Nachhaltigkeit:Mitbringsel, die was bringen

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Clouberry-Gründerin Chalwa Heigl will Firmen und Parteien statt Wegwerfprodukten sinnvolle und nachhaltige Alternativen anbieten. (Foto: Florian Peljak/Florian Peljak)

Kugelschreiber, Minitaschenlampen und Feuerzeuge: Giveaways von Firmen und Parteien sind oft öde und machen viel Müll - Chalwa Heigl will zeigen, dass es anders geht.

Von Helena Ott

Es geht jetzt um jede Stimme: Auf Marktplätzen und in Fußgängerzonen werden gelbe, rote, blaue, grüne Schirme drapiert. Ziel der Parteimitglieder ist es, so viele Gespräche wie möglich zu führen, die über die Begrüßungsformel hinausgehen. Zwei Wochen harter Straßenwahlkampf. Lockmittel wie Gummibärchen, Zollstöcke oder Windrädchen sollen es den Passanten erschweren, gleichgültig am Stand vorbeizulaufen. Je näher der Termin der Bundestagswahl am 26. September rückt, desto größer wird auch die Materialschlacht.

Mit welchen Mitteln, das bleibt den Ortsverbänden selbst überlassen. In Bremerhaven verteilt ein SPD-Abgeordneter Heringsfilets aus der Konserve. Die Grünen in Erfurt versuchen es mit kleinen Papierschultüten mit Knete und Buntstiften. Soweit, so unverfänglich. Bis die FDP in einem Wahlkreis Kochlöffel mit dem Spruch "Koche mit Liebe - Wähle mit Verstand" verteilte. Statt Freude über die Zuwendung hagelte es auf Twitter Häme und Empörung über ein Give-Away, das sich nur all zu leicht als fehlendes Verständnis von Gleichberechtigung sehen lässt.

Die Gründerin Chalwa Heigl hat solche Kopfschüttel-Momente dutzendfach erlebt - auf Messen, an Wahlständen und nach dem Öffnen von Goody Bags bei Veranstaltungen. Billige Schlüsselbänder, Feuerzeuge: "Was soll da für eine Message dahinter stecken?" Heigl ärgerte sich oft über die vollgestopften Mülleimer, in denen am Ende Kosmetikproben, Notizbücher und Miniventilatoren landeten. Doch anstatt sich zu beschweren, destillierte die 53-Jährige aus dem Problem eine neue Geschäftsidee: nämlich aus öden Wegwerfprodukten nachhaltig produzierte Geschenkideen zu machen, die Unternehmen wirklich etwas bringen.

"Es muss nicht alles bio oder ökologisch sein", sagt die Gründerin

Dazu brauchen sie Anregungen und Auswahl, dachte Heigl. Deshalb gründete sie im Frühjahr 2020 das Start-up Clouberry. Im Onlineshop werden über 170 Produkte vorgestellt. Die Auswahl treffen Chalwa Heigl und ihr Team selbst. Sie achte darauf, dass die Artikel und ihre Verpackung umweltschonend produziert sind, sagt sie. "Aber es muss nicht alles bio oder ökologisch sein. Für mich ist etwas auch nachhaltig, wenn es wertig verarbeitet und damit langlebig ist." Ihr drittes Auswahlkriterium sind Produkte, die einen sozialen Mehrwert schaffen, wie das Münchner Kuchenback-Lable "Kuchentratsch", das Senioren zum Backen engagiert.

Heigl arbeitet so als eine Art Kuratorin und sucht in Läden, Onlineshops und auf Messen nach Geschenkideen, die sich als "Corporate Gifts", wie sie die Produkte in ihrem Shop nennt, eignen. Die Clouberry Homepage verheißt, Heigl und ihr Team wollten den "Werbemittelmarkt revolutionieren". Das hört sich hochgegriffen an. Vielleicht ist es zu hochgegriffen. Wer allerdings Chalwa Heigl an einem Montagmorgen in ihrem Münchner Büro trifft, der traut ihr einiges zu. Da steht sie in knallgelben Signalfarben vor einem und erklärt sturzbachartig ihre Ideen für das passende "Storytelling" für unterschiedlichste Marken. Was so viel heißt, wie die Kernbotschaft von Unternehmen in eine Erzählung einzubinden.

Chalwa Heigl ist noch am Anfang von dem, was sie ihre Revolution nennt. Aktuell arbeiten frei und angestellt sieben Mitarbeiter für Clouberry. Aber dass sie Biss hat und flexibel ist, hat sie bereits gezeigt. Denn der Start des Onlineshops fiel direkt auf den ersten Lockdown im März 2020. Vorbei waren die Gelegenheiten, bei denen man sonst Kundenhände schütteln konnte, keine Messen, keine Feste - nichts. Aus dieser Not heraus entwickelten Heigl und ihr Team die Idee der "Digi-Gifts". Das sind analoge oder digitale Geschenkkarten, über deren Link oder QR-Code der Kunde zu einer Auswahl möglicher Geschenken kommt. Er kann selbst wählen, welcher Artikel ihm gefällt und hinterlegt seine Wohnadresse für den Versand. "Das ist eigentlich noch nachhaltiger, weil man sich die Trinkflasche dann zum Beispiel noch in der richtigen Farbe aussuchen kann", sagt Heigl.

Sie ist der Kreativkopf bei Clouberry, mag es an Konzepten zu schleifen und Ideen zu spinnen. Mit 23 Jahren hatte sie ihre erste PR-Agentur gegründet. Aber wenn es zu sehr um die Routine geht, wird ihr langweilig. Das ist auch der Grund, warum sie in ihren über 20 Unternehmerjahren immer wieder von vorne begonnen hat. Mit 53 Jahren ist sie eine Art Serientäterin in der Gründerszene. Und das Risiko? Heigl hat das Glück, mehr in Chancen zu denken. "Jetzt dachte ich auch wieder, wenn das mich stört, muss es doch auch andere stören", sagt sie.

Mit Clouberry will Heigl Firmen oder Parteien wegführen, von großen Warenlagern mit Plastikkugelschreibern, sogenannter Streuware und billig produzierten Schirmen. Aber wohin? Auf die Kundenlisten kleiner Start-ups, die umweltbewusst produzieren. "Denn das positive Image eines kleinen Start-ups, das ein nachhaltiges Produkt herstellt, strahlt auf das Unternehmen ab", sagt Heigl und nimmt eine dunkelblaue Trinkflasche aus Kunststoff in die Hand. Dezent und unten am Rand ist das Logo eines großen Automobilkonzerns platziert. Aber hergestellt hat der Konzern die Flasche nicht, sondern das Londoner Start-up "Ocean Bottle". Die Firma verspricht, für den Kauf jeder Flasche elf Kilogramm Plastikmüll aus dem Meer zu fischen.

Es ist wichtig, dass die Geschenke die DNA des Unternehmens transportieren

Die Onlinehändlerin steht vor einem ganzen Sideboard voller Produkte, die auf der Clouberry-Seite ausgestellt sind. Kugelschreiber aus gepresstem Gras, Duftkerzen in schickem Design, die wiederbefüllbar sind, und Lunchboxen aus recyceltem Kunststoff. Manche stehen für sich, sagt Heigl, etwa ein To-Go-Becher aus Kaffeeresten, weil er eben zeige, dass das Unternehmen umweltfreundlich und innovativ denke, sagt Heigl. Und dann gäbe es andere Produkte, die erst wirken, wenn ein passendes Motto gefunden ist. Für Clouberry verschickt Heigl selbst zum Beispiel Karten mit Pflanzensamen, die nach dem Lesen in die Erde gesteckt werden können. Wenn es dann hoffentlich auch klappt, passt dazu der Spruch "Auf eine blühende Zusammenarbeit", findet Heigl.

2019 haben Unternehmen 3,6 Milliarden Euro für Werbemittel ausgegeben, ermittelt der Verband der Werbeartikel-Wirtschaft (GWW). Das sind die zweithöchsten Ausgaben für Werbung nach TV-Spots. "Über jede Wirkung wird im Unternehmen bis ins Kleinste nachgedacht", sagt Chalwa Heigl, "nur da nicht." Mit einem großen deutschen Versicherer musste sie erst lange diskutieren, warum er nicht mit Feuerzeugen werben könne, sagt Heigl. Einerseits Rabatte bei Fitness-Abonnements geben und dann Raucher animieren - das passt nicht zusammen. Obwohl der Etat oft groß ist, sehen viele Unternehmen in Give-Aways harmlose Kleinigkeiten. Das kann jeder bestätigen, der mal in einem größeren Konzern Praktikum gemacht hat und bei einer Veranstaltung großflächig die selbigen verteilen durfte.

"Die Unternehmen lassen da so viel Potential liegen", sagt die 53-Jährige. Zum einen, weil sie es versäumen, dem Ganzen eine Botschaft mitzugeben. Die SPD macht in ihrem Parteishop vor, wie es anders geht. Da können Ortsverbände als kleine Geschenke rote Zollstöcke bestellen. "Für gute Arbeit" steht darauf. Ob man einen Zollstock nun anziehend findet oder nicht, er unterstreicht das, wofür die SPD stehen will. Bei den "Corporate Gifts" ginge es darum "die DNA des Unternehmens zu transportieren", sagt Heigl. Deshalb mag sie den angestaubten Begriff "Werbemittel", wie es in der Branche heißt, auch nicht.

Ihre unterschiedlichen Rollen im Beruf, helfen ihr jetzt

Chalwa Heigl ist Händlerin, sie kennt das Geschäft von beiden Seiten. Sie weiß, wie es ist selbst kleine Geschenkideen zu produzieren. Vor 12 Jahren hat sie das Start-up "Der Gugl" - kleine runde Kuchenpralinen mit Loch - erfunden. Aber sie kennt das Give-Away-Problem auch aus der Sicht von Marketingabteilungen großer Unternehmen. Das bringt ihr jetzt Vermittlerqualitäten. Gerade wenn kleine Start-ups noch keine Erfahrung mit Firmenaufträgen haben. Nicht wissen, wie sie ihr Produkt für andere individualisieren könnten. Oder eben wenn Unternehmen nicht wissen, welcher Werbeartikel zu ihnen passt und welches Motto sie Kunden mitgeben möchten.

Heigl ist keine Umweltaktivistin, sie ist eine Geschäftsfrau. Aber sie begeistert sich für findige Ideen, wie man Ressourcen schonen kann und weiß, was angesagt ist. Und ihr ist klar, dass Unternehmen auch an dem Kundeninteresse an nachhaltigen Produkten künftig nicht vorbei kommen. Und die unerschrocken auftretende Frau in Gelb hat eben kein Problem damit, groß zu denken. In ihrer Vision wird aus Clouberry in den nächsten Jahren ein großer Marktplatz, auf dem sich auch Anbieter und Unternehmen selbst finden und austauschen.

In diesem Wahlkampf sieht man ziemlich genau, welche Parteien schon Geld in kluge Kommunikatorinnen und Kommunikatoren gesteckt haben. Von der Seife bis zum Einkaufschip in Form eines D-Mark-Stücks ist alles dabei.

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