Taxonomie:Diese EU-Regel könnte die Energiewende in Deutschland ausbremsen

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Windpark im Sönke-Nissen-Koog an der Nordsee. Solche Anlagen sind für die EU-Taxonomie nicht automatisch nachhaltig. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Europa will unabhängig werden von russischem Gas, die Erneuerbaren sind für Finanzminister Lindner "Freiheitsenergien". Ausgerechnet die EU könnte den Ausbau von Wind- und Sonnenkraft aber ins Stocken bringen.

Von Petra Blum, Verena von Ondarza und Nils Wischmeyer, Köln

Finanzminister Christian Lindner (FDP) war deutlich: "Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien." Ein Projekt wie dieses sollte da ganz nach seinem Geschmack sein: Eine deutsche Bank finanziert ein Windkraftprojekt mit 20 Millionen Euro. Damit macht sie die Energieerzeugung nachhaltiger - und Deutschland unabhängiger von Putins Gas.

Doch ausgerechnet diesen Kredit darf sich die kreditgebende Bank künftig nicht als "grün" in die Bilanz schreiben. Was absurd klingt, dürfte für viele Kredite in Deutschland gelten und damit im schlimmsten Fall die deutsche Energiewende bremsen, wie Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zeigen.

Ohne das grüne Label in der Bilanz entfallen für Banken viele Anreize, grünere Projekte wie Windräder oder Photovoltaikanlagen günstiger zu finanzieren. Einen Nachhaltigkeitsbonus für bestimmte Projekte gibt es dann nämlich nicht, und ohne den sind die Kredite für Windparks oder Solaranlagen nicht so attraktiv, wie sie vielleicht sein sollten. Die mögliche Folge: Die Energiewende kommt nicht so schnell, wie Wirtschaft und Politik das gerade wegen der Abhängigkeit von Russland gerne hätten.

Wie gravierend der Einschnitt sein könnte, zeigt eine Präsentation der Deutschen Kreditbank (DKB), die als "intern" gelabelt ist. In einer Tabelle hat sie finanzierte Projekte gelistet: eines mit 2400 Windanlagen, eines mit 200 Solarparks oder ein weiteres mit 750 Windanlagen. Wenige Spalten daneben ist in den jeweiligen Zeilen ein fettes, rotes X zu sehen, das zeigt: Diese Finanzierungen darf die DKB nicht als nachhaltig in ihre Bilanz schreiben.

Viele Windparkprojekte fallen durch das Raster

Der kuriose Grund dafür findet sich in Artikel 8 der EU-Taxonomie, dem neuen Lexikon über grüne Anlagen der EU. Diese Klassifizierung teilt Investments in nachhaltig und nicht nachhaltig und soll gezielt mehr Investitionen in nachhaltige Projekte lenken. In der Taxonomie beschreiben die EU-Experten, dass eine Bank eine Finanzierung beispielsweise in ein Windrad nur dann als grün anstreichen darf, wenn sie zusätzlich zwei wesentliche Punkte erfüllt: Ein Windkraft-Unternehmen muss mehr als 500 Mitarbeiter haben, und es muss "kapitalmarktorientiert" sein, also beispielsweise Anleihen oder Aktien ausgeben.

Viele Windparkprojekte aber fallen durch dieses Raster. Wer einen Windpark baut, gründet meistens eine Projektgesellschaft mit fünf oder sechs Mitarbeitern und setzt sonst auf externe Kräfte. Auch kapitalmarktorientiert sind die Firmen meist nicht, sondern sie holen sich bei Banken das nötige Geld.

Dass diese Kredite nicht als grün gelten, ist wiederum ein Problem für Banken und womöglich für die ganze Energiewende. An dieser Stelle nämlich kommt eine zweite Regelung ins Spiel, die Anfang des Jahres in Kraft trat. Diese soll Banken dazu bringen, mehr grüne Kredite auszugeben und so ihre sogenannte "Green Asset Ratio" zu steigern, zu Deutsch: grüne Finanzierungsquote. Das ist eine Kennzahl, die Banken künftig ausweisen müssen und zeigen soll, wie grün die Kredite einer Bank sind.

Da viele Kredite nicht als grün gelten dürfen, könnte die "Grüne Finanzierungsquote" bei einer Bank, die viele Windkraftprojekte finanziert, womöglich bei null Prozent liegen. Eine Großbank, die wiederum Atom- und Gasunternehmen finanziert, hat dann womöglich eine bessere "Grüne Finanzierungsquote". Der Grund: Viele Firmen in diesem Bereich haben genug Mitarbeiter, sind kapitalmarktorientiert, und die EU sieht solche Projekte unter gewissen Voraussetzungen als grün an.

Für Andreas Gruber, Chef der Nachhaltigkeitsabteilung der DKB, hat das einen faden Beigeschmack. Die Tochtergesellschaft der Bayerischen Landesbank hat in den vergangenen Jahren viele Windkraftprojekte finanziert. "Jeder würde sagen, dass ein Windpark grün ist", sagt Gruber. "Dass wir das nicht ausweisen können, ist für uns das Gegenteil von Transparenz - und am Ende auch ein Wettbewerbsnachteil für uns." Zwar werde die DKB weiterhin kleine Projekte finanzieren, doch ein Problem gibt es allemal: "Banken haben durch diese Taxonomie keinen zusätzlichen Anreiz, in erneuerbare Energien zu investieren", sagt er.

Gruber ist mit dem Problem nicht allein. Die GLS, die sich selbst die erste Ökobank der Welt nennt, finanziert viele nachhaltige Projekte, die aufgrund der Regelung nicht als grüne Anlage zählen. Vorstand Thomas Jorberg sagt: "Ich gehe davon aus, dass die Banken mit hohen Quoten damit werben werden, und damit ist es ein Nachteil für Banken, die jetzt den Mittelstand finanzieren." Er sieht zudem Nachteile für kleine Projektgesellschaften, die für Finanziers nicht mehr so attraktiv sind wie große Firmen.

Die EU will womöglich auch kleinere Unternehmen berücksichtigen - aber erst 2025

Auch große Unternehmen wie etwa die Stadtwerke München, die eine ganze Reihe von Projekten für erneuerbare Energien geplant haben, sehen bisher keine positive Wirkung bei den Krediten für nachhaltige Projekte - und das, obwohl jetzt in Deutschland schnell viele Milliarden mobilisiert werden müssten, um die Klimaziele zu erreichen. "Wir sehen diese erhofften Anreize für günstigere Kredite noch nicht auf dem Markt", sagt Sonja Schmutzer von den Stadtwerken München. Sie wären zwar groß genug, sind aber nicht kapitalmarktorientiert, sondern gehören der Stadt - und Banken können die Kredite deshalb nicht als grün verbuchen.

Eine einfache Lösung für solche Finanzierungsprobleme würde es DKB-Manager Gruber zufolge geben: Banken könnten freiwillig Kredite an kleinere Unternehmen in die Quote hineinrechnen - und die Kredite am Ende auch grün nennen. "Das wäre in meinen Augen eine sinnvolle Regelung, die auch im Sinne unserer Energiewende ist", sagt Gruber.

Nach Angaben der EU-Kommission ist die Regel so gewählt worden, damit kleine und mittlere Unternehmen so wenig bürokratischen Aufwand haben wie möglich. Sie schließt allerdings nicht aus, dass von 2025 an auch kleinere Unternehmen oder solche ohne Orientierung zu den Kapitalmärkten in die Berechnung einfließen könnten.

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