Süddeutsche Zeitung

Nach der Krise:Vorsicht vor dem Lehrmeister

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Erst die Krise - und wie weiter? Die Amerikaner tragen mit großem Selbstbewusstsein schlechte Forderungen vor. Für Deutschland kann es nur eine Lösung geben: Die Republik muss ein attraktiver Investitionsstandort werden.

Wolfgang Franz

Der Autor Wolfgang Franz lehrt Volkswirtschaft in Mannheim. Er ist Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Mit der Einmütigkeit, welche die Treffen der G-20-Staaten kurz nach Ausbruch der Finanzkrise kennzeichneten, ist es dahin, vorerst zumindest. Zwei wirtschaftspolitische Konzeptionen streiten öffentlich miteinander. Vertreter der Vereinigten Staaten belehren Europas Politiker, dass sie die Binnen-Nachfrage in ihren Ländern zu beleben und die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zurückzustellen hätten. Demgegenüber betonen vor allem deutsche Politiker den Vorrang der Konsolidierungsaufgabe, welche künftige Wachstumschancen eher beflügele.

Wer es für angebracht gehalten hatte, dass die amerikanische Politik angesichts ihrer seinerzeitigen beträchtlichen Verantwortung für das Entstehen der Finanzkrise im Hinblick auf wirtschaftspolitische Ratschläge einmal eine Runde aussetzen sollte, wurde eines Besseren belehrt; wie so oft. So lässt sich beispielsweise der vor rund einem Jahr aus den USA erhobene Vorwurf, Deutschlands Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur falle im europäischen Vergleich niedrig aus, durch die Fakten klar widerlegen. Schon diese Fehleinschätzung mahnt zur Vorsicht bei den neuerlichen selbstbewusst vorgetragenen Empfehlungen.

Deutschlands Problem ist seit geraumer Zeit der zu niedrige Wachstumspfad. Wir sind nicht weit vom Schlusslicht innerhalb der EU entfernt. Eine Stimulierung des Wirtschaftswachstums muss daher hohe Priorität genießen. Dies erreicht man nicht durch eine Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage mittels einer höheren Verschuldung, zum Beispiel, indem den hiesigen Beamten gemäß einem Vorschlag des Vorsitzenden der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, höhere Bezüge gezahlt werden. Dies stieße bei den Betroffenen vermutlich nicht auf erbitterten Widerstand, wohl aber zu Recht beim Rest der Bevölkerung. Abgesehen davon, dass wir spätere Generationen neben einer beschädigten Umwelt nicht auch noch eine überbordende Staatsverschuldung zumuten sollten - empirische Studien, jüngst eine Untersuchung der Weltbank, belegen, dass eine hohe Staatsverschuldung mit geringerem Wirtschaftswachstum einhergeht und eine Konsolidierung, die bei den Ausgaben ansetzt, erfolgversprechender ist als weitere Konjunkturhilfen, wie sie die amerikanische Regierung propagiert. Ohnehin ist eine zusätzliche Belebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nicht zwingend erforderlich. Noch wirken die Konjunkturpakete, und verschiedene Indikatoren sowie Angaben von Wirtschaftsverbänden deuten auf eine sich stabilisierende konjunkturelle Aufwärtsbewegung hin.

Abwegig ist die Forderung, Deutschland solle mit Hilfe einer bewusst vorgenommenen Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen und Produkte seine Exportüberschüsse verringern. Richtig an dem Argument ist lediglich die Saldenmechanik: Des einen Landes Überschuss sind die Defizite anderer Länder. Ansonsten handelt es sich um alten Wein in neuen Schläuchen, nämlich um das alte Kaufkraft-Argument, also eine Steigerung der Kaufkraft über hohe Lohnsteigerungen und damit eine gewollte Einbuße an internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu erzielen. Sollen die Brasilianer bei der Fußball-WM ihrer Mannschaft vor dem Endspiel ein opulentes Mahl servieren, damit sie dann, träge genug, ihrem Finalgegner höchstens gleichauf sind? Wie soll schließlich die Umlenkung der Exportnachfrage auf den privaten Konsum vonstatten gehen? Sollen die kauflustigen Leute auf der Münchner Einkaufsmeile dann die Produkte des deutschen Maschinenbaus erwerben?

Keine Staatsknete für Opel

Anders herum wird ein Schuh daraus. Indem die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sich Deutschland zu einem attraktiveren Investitionsstandort für inländische und ausländische Investoren entwickelt, werden neue, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze geschaffen und somit die Binnennachfrage gestärkt. Eine staatliche Subventionierung von Opel gehört allerdings nicht dazu.

Die Bundesregierung ist mithin gut beraten, eine zielführende Konsolidierungspolitik voranzubringen. Ohnehin tritt für den Bund im Jahr 2016 die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse in Kraft. Demnach darf der Bund nur ein strukturelles Defizit in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufweisen. Wohlgemerkt: ein strukturelles, also von konjunkturellen Einflüssen bereinigtes Defizit. Sollte es wider Erwarten zu einer abermaligen Rezession kommen, wäre eine höhere Neuverschuldung möglich.

Wie ist das Sparpaket der Bundesregierung vor dem Hintergrund zu beurteilen, dass bis zum Jahr 2016 im Bundeshaushalt rund 45 Milliarden Euro dauerhaft eingespart werden müssen? Positiv zu werten ist zunächst der erklärte Wille, den Handlungsbedarf anzunehmen - angesichts der zur Rede stehenden Summen eine Herkulesaufgabe. Allerdings ist der Handlungsspielraum der Bundesregierung nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen auf Grund des Verlustes der Bundesratsmehrheit eingeschränkt. So rächen sich nun das Zögern und das unrealistische Beharren auf Steuersenkungen.

Entgegen mancher Einlassungen von Regierungsseite wird ein Teil des Sparvolumens über Steuer-Erhöhungen bewerkstelligt: Luftverkehrsabgabe, Brennelementesteuer, Rücknahme von Vergünstigungen bei der Energiebesteuerung der Unternehmen und eine Beteiligung der Banken an den Kosten der Finanzkrise. Es ist unwahrscheinlich, dass die Unternehmen nicht versuchen werden, diese Belastungen weiterzuwälzen. Der Normalverdiener wird mithin sehr wohl zur Kasse gebeten. Mit einer Bundesratsmehrheit im Rücken hätte die Bundesregierung zusätzlich die Steuerbegünstigung etwa für Feiertags- und Nachtarbeit abschaffen können. Dieser Weg ist verbaut, da die Opposition ihn nicht mitgehen dürfte.

Die Einschnitte im Leistungsbereich der Sozialen Sicherungssysteme lassen sich ebenfalls rechtfertigen, um dem Lohnabstandsgebot stärker Rechnung zu tragen: Eine Arbeitsaufnahme auf dem ersten Arbeitsmarkt muss sich mehr als bisher lohnen als der Bezug von Arbeitslosengeld II. Dass solche Ankündigungen den Protest der Sozialfunktionäre auslösen, war vorauszusehen. In deren Augen gelten eine Anhebung des Spitzen- und Vermögensteuersatzes (Letzterer ist auf null gesetzt) als sozial ausgewogene Maßnahmen.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2010
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