Nachhaltig einkaufen:Die Leiden des aufgeklärten Konsumenten

Avocado

Avocados sind gesund und außerdem hip - doch ihr Anbau alles andere als regional. Immer nur Gurke und Radieschen ist aber auch keine Lösung.

(Foto: lukasbarth.com)

Jede Anschaffung soll gesund, bewusst, nachhaltig sein: Als Verbraucher die Welt zu retten, war noch nie so schwierig. Doch zu hohe Ansprüche an sich selbst sind der falsche Weg.

Von Michael Kläsgen

Baby Theo greift nach dem Käsekuchen und löst folgenden Dialog aus: "Oh, der hat doch schon so viel davon gegessen. Ist das nicht zu viel Zucker?" "Nein, der ist doch mit Magerquark gemacht." Im Vergleich dazu habe so eine Banane viel mehr Zucker. Echt jetzt? Wie ist das eigentlich mit dem Zucker?

Das Gespräch landet beim Honig. Soll gut gegen Allergien sein. Aber nur, wenn er aus der Region kommt, der aus dem Supermarkt geht nicht. Wenn der Akazienhonig vom Imker nur nicht so teuer wäre.

Nie war Einkaufen so kompliziert, es gibt zu viele Fragen, die sich kaum beantworten lassen. Der moderne Konsument rennt im Hamsterrad seiner eigenen Ansprüche. Er hat die Erwartungshaltung der Gesellschaft an ihn verinnerlicht, merkt das aber nicht. Und er leidet darunter.

Die Dinge sind so vertrackt, dass eine Umfrage des Konsumforschungsinstituts GfK jetzt zu dem Ergebnis kam, dass sich jeder zweite Deutsche überfordert fühlt. Zu hohe Erwartungen, zu viele Optionen. Schritte zählen, Kalorien meiden, Bier lieber ohne Alkohol trinken, auf die Inhaltstoffe achten und Schokolade - wie sonst - ohne Zucker essen. "Das Leben ist voller gefühlter Regeln und sozialem Druck", heißt es in der Studie, die der Elektronikhändler Media Markt in Auftrag gegeben hat. Umfragen von Krankenkassen wie TK oder DAK bestätigen das. Vor allem die Facebook- und Instagram-Generation leidet - denn hier, in den sozialen Medien, wird man am intensivsten beobachtet.

"In den letzten zehn Jahren ist es das Ziel vieler Menschen geworden, ihr Leben bewusster, nachhaltiger und verantwortungsvoller zu gestalten", glaubt der Diplom-Psychologe Rolf Schmiel. Das Problem nur: Wer immer alles richtig machen wolle, fühle sich "auf Dauer überfordert und gestresst".

Einer der größten Stressfaktoren: Einkaufen. Einfach mal locker bummeln, das war gestern, Einkaufen ist zum politischen Statement geworden. Zu öko? Zu billig? Zu teuer? Man kann sich von anderen unterscheiden, indem man auf das Auto verzichtet oder einen Fernseher. Oder auf den Verzehr bestimmter Produkte.

Manche werden Veganer, nachdem sie Bücher über das Leid von Schweinen, Hühnern und Rindern gelesen haben. Andere empfinden das als Selbstkasteiung, sehen aber die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Veränderung. Sie wollen nicht auf Fleisch verzichten, aber nur solches konsumieren, das aus nachhaltiger Tierhaltung stammt. Andere kaufen sich gleich ein ganzes Rind auf der grünen Wiese für den Eigenbedarf, um nicht auf das Angebot geschundener Tiere beim Metzger angewiesen zu sein. Manchmal braucht es gar kein eigenes Rind, da reicht schon der Kauf einer eigenen Jeans, um den gesellschaftlichen Zwang zu spüren.

Dass sie nicht aus Bangladesch kommen darf, ist klar. Der rundum informierte, ethisch korrekt handelnde und nachhaltig denkende Kunde weiß, dass er mit seinem Kauf im reichen Westen das Leben ärmerer Menschen irgendwo auf dem Globus beeinflusst - natürlich zum Schlechten. Also: Keine Jeans, deren Bleichmittel die Hände von Menschen auf einem fernen Kontinent verätzen könnte. Aber wo findet man die? Sind Markenjeans besser oder schlagen die nur hohe Margen auf? Also Anbieter wie Hess Natur? Aber die müssen ihre Baumwolle doch auch irgendwo herbekommen. Und da hieß es doch neulich im Fernsehen, Baumwolle könne man im Prinzip gar nicht nachhaltig und ökologisch herstellen. Der aufgeklärte Konsument hat mehr Fragen als Antworten.

Die eigene Informiertheit macht das Leben schwer - und vergällt den Einkaufsspaß

Es fängt damit an, dass er nicht mehr weiß, welchen Informationen er noch vertrauen kann. Ist da, wo Bio draufsteht, auch wirklich Bio drin? Kann es stimmen, dass die Lebensmittel aus Italien geliefert wurden? Und wie sollen Bio und China bitte schön zusammengehen? Informieren kann man sich heute über die Herkunft der Produkte rund um die Uhr. Das Smartphone liegt immer in erreichbarer Nähe. Aber sind die Informationen nicht interessengeleitet und manipuliert? Der aufgeklärte Konsument von heute leidet unter seiner eigenen Informiertheit. Sie macht ihm das Leben schwer und vergällt ihm den Spaß am Einkaufen.

Was war die Welt doch früher einfach. Man war für oder gegen Atomkraft, für oder gegen Abtreibung, für oder gegen Aufrüstung. Auf der Homepage von Utopia, einer zur Internetplattform gewordenen Traumwelt des unbefleckten Konsums, zoffen sich die Adepten in der Kommentarspalte über Detailfragen. Nein, die Klimabilanz eines Laptops sei nicht besser als die eines Desktop-PC, schreibt da einer. So geht das zu jedem Thema. Quinoa? "Das gesunde Inka-Getreide"? Dazu schreibt jemand: "Fakt ist, dass Peruaner und Bolivianer (dort bin ich gewesen) sich Quinoa nicht mehr leisten können, weil wir reichen Europäer den wie die Gestörten importieren. Ich habe es dort in einer Gastfamilie am eigenen Leib gespürt, wie innerhalb von zwei Jahren Kinder hungrig in die Schule gehen müssen, weil sie früher Quinoa bekommen haben, der jetzt aber nicht mehr bezahlbar ist."

Andere behaupten, man könne so ethisch wertvoll shoppen, wie man wolle, wenn der Bezahlvorgang über eine klassische Bank abgewickelt werde, "werden die eigenen, guten, nachhaltigen Ideen ad absurdum geführt". Dann würden "wirklich sinnvolle Taten durch falsche Geldflüsse ins Gegenteil verkehrt." Dass könne bis hin zur Finanzierung von Tierleid, Krieg und Mafia führen.

Bei der Lektüre der Kommentare drängt sich das Gefühl auf, dass es vielleicht noch nie so schwierig gewesen sein kann wie heute, die Welt zu retten. Oder zumindest so zu konsumieren, dass man nicht allzu großen Schaden anrichtet.

Zum Beispiel Amazon. Einige kaufen da gar nichts mehr - wegen der Streiks und der schlechten Bezahlung. Wer bei Amazon kauft, sagt: Alles Quatsch, die zahlen mehr als zehn Euro pro Stunde. Die Gewerkschaften wollten mit den ewigen Streiks vor Weichnachten doch nur Mitglieder werben. Und wieder fehlt die Gewissheit darüber, was wahr ist.

Und wer kann schon belegen, dass derjenige, der online einkauft, zur Verödung der Innenstädte beiträgt? Wieder so eine moralische Frage, die die Gesellschaft beschäftigt - und sie mächtig stresst.

Hinzu kommt das Unbehagen, durch die sich rasant entwickelnde Technik im Internet übervorteilt zu werden. Es hat sich herumgesprochen, dass man an manchen Tagen im Netz für das gleiche Produkt mehr bezahlen muss als an anderen. Die Preise werden ständig angepasst und die Websites so aufgebaut, dass man zum Kauf verleitet wird. Der informierte Kunde weiß das und lehnt es ab. Aber er kann dem nicht entkommen. Plötzlich bietet der Onlinehändler 30 Prozent Rabatt, aber nur wenn man in den nächsten 15 Minuten bezahlt. Und auf Websites von Autovermietern poppen ständig Fenster auf, die vorgeben, dass gerade soundsoviel andere Menschen für den gleichen Tag nach einem Wagen in der gleichen Stadt suchen.

Stressfrei einkaufen geht anders.

Dabei ist das, technisch gesehen, nur der Anfang. Wenn erst personalisierte Angebote auf dem Smartphone aufblinken, sobald man an einem Laden vorbei schlendert, wird es wohl noch anstrengender. Dann muss der moderne Konsument mit dem großen gesellschaftlichen Erwartungspaket auf den Schultern in Sekundenschnelle entscheiden, ob er das Angebot hervorragend oder belästigend findet - daran muss man sich erst mal gewöhnen.

Der hoffnungslose Kampf des Einzelnen dagegen, sich zum Büttel der Konzerne machen zu lassen, trägt zur Überforderung bei. Die meisten wollen die Kontrolle über ihre persönlichen Daten behalten. Viele schrecken schon vor Kundenkarten und anderen Treue-Programmen bei Ketten wie dm, Rewe oder Kaufhof zurück, weil sie nichts über ihr Kaufverhalten preisgeben wollen. Mit dem Smartphone in der Tasche wird der Schutz der Privatsphäre aber immer schwieriger.

Eine Reaktion auf den Dauerstress und die permanente Überforderung sei die Flucht in Nischen, sagt Psychologe Schmiel: etwa die Flucht in den Veganismus, in Yoga-Kurse oder Wellness-Oasen. Für den Psychologen sind dies einfache, aber falsche Antworten auf eine zu komplex gewordene Welt. Falsch seien sie, weil sie auf Stress mit einem anderen Stress reagierten: Die Mühsal, das Leben in der Nische zu perfektionieren. Früher, meint Schmiel, habe man sich zum Entspannen einfach mal in die Badewanne gelegt.

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