Süddeutsche Zeitung

Nach Renzi-Rücktritt:Italien ist zurück im Krisenmodus

  • Das Nein beim Referendum gegen die Verfassungsreform in Italien fiel aus Sicht der Anleger erschreckend deutlich aus.
  • Die Rettung des italienischen Bankensektors ist nun in Gefahr.

Von Ulrike Sauer, Rom

Die Realität übersteigt in Italien mal wieder die Fantasie. Das Schreckgespenst der politischen Instabilität in Rom, das seit Monaten die internationalen Finanzmärkte beunruhigte, ist auf unerwartet krasse Weise Wirklichkeit geworden.

Die schallende Ohrfeige, die sich Regierungschef Matteo Renzi beim Referendum über seine Verfassungsreform holte, übertraf die schlimmsten Erwartungen.

Auf den Brexit in Großbritannien und die Trump-Wahl in den USA folgte nun in Italien der Renzit. Sekunden nach der Rücktrittsankündigung des Ministerpräsidenten fiel der Euro gegenüber dem Dollar kurz nach Mitternacht auf den niedrigsten Stand seit 20 Monaten. Der Einbruch war stärker als nach dem Brexit-Votum im Juni, betonten Währungshändler.

Kurs von Monte dei Paschi schlägt Kapriolen

Es folgte ein böses Erwachen am Morgen. Die Zinsen auf italienische Staatsanleihen sprangen über die Marke von zwei Prozent, die Prämien für die Versicherung gegen eine Staatspleite Italiens erreichten am Montag den höchsten Stand seit Dezember 2013.

An der Mailänder Börse gaben die Aktienkurse zu Handelsbeginn um 1,7 Prozent nach. Der Kurs der maroden Krisenbank Monte dei Paschi schlug Kapriolen. In Folge der Entwicklungen sagte Finanzminister Pier Carlo Padoan seine Teilnahme am Treffen seiner europäischen Amtskollegen am Montag und Dienstag in Brüssel ab und blieb in Rom. Italien war über Nacht wieder im Krisenmodus zurück.

"Ich habe verloren", gestand der Reformer Renzi um 0.25 Uhr ein und wies beinahe stolz darauf hin, dass es sonst in Italien nie bekennende Verlierer gebe. 1015 Tage hatte er die drittstärkste Industrienation der Eurozone und das größte Schuldenland der EU regiert. Nach der herben Niederlage könne er nicht an seinem Sessel kleben bleiben, sagte der 41-Jährige. Darauf aber hatte man in der italienischen Wirtschaft und an den Finanzmärkten unverhohlen gehofft.

"Ein Sieg des Nein mit einem so großen Vorsprung und bei einer so hohen Wahlbeteiligung ist aus Sicht des Marktes der wohl schlimmste Ausgang des Referendums", kommentierte Fabio Fois, Analyst bei Barclays Research, das überraschende Ergebnis.

Schwere Hypothek

Fois nennt dafür zwei Gründe: "Die Anleger könnten das Ergebnis zumindest anfangs als großes Nein zu Renzi und als ein Ja zu den Anti-Establishment-Kräften auffassen", sagt er. Zudem sei es eine schwere Hypothek für die Chancen eines langfristigen Reformprozesses in Italien nach den nächsten Parlamentswahlen.

"Italien hat eine große Gelegenheit verpasst", kommentierte Lorenzo Codogno, ehemaliger Chefökonom im römischen Finanzministerium, der heute die Beratungsfirma LC Macro Advisors in London leitet. Codogno geht davon aus, dass Reformen in Italien nun für zehn Jahre auf Eis gelegt werden.

Wie heftig die Turbulenzen an den Finanzmärkten das Schuldenland und seine noch immer schwächelnde Konjunktur treffen, wird ganz davon abhängen, wie rasch die Regierungskrise beigelegt wird. "Der Nein-Sieg ist im Wesentlichen schon eingepreist", sagt Codogno.

Der Zinsaufschlag für italienische Staatsanleihen stieg seit dem Sommer spürbar an. "Überraschenderweise hat es jetzt keine brutalen Ausschläge gegeben, obwohl die EZB nicht mit Käufen eingegriffen hat", berichtete ein Händler am Montag.

Keine Neuwahlen erwartet

Die meisten Marktbeobachter rechnen nicht mit Neuwahlen. "Wir erwarten die Bildung einer Übergangsregierung", sagt Loredana Federico, Volkswirtin bei Unicredit. Das würde den Raum für einen Anstieg der Risikoprämie auf Staatsanleihen beschränken.

Schon seit dem Sommer richteten sich die Blicke auf Italien. Dass ein Nein der Italiener bei ihrem Referendum schlimmere Konsequenzen haben würde als der Brexit, hörte man anfangs in den Handelssälen oft.

Im Lauf der Wochen setzte sich die Überzeugung durch, dass bei einer Ablehnung der Reform zwar Turbulenzen zu erwarten seien, diese aber beherrschbar seien. "Trotz einer Zunahme der Nervosität würde eine Niederlage Renzis nicht die Stabilität des Landes aufs Spiel setzen", hieß es.

Zumal die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihren Stützungskäufen noch immer einen Schutzschirm über Italien aufspannt. Die Erwartungshaltung ist, dass Mario Draghi seine expansive Geldpolitik auch über den kommenden März hinaus beibehalten werde.

Wichtige Entscheidungen blieben aus

Den Italienern erspart das ein Déjà-vu. Vor fünf Jahren war die Zinsdifferenz gegenüber den Bundesanleihen auf 5,7 Prozentpunkte hochgeschnellt, das Land taumelte am Abgrund einer Staatspleite. Umso ernster drohen nun die Folgen der Regierungskrise für die italienischen Banken zu sein. "Ein Stopp der Stärkung des Bankensystems kann schwerwiegende Folgen nicht nur auf nationaler Ebene haben", warnt Alessandro Allegri, Chef von Ambrosetti Asset Management in Mailand.

Italien verharrte in Erwartung des Referendums seit sechs Monaten in einem Schwebezustand. Alle wichtigen Entscheidungen wurden vertagt. Am problematischsten war das für die angeschlagenen Banken. Sie müssen in diesen Wochen große Kapitalerhöhungen stemmen, um sich von ihren notleidenden Krediten zu trennen. Die faulen Forderungen lasten bleischwer in den Bilanzen und behindern zudem den ersehnten Aufschwung der rezessionsgeplagten italienischen Wirtschaft.

Seit Jahresbeginn fiel der italienische Bankenindex um 47 Prozent. Die Aktienkurse der Geldhäuser wurden zum Thermometer für das Vertrauen in Italien. "Unter diesen Umständen sinken die Möglichkeiten, die Kapitalerhöhungen über die Bühne zu bringen", meint man bei Goldman Sachs nach dem Referendum. Den höchsten Preis droht der Monte dei Paschi di Siena, Italiens drittgrößte Bank, zu zahlen.

Scheitern wäre gefährlich

Das älteste Geldhaus der Welt hatte im Juli bei der europäischen Bilanzprüfung als schlechtes Geldinstitut des Kontinents abgeschnitten. Es muss nun den dritten Rettungsanlauf seit 2014 zum Erfolg führen. Der Plan sieht eine Kapitalerhöhung um fünf Milliarden Euro vor, die in drei Schritten erfolgen soll.

Scheitert auch nur eine der Maßnahmen, droht das gesamte Gerüst einzustürzen. Das würde eine Staatsrettung nötig machen, die Renzi um jeden Preis vermeiden wollte. "Staatshilfen für den Monte dei Paschi werden immer wahrscheinlicher", hieß es bei Morgan Stanley am Montag. Doch dazu müsste erst einmal eine Regierung her.

Den Italienern sitzt die Zeit im Nacken, denn sie müssen eine Kettenreaktion unterbinden. Neben mehreren kleinen Banken bereitet auch der Mailänder Geldkonzern Unicredit in diesen Tagen eine Kapitalerhöhung in Höhe von bis zu 13 Milliarden Euro vor.

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