Süddeutsche Zeitung

Nachbeben:Der Sieg der Maggie Thatcher

Brüssel will den Briten-Rabatt streichen - und schlägt einen Nachlass für alle Nettozahler vor.

Von Christian Wernicke

Der Satz ist Legende. I want my money back, tönte vor zwanzig Jahren Margaret Thatcher. Stundenlang pochte die damalige britische Regierungschefin darauf, Brüssel müsse London fortan zwei Drittel seines EU-Nettobeitrags zurück erstatten.

Am 26. Juni 1984, im Schlosssaal zu Fontainebleau, ging die "Eiserne Lady" ihren seinerzeit neun Amtskollegen so lange auf die Nerven, bis selbst der damalige Zahlmeister Europas, der Deutsche Helmut Kohl, sich geschlagen gab: Die EU-Chefs beschlossen eine vertrackte Formel, die als so genannter Briten-Rabatt dem Vereinigten Königreich seither etwa vier Milliarden Euro Tributzahlungen an Europa erspart. Jedes Jahr.

Späte Rache

Augenzeugen berichten, deutsche Finanzbeamten hätten an jenem Tag Tränen der Verzweiflung vergossen - weil Kohl zustimmte, Maggie's Rabatt bis in alle Ewigkeit festzuschreiben.

Das sollte sich rächen. Bis heute scheiterten alle Versuche, den Briten dieses pekuniäre Privileg streitig zu machen, am Veto aus London. Dieses Schicksal droht auch dem Vorschlag, mit dem die EU-Kommission Mitte nächster Woche aufwarten will: Brüssel möchte den Briten-Rabatt abschaffen - und durch einen Nachlass für alle Nettozahler ersetzen. Das wird Tony Blair nicht mitmachen.

Nicht nur wegen der zwei Milliarden Euro, die er dadurch unterm Strich verlieren würde. Nein, für die Inselbewohner zählt der nationale Rabatt längst zum "europäischen Besitzstand" - etwa so, wie für Spanien die milliardenschweren Überweisungen aus den EU-Strukturfonds oder für französische Bauern die Schecks aus Brüssels Agrarkasse den materiellen Kern Europas beschreiben.

Genau dies, die horrenden Kosten der gemeinsamen Agrarpolitik, war 1984 ja auch das entscheidende Argument, mit dem Mrs. Thatcher in Fontainebleau obsiegte: Großbritannien profitierte nur wenig von all den garantierten Erzeugerpreisen und ruralen Prämien, zugleich aber waren damals mehr als zwei Drittel des EU-Haushalts für die Landwirte reserviert.

Die Lucky Four

London konnte also mit gewissem Recht einen Ausgleich reklamieren. Nur, inzwischen verschlingen die Agrarsubventionen weniger als die Hälfte des Brüsseler Budgets. Und bis zum Jahr 2013, dem Ende der künftigen EU-Finanzperiode, dürfte ihr Anteil auf 35 Prozent des Etats sinken. Allein dieser Trend untergräbt die Rechtfertigung für Britanniens Nachlass.

Zugleich sind die Briten seit 1984, gemessen an ihrer Kaufkraft, zur zweitreichsten EU-Nation herangewachsen. Was Wunder also, dass andere, ärmere Nettozahler diese Rückerstattung als hochgradig ungerecht empfinden: Schließlich müssen sie berappen, was die Briten an Brüssel sparen.

Draufzahlen dürfen vor allem Frankreich und Italien, denn seit 2002 genießen vier andere Länder - Deutschland, die Niederlande, Schweden und Österreich - einen "Rabatt auf den Rabatt": Diesen Lucky Four (EU-Jargon) wurden drei Viertel ihrer Last am Briten-Rabatt erlassen. Dafür bittet die EU alle übrigen Partner - sogar die neuen, allerärmsten Mitgliedsstaaten im Osten - vermehrt zur Kasse.

So zeugt ein Unrecht die nächste Ungerechtigkeit. Seit Mitte der neunziger Jahre weiß jeder EU-Finanzminister seine Zahlen gerade so zu frisieren, dass das eigene Land als Opfer besonderer Brüsseler Gemeinheit in der Statistik erscheint. Der Geist von Fontainebleau, das auf Brutto- und Netto-Beiträge reduzierte Kosten-Nutzen-Kalkül, regiert überall.

Sogar Brüssel selbst gehorcht inzwischen dem Denken der Maggie Thatcher. Die Finanzreform, mit der die deutsche Haushaltskommissarin Michaele Schreyer jetzt Tony Blair verschreckt, folgt genau der Logik der Eisernen Lady: Ab einer Belastungsgrenze von 0,35 Prozent seines jeweiligen Bruttonationaleinkommens soll jedem Land zwei Drittel seines Nettobeitrags erstattet werden.

Der Briten-Rabatt würde also europäisiert, zum Wohle Berlins, Stockholms oder Den Haags, zum Nachteil Londons. Damit am Ende wenigstens keine Umverteilung von manch armen zu einigen reichen EU-Staaten droht, hat Frau Schreyer noch einen Schutzmechanismus eingebaut: Die maximale Summe, die da zwischen den Hauptstädten hin- und hergeschoben wird, dürfe 7,5 Milliarden Euro nicht überschreiten. Das entspricht in etwa dem Betrag, den allein London bald als jährlichen Rabatt einstreichen würde, falls keine Reform zustande käme.

Mit Transparenz, mit mehr Klarheit oder gar Gerechtigkeit im EU-Haushalt hat all das nur wenig zu tun. Brüssel kuriert an den Symptomen eines Budgets, dessen chronische Schwächen es nicht beheben kann: Auf der Ausgabenseite haben Franzosen und Deutsche eine Kürzung der Agrarsubventionen zum Tabu erklärt, bei den Strukturfonds wachen Spanier wie Polen über jeden Cent.

Und bei den Einnahmen? Jeder Versuch, die nationalen Beiträge durch eine begreifbare EU-Steuer zu ersetzen, würde am Einspruch der Hauptstädte scheitern. Das schnellste Veto käme, wieder einmal, aus London. Garantiert.

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SZ vom 10.07.2004
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