Nach der Finanzkrise:Verängstigte Berater in abschlussscheuen Banken

Abzocke mit teuren Produkten? Gab es mal. Heute trauen sich viele Berater in den Banken nicht mehr, etwas zu verkaufen. Oft trinken sie mit den Kunden nur noch Kaffee.

Von Harald Freiberger, Frankfurt

Endlich eine gute Nachricht von Deutschlands Banken: Die Berater in den Filialen schwatzen ihren Kunden keine teuren Produkte mehr auf, die diese gar nicht brauchen, so wie es vor der Finanzkrise oft war. Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht: Noch immer bekommen Bankkunden nicht die Produkte, die sie wirklich brauchen, um für das Alter vorzusorgen. Denn viele Berater sind inzwischen so verunsichert, dass sie gar nichts mehr verkaufen.

Diese Erkenntnis stammt von jemandem, der die deutschen Banken aus einer ganz speziellen Perspektive kennt: aus der Sicht der Kunden. Kai Fürderer, 38, ist Chef des "Instituts für Vermögensaufbau" in München. Es hat sich auf Testkäufe bei Banken spezialisiert, deren Ergebnisse in Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Der größte davon ist der "Focus Money City-Contest", für den Fürderers Institut jedes Jahr die Beratungsqualität von mehr als 1500 Banken in 300 deutschen Städten prüft. Zwölf festangestellte Mitarbeiter führen dazu das ganze Jahr über Gespräche.

"Banker sind gebrannte Kinder durch die Kritik, die sie in der Finanzkrise einstecken mussten", sagt Fürderer. "Das hat dazu geführt, dass sie nun verängstigt sind, am liebsten gar nichts mehr verkaufen und mit den Kunden nur noch Kaffee trinken."

"Jeder wäscht seine Hände in Unschuld"

Besonders Sparkassen und Genossenschaftsbanken seien "abschlussscheu", es komme häufig vor, dass ein Kunde aus einem eineinhalbstündigen Beratungsgespräch ohne Angebot herausgehe. Den "blutrünstigen Berater, der auf Teufel komm' raus Zertifikate verkauft", gebe es kaum mehr.

Doch den aktuellen Zustand findet Fürderer auch nicht ideal. "Jeder wäscht seine Hände in Unschuld, man will den Leuten ja nichts mehr aufschwatzen und hofft auf den aufgeklärten Kunden", sagt er. Die Folge sei, dass diese keine Orientierung mehr bekämen - und das in einer Zeit, in der es immer wichtiger werde, selbst für das Alter vorzusorgen. "Der Job des Bankers ist es, diesen Bedarf zu begleiten, nicht dazusitzen und nichts zu tun", sagt Fürderer.

Die Realität im Beratungszimmer sieht nach seiner Erfahrung oft so aus, dass sich der Banker "hinter Bergen von Papier verschanzt, ein bisschen über Riester quatscht, von einem Thema zum nächsten springt und nicht genug erklärt". Obwohl die Institute seit Jahren von "ganzheitlicher, genau auf die Kunden zugeschnittener Beratung" sprächen, passiere häufig das Gegenteil: gar keine oder willkürliche, nicht nachvollziehbare Empfehlungen, die völlig am Bedarf des Kunden vorbeigehen. "Da fragt der Berater am Ende des Gesprächs: ,Ich habe zwölf Produkte für Sie, welches soll ich Ihnen denn vorstellen?' Was soll ein Kunde damit anfangen?", fragt Fürderer.

Prioritäten setzen

Doch wie soll gute Bankberatung aussehen? "Wir wünschen uns eine Lebensphasen-Beratung, weil ein 30-Jähriger, der eine Familie gründet, einen ganz anderen Finanzbedarf hat als jemand, der kurz vor der Rente steht", sagt Fürderer. Im Gespräch gehe es erst einmal darum zu schauen, wie viel Geld jemand zur Verfügung hat - und dann Prioritäten zu setzen. Das Prinzip: erst die größten Lebensrisiken absichern, dann geförderte Altersvorsorge, dann private Vorsorge. "Schon daran scheitern viele Gespräche", sagt Fürderer. Haftpflicht- und Berufsunfähigkeitsversicherung seien stets wichtiger als zum Beispiel eine Riester-Rente, aber die Berater fragten nicht danach, weil sie auf Riester geschult seien.

"Die Kunst ist es, strukturiert abzufragen, dann zu sagen, was aus Sicht der Bank wesentlich ist und welchen Schaden es für den Kunden haben kann, wenn er auf etwas verzichtet", sagt Fürderer. Dabei gehe es nicht um Bevormundung, der Kunde könne am Ende ja auch Nein sagen.

Nach den Erfahrungen des Testers ist Bankberatung umso besser, je stärker der Prozess standardisiert ist und etwa durch ein Computerprogramm unterstützt wird. Der Kunde nennt seine Daten, das Programm zeigt ihm in einem transparenten Prozess die Lösungen auf. "Das bringt dem Kunden mehr und ist auch vertrauenswürdiger, als wenn der Berater irgendetwas aufmalt", sagt Fürderer.

Beliebte Ausreden der Banken

Oft hört er dazu Kritik von Banken, sie wollten "keine Roboter-Beratung". Er sagt darauf, es gebe genug Möglichkeiten für einen Bankmitarbeiter, emotional auf den Kunden einzugehen. Der Beratungsprozess aber solle bei gleicher Ausgangslage immer auch zum gleichen Ergebnis führen - und nicht von Berater zu Berater verschieden sein oder von dessen Tagesform abhängen.

Das ist eine beliebte Ausrede von Banken, die beim Test schlecht abschneiden: Der Berater habe eben einen "schlechten Tag" gehabt. Fürderer lässt das nicht gelten: "Finanzentscheidungen, die oft Zehntausende Euro kosten, dürfen nicht vom Glück des Kunden abhängen, außerdem gibt es einige Banken, deren Berater in unseren Tests Jahr für Jahr einen schlechten Tag haben."

Ein typischer Test sieht so aus, dass ein Berufsanfänger in die Bank kommt, angibt, er sei neu in der Stadt und wolle ein Girokonto eröffnen. Bei dieser Gelegenheit wolle er auch generell über Finanzen reden. Er habe 200 Euro im Monat zur Verfügung, wie lege er sie am besten an, etwa um für das Alter vorzusorgen. Jede gute Bank wird zweimal in verschiedenen Filialen getestet, um das erste Ergebnis abzusichern.

"Bei gut beratenden Banken weicht das erste vom zweiten Ergebnis kaum ab", sagt Fürderer. Das liege daran, dass der Beratungsprozess streng standardisiert sei oder die Berater aufwendig geschult würden. Deshalb schneiden jene Institute mit einem guten Programm auch im Test gut ab.

Gier vor dem Beratungsprozess

Erstaunlich ist für Fürderer, wie sich die Commerzbank entwickelt. "Sie ist in vielen Städten vom letzten auf den ersten Platz gesprungen", sagt er. Hintergrund ist ein neues, Software-gestütztes Beratungsmodell, das die Commerzbank im vergangenen Jahr einführte, der "Kunden-Kompass". In einem Drittel der 300 Städte sei die Commerzbank bereits an der Spitze, in 20 Prozent der Fälle sei es die Deutsche Bank, die übrigen 50 Prozent teilten sich Sparkassen und Genossenschaftsbanken.

Und noch eine überraschende Erkenntnis gibt es: Die Beratung von Direktbanken wie ING-Diba, Cortal Consors oder Comdirekt, die lediglich am Telefon abläuft, wird zu einer immer größeren Konkurrenz für die Filialbanken. "Manche verkaufen nicht mehr nur Standardprodukte, sondern bieten auch Altersvorsorge-Konzepte an", sagt er. Die Qualität der Beratung sei dabei keinesfalls schlecht.

"Vertrieb an sich ist nichts Böses, wenn der Prozess dahinter nicht willkürlich und die Qualität nachvollziehbar ist", sagt Fürderer. Wenn eine Bank gut berate, könne sie damit auch Geld verdienen, weil zufriedene Kunden bereit seien, auch mehr zu bezahlen. Das Problem in der Vergangenheit sei gewesen, dass "die Gier vor dem Beratungsprozess kam".

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