dass ein junges Mädchen namens Bree die Welt veränderte, indem sie unter dem Namen lonelygirl15 Videos auf Youtube stellte. Unerhört, was man da zu sehen bekam: einen authentischen Einblick in das Leben eines jungen Menschen, vermeintlich ungefiltert, unreflektiert. Die Eltern dämlich, die Jungs kompliziert und das Leben an sich zu gleichen Teilen langweilig und überfordernd.

Ihre Videos waren mit die ersten, die über eine Million Aufrufe bekamen. Die Sache hatte nur einen Haken: Bree hieß in Wahrheit Jessica Rose und kam frisch von der Schauspielschule. Das war die erste Webserie der Welt.

Internet
:Good bye, lonelygirl15

Sie war eine der Kultgestalten beim Videoportal YouTube. Die Geschichten der 16-Jährigen, die von streng religiösen Eltern daheim erzogen wurde, zogen eine stetig wachsende Fangemeinde an. Die muss sich nun ein anderes Idol suchen. Bree, alias loneleygirl15, ist ein Werbegag.

Natürlich könnte man jetzt lonelygirl15 als den ersten im Netz geborenen Star würdigen und es dabei belassen. Das Jubiläum ist aber ein prima Anlass, um Internet-Archäologie zu betreiben. Denn mit dem Wissen der Gegenwart scheint es niedlich-naiv, was da abgelaufen ist. Denn obwohl die Autoren keine böse Absicht hegten, war der Aufschrei groß, als herauskam, dass die Geschichte von Bree nur erfunden war. Es war den Menschen einfach nicht verständlich, dass das, was die junge Frau da erzählte, nicht die Wahrheit sein könnte.

Niemand glaubt mehr irgendjemandem auf Youtube

Heutzutage sieht das anders aus. Das Publikum ist gegenüber neuen Narrativen inzwischen abgehärtet. Im Netz wird vorausgesetzt, dass man es mit Fiktion in der einen oder anderen Form zu tun hat, sei es mit Lügen, übler Nachrede oder einfach nur einer gut erzählten Geschichte. Kein Wunder, dass Mesh Flinders, einer der Erfinder des Formats, zum Anlass des Jubiläums sagt, würde lonelygirl15 heute spielen, wären die Menschen ihnen schon nach der zweiten Episode auf die Schliche gekommen. Zu offensichtlich sind die dramaturgischen Kniffe, zu ungelenk der Plot.

Nicht nur der Inhalt, auch die Form hat sich gewandelt. Heute werden Spielfilme auf Snapchat veröffentlicht, Miniserien auf Instagram oder dem Kurzclipdienst Vine lassen die zweieinhalb Minuten, die ein lonelygirl15-Video dauerte, wie eine Marathonvorstellung wirken. Hier haben einzelne Episoden eine Länge von sechs oder 15 Sekunden. Es bleibt abzuwarten, wie sich Mesh Flinders halten wird in der neuen Medienrealität, die er miterfunden hat. Eines, sagt er, sei sicher: "Seit damals glaubt niemand mehr irgendjemandem auf Youtube."

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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