Nachhaltig Bauen:Raus aus der Ökoecke

Deutschland hat die Technologien und das Geld, um den Städtebau nachhaltig zu gestalten. An manchen Orten gelingt das auch schon. Doch oft wird nur geredet, statt entschlossen zu handeln.

Von Marcel Grzanna

Für das Klima wäre es wohl das Beste, die Menschen blieben dort, wo sie geboren wurden. Doch viele ziehen vom Land in die Städte dieser Welt. In Deutschland und anderswo wachsen die Ballungsräume und stellen Stadtplaner damit vor immense Herausforderungen. Sie müssen Wohnraum schaffen, die Bildung von Ghettos verhindern und dabei Ressourcen sparen und die Umwelt schonen.

Die Weltgemeinschaft ringt um Lösungen und tut sich schwer. Beim UN-Klimagipfel im Dezember im polnischen Kattowitz verbreiteten Urbanisierungs- und Energiefachleute mehr Ernüchterung als eine Vision. Es hagelte Statistiken und Studien, die auf die Dringlichkeit eines nachhaltigen Städtebaus hinwiesen, statt bereits existierende Lösungsvorschläge in den Mittelpunkt zu rücken. Es gab massenweise kluge Wortmeldungen, die alle Probleme und Hindernisse bis ins letzte Detail sezierten, aber den Mut vermissen ließen, die Dinge entschlossen anzupacken.

Es geht nicht nur um das Klima, sondern auch um soziale Fragen

Bei vielen offenen Fragen wandert häufig der Blick nach Deutschland, wo viele neue Technologien zum nachhaltigen Bau von Gebäuden entwickelt werden und die Finanzwirtschaft ausreichend Geld zur Verfügung hat, die Pläne anzuschieben. Tatsächlich gibt es bereits viele Projekte, die Maßstäbe setzen. Beispiel Freiburg: Das neue Rathaus gilt als erstes öffentliches Plus-Energiegebäude der Welt, das mehr Energie produziert, als es verbraucht. Das von den Architekten Ingenhoven aus Düsseldorf entworfene Gebäude ist Preisträger des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2019 für "Nachhaltiges Bauen". Beispiel Hamburg: Das ehemalige Verlagsgebäude des Spiegel wurde saniert, dabei bauphysikalisch und wärmetechnisch optimiert, ohne seine Gebäudestruktur zu verändern. In Mannheim oder Heidelberg entstehen ganze Stadtteile neu, die klimafreundlich und sozial verträglich werden sollen. Und doch meint Christine Lemaitre, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB): "Es gibt einen großen Gestaltungswillen in Deutschland, aber wir müssen noch ambitionierter und mutiger werden. Mit unseren Gebäuden können wir einen signifikanten Beitrag zur Reduktion der CO₂-Emissionen leisten."

Klimastreber Deutschland? Allenfalls erst auf dem Weg dorthin, aber der gute Ruf des Landes als Vorreiter leidet zunehmend. Auch weil zu wenige Politiker eine echte Leidenschaft für den Bausektor entwickeln. Neue Gesetze und Verordnungen zeigen erst sehr langfristig ihre positiven Auswirkungen. Schnelle politische Erfolge lassen sich schwer erreichen. Dabei geht es nicht allein nur um das Klima. Schon Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat das Wohnen zur "sozialen Frage unserer Zeit" erklärt. Gerade jetzt, da die Bevölkerung immer älter wird, mehr Migranten in den Städten untergebracht werden müssen und Wohnraum immer knapper wird, sind Lösungen nötig, um friedliches und respektvolles Zusammenleben zu ermöglichen, wenn alle noch weiter zusammenrücken.

Deutlich mehr Sozialwohnungen können dabei helfen, unterschiedliche Einkommensklassen in den Wohnvierteln zu vermischen. Wissenschaftler mahnen aber, dass das nur sinnvoll ist, solange Sozialwohnungen im gleichen Gebäude mit frei finanzierten Wohnungen zur Verfügung stehen. Die Strategie dahinter: Wenn der Banker neben dem Bandarbeiter lebt, wird man sich nicht fremd. Doch seitdem Städte und Kommunen in den vergangenen Jahrzehnten ihren Wohnbestand meistbietend verkauft haben, sind es oft private Bauträger, die den Mangel an Sozialwohnungen beheben müssen. Deren Engagement aber ist begrenzt, weil die Angst vor kleiner Rendite groß ist. Der Bund will zwei Milliarden Euro zusätzlich in den sozialen Wohnungsbau stecken. Schafft der Staat neue Wohnflächen, muss er im Sinne eines gesunden Städtewachstums garantieren, dass die soziale Infrastruktur niemanden benachteiligt. Andernfalls entstehen Ghettos dort, wo billig gewohnt wird.

Als gelungenes Beispiel, wie Verdrängung gestoppt werden kann, gilt Wien mit 60 Prozent Sozialwohnungen. Das Erfolgsrezept: weniger Privatisierung. Die Wiener selbst scherzen, man sei eben in allem etwas langsamer und habe den Verkauf öffentlicher Liegenschaften einfach verschlafen. Das zahle sich jetzt aus, da klar wird, dass andere Kommunen um soziale Nachhaltigkeit ringen. Zumindest umwelttechnisch werden private Bauherren in Deutschland bald mit dem neuen Gebäudeenergiegesetz (GEG) in die Verantwortung genommen, das neue Vorgaben aus der EU umsetzt. Seit Beginn des Jahres gelten höhere Standards für Gebäude, die aus öffentlicher Hand finanziert und nicht als Wohnraum genutzt werden. In wenigen Jahren sollen auch alle privaten Wohnneubauten dem GEG unterliegen. Bis dahin muss der Staat auf die Freiwilligkeit der Investoren setzen. Er hilft mit Subventionen, doch zu viele Bauträger fürchten die Bürokratie, die stapelweise Papiere und Dokumente im Briefkasten ablädt. Andere sind einfach nicht bereit, mehr Geld für nachhaltige Gebäude auszugeben.

Architekturschau

Im regelmäßigen Turnus von zwei Jahren zieht die BAU als Weltleitmesse für Architektur, Materialien und Systeme für den Wirtschafts-, Wohnungs- und Innenausbau ein breites Spektrum von Besuchern an. Zur Zielgruppe gehören alle, die mit der Planung, dem Bau und dem Betrieb von Gebäuden aller Art zu tun haben. In diesem Jahr werden vom 14. bis zum 19. Januar mehr als 2200 Aussteller aus 45 Ländern ihre Neuheiten präsentieren. Erwartet werden mehr als 250 000 Besucher. Das Angebot gliedert sich nach Baustoffen sowie nach Produkt- und Themenbereichen. Mit insgesamt 18 Hallen auf 200 000 Quadratmetern wird die BAU 2019 die bislang größte Ausstellung in der 55-jährigen Geschichte der Messe sein. Vier große Leitthemen stehen für die BAU 2019: Digitales Planen und Bauen, Vernetztes Wohnen und Arbeiten, Systeme und modulare Bauweisen sowie smarte Lösungen für die Verbindung von Licht und Gebäuden. Zudem werden in einem Digital Village rund 20 Start-ups ihre Geschäftsideen, Dienstleistungen und Produkte präsentieren. Norbert Hofmann

Dabei ist das Potenzial groß. Neue Technologien und Materialien zur Energiegewinnung und -einsparung, der Einsatz von wiederverwertbaren Baustoffen und Bauteilen, dazu die gefahrlose Rückführung der verwendeten Materialien in den natürlichen Stoffkreislauf, aber auch die Vermeidung von Transportkosten durch örtliche Beschaffung können dem Klima helfen. Aber: "Noch immer herrscht in Deutschland kein ausreichendes Bewusstsein dafür, dass eine höhere Qualität von Baumaterialien gut für die eigene Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden sind", sagt Lemaitre. Bislang sei es in der öffentlichen Kommunikation nicht gelungen, nachhaltiges Bauen aus der Ökoecke herauszuholen.

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