Nach Herabstufung durch Ratingagentur:Frankreich in der Schuldenspirale

Den Warnschuss der Rating-Agentur Moody's nimmt Frankreichs Regierung eher locker. Nicht einmal die Börsianer sind wirklich beunruhigt. Aber die Gelassenheit trügt: Dem Land droht eine gefährliche Schieflage.

Michael Kläsgen, Paris

Ist Frankreich der neue "kranke Mann Europas"? Das neue Italien oder gar Griechenland? Die Herabstufung des Landes durch die US-Rating-Agentur Moody's könnte darauf hinweisen. Interessanterweise reagierten die Börsen auf diesen Vorstoß gelassen. Noch profitiert Frankreich von ähnlich niedrigen Zinsen wie Deutschland - gerüchteweise auch deshalb, weil die Schweiz Anleihen aufgekauft und somit vom Markt genommen hat.

Besorgniserregend ist eher die allzu gelassene Reaktion von Finanzminister Pierre Moscovici, der die Herabstufung um eine Note von Aaa auf Aa1 der Vorgängerregierung in die Schuhe schob. Die Beschwichtigungen seines deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble (CDU) sind vor allem diplomatischer Natur. Nach den Querelen der vergangenen Tage um die Solidität der französischen Wirtschaft wollte Schäuble nicht noch Öl ins Feuer gießen.

Hier die gravierendsten Schwächen des Landes: Die Staatsverschuldung wird 2013 auf mehr als 90 Prozent steigen. Das wirksamste Rezept dagegen wäre, die Staatsausgaben zu senken. Lange Zeit versäumte Frankreich das. Jetzt will Präsident François Hollande die Ausgaben jedes Jahr bis 2017 um 12 Milliarden Euro senken. Das wird nur gehen, wenn auch Sozialleistungen eingespart werden - was politischen Sprengstoff birgt.

Staatsquote: 57 Prozent

Diese Kennzahl umschreibt eine der größten Schwächen des Landes: Die Staatsausgaben sind nicht nur exorbitant hoch, sie werden auch ineffizient verteilt. Anders ausgedrückt: Der Staat in Frankreich gibt noch mehr Geld aus als beispielsweise das staatsaffine Schweden. Das Geld wird aber derart verschwendet, dass die Bürger nicht das Gefühl haben, gut mit öffentlicher Infrastruktur versorgt zu werden. Es gibt zu viele Doppelfunktionen und mit fünf Millionen Beamten einen zu großen öffentlichen Dienst, der bei Rente, Wohnung und Arbeitszeit übermäßige Privilegien genießt.

35-Stunden-Woche

Faktisch arbeiten Franzosen zwar im Schnitt weit mehr als 35 Stunden pro Woche, aber alles, was im öffentlichen Bereich darüber hinaus geht, gilt als Überstunden (es sei denn, es gibt Sondervereinbarungen). In Einrichtungen wie Krankenhäusern, aber auch in Staatskonzernen wie der Post sammeln die Beschäftigten neben ihren Urlaubstagen dadurch eine große Menge freier Tage an. Das führt zu höheren Kosten für den Staat und macht in den Betrieben die Arbeitsorganisation aufwendig. Im Ausland wird Frankreich wegen der 35-Stunden-Woche stigmatisiert, obwohl Franzosen tatsächlich etwa so viel arbeiten wie Deutsche. Das Land müsste sich davon wieder verabschieden.

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Schlechte Noten für die Franzosen. Die Agentur Moody's hat ihr Rating gesenkt. 

(Foto: AFP)

Wo Frankreichs größte Herausforderungen liegen

Verkrusteter Arbeitsmarkt: Es sind derzeit so viele Menschen arbeitslos wie seit 13 Jahren nicht mehr, und der Stellenabbau wird auch 2013 weitergehen, sagte Hollande voraus. Unternehmen und Gewerkschaften haben sich nur unzureichend auf Kurzarbeit und andere Modelle der Arbeitszeitflexibilisierung einigen können. Folglich können sie nicht ausreichend schnell auf Auftragsschwanken reagieren. Die Schwäche der Sozialpartner wird verschärft durch sinkende Margen, die zu sinkenden Investitionen und einem höheren Entlassungsdruck führen. Die Gewerkschaften sind in den Betrieben nur schwach verankert und werden nicht in die unternehmerischen Planungen eingebunden. Folglich radikalisieren sie sich und pochen blind auf die Einhaltung des rigiden Kündigungsschutzes. Der hat über die Jahrzehnte derartige Blüten getrieben, dass beispielsweise der Ehepartner Arbeitslosengeld erhält, wenn seine bessere Hälfte versetzt wird und er mit umzieht.

Tarifverträge, Mindestlohn

In Frankreich sind nahezu alle Unternehmen und 90 Prozent der Arbeitnehmer an Tarifverträge gebunden. Die Möglichkeiten, von diesen abzuweichen, sind - anders als etwa in Deutschland - eng begrenzt. Der Mindestlohn ist zu einem politischen Instrument geworden und stetig angehoben worden. Er entspricht inzwischen fast der Hälfte des Durchschnittslohns. Das erschwert es Jugendlichen, eine Stelle zu finden, und wertet qualifizierte Ausbildungsberufe ab.

Außenhandelsdefizit

Die Firmen haben seit Einführung des Euro kontinuierlich an Marktanteilen in Europa verloren und in den aufstrebenden Märkten China, Brasilien und Indien nur schwach Fuß fassen können. Zum Teil lag das an Fehlentscheidungen des Managements wie beim Autohersteller PSA Peugeot Citroën. Generell aber sind die Lohnstückkosten zu schnell gestiegen. Vor zehn Jahren lagen sie in der Industrie noch unter denen in Deutschland, mittlerweile aber darüber. Die sinkenden Investitionen der Großkonzerne gehen mit einer Innovationsschwäche einher. Mittelständischen Unternehmen fehlt aufgrund von Kapitalmangel die kritische Größe zum Export. So sank die Anzahl von Industrie- und Exportunternehmen kontinuierlich. Eine Investitionsbank wie die KfW für Mittelständler soll jetzt für die nötige Kapitalausstattung sorgen. Die Regierung will auch die Arbeitskosten senken. Lohnzurückhaltung wäre eine weitere Voraussetzung für eine steigende Wettbewerbsfähigkeit, ist aber bisher kein Thema.

Sozialabgaben und Bürokratie

Arbeitgeber tragen zwei Drittel der Kosten für die Sozialversicherung ihrer Beschäftigten. Sie tragen teils auch zur Finanzierung der Kitas und Kindergärten bei. Die Firmen nennen die hohen Abgaben zu Recht als einen weiteren Grund für ihre mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Sie leiden auch unter einem hohen Maß an Bürokratie. Firmen mit mehr als neun Beschäftigten brauchen einen Personalvertreter, solche mit mehr als 49 Beschäftigten einen Betriebsrat. Das bringt Kosten mit sich - und Ärger, wie Kleinunternehmen klagen. Und zu allem Überfluss sind die Kranken- und Rentenkassen defizitär.

Schwaches Wachstum

Die hohe Staatsquote verhindert einerseits einen Einbruch der französischen Wirtschaft, wie sich dies im Jahr 2009 zeigte. Andererseits lähmen die hohe Steuer- und Abgabenlast das Anspringen des Konjunkturmotors. Seit nun schon einem Jahr stagniert das Wachstum, und schon in den Jahren zuvor war es bemerkenswert schwach. Das hat gravierende Folgen: Die Defizite in Haushalt, Außenhandel und Sozialkassen lassen sich ohne Wachstum nicht abbauen. Das Ergebnis: Es droht eine Schuldenspirale.

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