Süddeutsche Zeitung

Nachhaltigkeit:Schwein gehabt

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Eine Initiative von Landwirten setzt auf tierfreundliche Schweinemast. Inzwischen haben sich auch Metzgereien angeschlossen und verkaufen Fleisch von Ferkeln, die auf Stroh und nicht auf Beton gehalten wurden.

Von Tanja Busse

Der Hof der Familie Lang liegt in Stierbaum in der Oberpfalz. Schreinermeister Ludwig Lang ist vor 20 Jahren eher unfreiwillig zum Landwirt geworden. Sein Bruder war bei einem Unfall ums Leben gekommen. Lang mästet Schweine. 2001 brannte dann der Stall auch noch ab, und Lang baute ihn neu auf, wieder als Stall mit Stroheinstreu. Er ignorierte den damaligen Stand der Technik trotzig. Viele Mäster entschieden sich damals für Vollspaltenböden aus Beton. "Unser Hof liegt mitten im Dorf, da hätten die Behörden Gülle eh nicht erlaubt", sagt Lang. "Außerdem bin ich überzeugt, dass Stroh besser ist für die Schweine."

Seit Jahren wird die Diskussion über den Umgang mit Tieren in der Landwirtschaft geführt. Tierschützende kritisieren die qualvolle Haltung von Schweinen, Hühnern und Puten in riesigen Mastanlagen auf engstem Raum ohne Tageslicht. Viele Landwirte sagen, sie produzierten nur das, was der Markt verlange, und dies sei nicht teures Fleisch aus besserer Haltung, sondern billiges. Es gab in den vergangenen Jahren viele Reformvorschläge, es wurden Siegel entwickelt. Auch das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, die sogenannte Borchert-Kommission, machte Vorschläge. Diese sollen nun umgesetzt werden, haben die Agrarminister gerade beschlossen. Doch zunächst fordern sie eine Machbarkeitsstudie. Viele Millionen Mastschweine werden ihr Leben also weiterhin hinter Gittern und auf hartem Beton verbringen.

Die Pflege der Ställe macht viel Arbeit, die nicht extra bezahlt wird

Zur Zeit bekommt ein Mastbetrieb für ein rund hundert Kilo schweres Schwein etwa 145 Euro. Die Ferkel hat er für 30 bis 80 Euro gekauft und vier Monate versorgt. Vor allem kleine Betriebe können damit knapp überleben, doch ein Stallumbau für mehr Tierwohl lässt sich mit solchen Preisen kaum finanzieren. Tausende Schweinehalter haben deshalb ihre Höfe aufgegeben, seit 2013 fast ein Fünftel aller Betriebe. Ein Trend, der auch für Bauernhöfe allgemein gilt: 1970 gab es laut Bauernverband noch mehr als eine Million landwirtschaftliche Betriebe, 2017 nur noch knapp 270 000.

Schweine sind neugierige und soziale Tiere, in der Natur suchen sie nach Nahrung im Boden, Stroh ist ein guter Ersatz zum Wühlen und Spielen. Doch Einstreuen und Ausmisten machen viel Arbeit, die in der konventionellen Fleischindustrie nicht extra bezahlt wird. "Ich habe 13 Jahre lang erfolglos nach einer guten Vermarktung gesucht", sagt Lang, der auch für seinen innovativen Ackerbau ausgezeichnet wurde.

Max Kraus aus Bernau ging es genauso: 1996 hat er seinen Stall umgebaut, "weil mich die Zufriedenheit der Schweine auf Stroh so fasziniert hat und weil ich dachte, dass der eine oder andere Metzger das honorieren werde." 700 bis 900 Euro kostet der Stallumbau etwa pro Mastplatz. Doch auch Kraus musste lange warten, bis er einen Weg fand, sein Fleisch zu vermarkten.

Die Erfahrung, dass nicht alle bereit sind, für besseres Fleisch mehr zu zahlen, musste auch Hans Siegel machen. Er ist Regionalleiter der Restaurantservices von Siemens in Nordbayern. Er beschloss eines Tages, der Geiz-ist-geil-Mentalität etwas entgegen zu setzen und orderte Bio-Fleisch für die 25 000 Mittagessen, die sein Team täglich serviert. Doch die Kantinenbesucher fanden das Essen zu teuer. Erst ein Fernsehbeitrag und Berichte in Fachzeitschriften über einen Metzger, der nach Strohschweinen suchte, brachte alle zusammen - die Mäster, die Metzger und auch Hans Siegel. Ludwig Lang und seine anfangs skeptischen Kollegen schlossen sich 2017 in der IG Bayrisches Strohschwein zusammen. "Ich musste die Kollegen erst überzeugen, viele haben mich für verrückt erklärt und gesagt, das funktioniert nur im Kleinen."

Gemeinsam einigten sich Landwirte und Metzger auf Kriterien und Preise: Jedes Schwein bekommt mindestens 400 Gramm Stroh am Tag und 30 Prozent mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben, also einen Quadratmeter statt 0,75. Das Futter für die Tiere muss überwiegend vom eigenen Hof stammen und gentechnikfrei sein. Dafür bekommen die Schweinemäster 34 Cent mehr pro Kilo Schlachtgewicht, Auslauf für die Schweine wird zusätzlich honoriert, und die Lebensmittel-Prüfstelle QS kontrolliert die Einhaltung.

Restaurantchef Siegel fuhr zum Schweinestall von Landwirt Lang, und seitdem gibt es in der Betriebskantine von Siemens in Nordbayern "bis auf wenige Convenience-Produkte ausschließlich Strohschweine". Seit eineinhalb Jahren gehört auch der Münchner Wiesnwirt und Gastronom Toni Roiderer zu den Kunden. "Das war die Idee vom Junior", erzählt Roiderer. Der habe ihm gesagt: "Papa, man soll sich nicht gegen Neuheiten verschließen, der Verbraucher möchte doch Vertrauen haben."

"Stroh verringert die Gefahr schmerzhafter Gelenkentzündungen."

Auch den Metzgern geht es ähnlich. "Wir fahren zu jedem Bauern in den Stall und sehen jedes Tier lebendig", sagt Franz Höcherl, der zusammen mit seinem Bruder eine Metzgerei bei Regensburg betreibt. "Persönliche Beziehungen zu den Lieferanten sind uns wichtiger als der günstigste Preis."

Die Brüder schlachten nur Tiere aus einem Umkreis von 15 Kilometern, aber für Ludwig Langs Strohschweine machen sie eine Ausnahme. Die meisten seiner Strohschweine fährt Lang zur Metzgerei Greiner in Greding, ein Familienbetrieb in der vierten Generation - keine zehn Kilometer vom Stall entfernt. Auch wird dort nicht im Sekundentakt geschlachtet wie in den großen Fleischfabriken, sondern mit Ruhe. "Durch die Strohhaltung kommen die Schweine relaxter bei uns an, das merkt man auch am Fleisch", sagt Josef Greiner. Den Preis für Braten und Wurst in der Ladentheke habe er langsam erhöht, 30 bis 35 Cent mehr fürs Kilo verlangt er inzwischen. Der Metzgermeister hat die Handwerkskunst seiner Urgroßeltern bewahrt und ist stolz darauf. "Wir haben 25 Sorten Rohwurst und luftgetrockneten Schinken im Angebot. Das machen wir alles selbst." Inzwischen hat die IG Bayrisches Strohschwein etwa 60 Mitglieder.

Können solche Wertschöpfungsketten ein Modell gegen das Höfesterben und für mehr Tierschutz sein? "Es ist super, wenn sich Landwirte selbst einen Weg weg vom Massenmarkt suchen", sagt Gesa Busch. Die Agrarökonomin forscht an der Uni Göttingen zu Verbraucherkommunikation zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft. Sie befürwortet regionale Initiativen, bei denen mitgeteilt wird, woher das Fleisch kommt. "Sie bringen mehr Transparenz ins Ernährungssystem." Wenn Verbraucher mehr Informationen bekämen, könnte das zu einem Umdenken führen.

Auch Ina Müller-Arnke, die Tierwohl-Expertin der Tierschutz-Stiftung Vier Pfoten lobt die Initiative. "Stroh verringert die Gefahr schmerzhafter Gelenkentzündungen, wie auf den sonst harten Betonspaltenböden üblich." Beide Expertinnen fordern von den Landwirten, nur noch Schweine einzustallen, denen die Ringelschwänze nicht kupiert wurden. Das wird umso leichter, je mehr Konsumenten mitziehen.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2020
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