Nach Desertec-Zerfall:"Wir brauchen die Kooperation mit Europa"

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Ein Appell der marokkanischen Abgesandten beim Treffen der Desertec-Initiative in Rom zeigt, wie sehr der krisengebeutelte Nahe Osten weiter auf eine Zusammenarbeit in Energiefragen hofft. Auch die deutsche Politik will die Partnerschaft nicht abschreiben - trotz des jüngsten Rückschlags.

Von Markus Balser, Rom

Grüner Park, weiße klassizistische Villa: Die Sonne über Rom war längst untergegangen, als am Montagabend hoch oben auf dem Monte Mario Emissäre von 18 verbliebenen Gesellschaftern der Wüstenstrom-Planungsgesellschaft Dii gegen eine ganz andere Dämmerung kämpften. Doch nach zehnstündigen Verhandlungen auf dem für die Zukunft der Initiative entscheidenden Jahrestreffen war ein paar Minuten vor zwölf endgültig klar: Die vor fünf Jahren mit großen Hoffnungen gestartete Desertec Industrial Initiative ist in ihrer heutigen Form am Ende.

Von den einst 50 Unternehmen, die sich als Gesellschafter oder zahlende Partner an der Initiative beteiligt hatten, wollen nur drei aus der bis Ende des Jahres befristeten Organisation eine Dauereinrichtung machen. Auch Gründungsmitglieder wie der Rückversicherer Munich Re und die Deutsche Bank kehren dem Projekt den Rücken. Nur ein kleiner Teil der Dii soll als Beratungsfirma überleben. Betrieben wird die künftig von dem Essener RWE-Konzern, dem saudischen Stromversorger Acwa Power und dem chinesischen Netzbetreiber und Staatskonzern State Grid.

Der Entscheidung ging eine zähe Hängepartie voraus. Seit Monaten konnten sich die beteiligten Firmen nicht über ein Zukunftskonzept und ihren Etat von rund zwei Millionen Euro einigen. Auch beim entscheidenden Treffen in Italiens Hauptstadt waren zu wenige Gesellschafter bereit, aus der auf fünf Jahre befristeten Organisation eine Dauereinrichtung in bisheriger Größenordnung zu machen. So verlautete es aus Kreisen der Gesellschafter.

Zentrale in München-Schwabing muss schließen

Damit muss die Dii-Zentrale mit Sitz in Münchner Stadtteil Schwabing Ende 2014 voraussichtlich schließen. Die Verträge der Mitarbeiter laufen dann aus.

Gemessen an den gewaltigen Hoffnungen zu Beginn des Projekts 2009, ist das Aus der Gesellschaft in ihrer heutigen Form eine herbe Schlappe für die Gründer.

Die Initiative galt als eines der ehrgeizigsten Erneuerbare-Energien-Projekte überhaupt. Bis 2050 sahen Machbarkeitsstudien den möglichen Bau Hunderter Öko-Kraftwerke in Nordafrika und dem Nahen Osten vor.

Mit viel Pathos hatten sich die Gründungskonzerne beim Start dem Klimaschutz und der wirtschaftlichen Entwicklung Nordafrikas und des Nahen Ostens verschrieben. Davon indes wurde bislang wenig eingelöst.

Der Energiebedarf der Region wächst rasant. Er wird sich in den kommenden zwanzig Jahren verfünffachen. Auch der Kampf gegen die Erderwärmung steht nach wie vor erst am Anfang.

Strom aus der Wüste: Arbeiter errichten einen Solarpark in der Sahara, damals im Jahr 2009. (Foto: Rafael Marchante/Reuters)

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte das Projekt noch zu Beginn wegen der breiten Ziele gelobt, der damalige Siemens-Chef Peter Löscher sah die Mission gar in einer Reihe mit der Mondlandung.

Für einen Teil der Gesellschaft folgt nun jedoch der Absturz. Höchstens zehn der einst 30 Dii-Mitarbeiter sollen künftig Länder der arabischen Region beim Aufbau grüner Energien beraten. Die Hoffnung: So würde wenigstens die aufgebaute Expertise zu den besten Standorten für Wind- und Solarkraftwerke und den technischen wie politischen Voraussetzungen für die Realisierung der Vision erhalten.

Denkfabrik für Erneuerbare Energien

Die Dii galt zuletzt als wichtigster internationaler Fürsprecher der Wirtschaft für Erneuerbare Energien in Nordafrika und dem Nahen Osten. Sie hatte sich zu einer Art Denkfabrik entwickelt, die in der Region das Interesse am Aufbau grüner Kraftwerke weckte, politischer Vorarbeiten etwa für Einspeisetarife leistete und bei der Lokalisierung guter Standorte half.

Mehrere Organisationen hoben am Dienstag die Verdienste der Dii hervor. Die fünf Jahre seien nicht umsonst gewesen, urteilt etwa der Club of Rome. Die Gesellschaft habe Projekte angestoßen und wichtige Erkenntnisse zum Thema erneuerbare in den Wüstenregionen gewonnen. Die Dii selbst verwies auf die ersten Wind- und Solaranlagen in der Region. "Erneuerbare Energien haben vor fünf Jahren im Nahen Osten und Nordafrika kaum eine Rolle gespielt", sagte Geschäftsführer Paul van Son. "Das ist heute völlig anders. Rund 70 Projekte sind inzwischen realisiert oder in der Umsetzung."

Hoffen auf Zusammenarbeit

Auf der Jahreskonferenz der Desertec-Initiative in Rom wurde am Dienstag aber auch deutlich, wie sehr die vom arabischen Frühling, Umstürzen, Terror und Bürgerkriegen verunsicherte Region weiter auf die schleppende Zusammenarbeit mit Europa in Energiefragen hofft.

Marokko etwa hat sich zum Ziel gesetzt, mit 42 Prozent Erneuerbare Energien 2020 noch die deutschen Wendeziele zu übertreffen und würde einen Teil des Stroms gerne exportieren. "Wir brauchen dabei die Kooperation mit Europa", sagt Zohra Ettaik, Abteilungsleiterin für Erneuerbare Energien im marokkanischen Energieministerium.

Die deutsche Politik will die Energiepartnerschaft nicht abschreiben - trotz aller Rückschläge. "Wir gehen davon aus, dass die Region Nordafrika und Naher Osten in einigen Jahren Teil unseres Energiesystems wird", sagt Thorsten Herdan vom Wirtschaftsministerium. "Vielleicht sogar zu einem ziemlich wichtigen."

© SZ vom 15.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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