Verunsicherte Wirtschaft:Schimpfen, ignorieren, auswandern

Verunsicherte Wirtschaft: Italien hat viele Probleme - hohe Staatsschulden, aber auch Armut, wie hier in Bracciano.

Italien hat viele Probleme - hohe Staatsschulden, aber auch Armut, wie hier in Bracciano.

(Foto: mauritius images)

Italiens Unternehmer sind angesichts der schwierigen Regierungsbildung ratlos. Und die Finanzmärkte zeigen deutlich, was sie vom Rechtsruck halten.

Von Ulrike Sauer, Rom

Was die römische Politik betrifft, haben Italiens Unternehmer ein dickes Fell. "Vier Jahre ohne Regierung, und Italien stünde besser da als Deutschland", sagt Marco Palmieri launig. Das war im April, einen Monat nach dem desaströsen Ergebnis der Parlamentswahlen am 4. März, als die Bildung einer Regierung unmöglich zu sein schien. Palmieri, Gründer des Gepäck-Labels Piquadro, sprach vielen Industriellen aus der Seele, die ihre Waren in alle Welt verkaufen und Europas größtes Schuldenland über Wasser halten.

Am Freitagabend saß Palmieri ungläubig in seinem Büro. Dass "die beiden", wie er das populistische Duo Matteo Salvini und Luigi Di Maio nennt, an die Regierungsmacht kommen, kann sich der Taschenhersteller einfach nicht vorstellen. Im Wahlkampf hätten Lega und Cinque Stelle noch wüst aufeinander eingeschlagen. Danach setzten sie einen Koalitionsvertrag auf, um gemeinsam an die Regierung zu gelangen. Der Vertrag sei so vage, dass ihm nicht klar ist, was sie eigentlich wollten.

Absurd erscheinen Palmieri die Eskalierung der Hetzparolen gegen Europa: "Ich kann an einen Euro-Austritt Italiens einfach nicht glauben". Entweder seien die Angriffe auf die Währungsunion und ihre Wächter Verhandlungsstrategie, um maximalen Druck auf die EU-Partner auszuüben. Oder die beiden Anti-Establishment-Parteien befänden sich noch im Wahlkampf und bereiteten sich insgeheim nicht auf den Regierungsantritt, sondern auf Neuwahlen vor.

Genau so war es. Am Sonntagabend ließen sie die Regierungsbildung an einer einzigen Personalie scheitern. Die Staatskrise spitzte sich damit dramatisch zu.

Das Zusammengehen der Populisten hatte die Welt schlagartig verändert. Nervosität breitete sich in der Wirtschaft aus. An der Börse herrschte bis vor zwei Wochen noch eine exzellente Stimmung. Mailand glänzte im ersten Quartal mit dem höchsten Kursanstieg in Europa. Sogar bei den Banken läuft es nun rund. Italiens Marktführer Banca Intesa meldete einen Rekord-Quartalsgewinn von 1,2 Milliarden Euro. Unicredit legte mit 1,1 Milliarden Euro das beste Quartalsergebnis seit elf Jahren vor. Und in Siena überraschte das vom Staat gerettete Kriseninstitut Monte dei Paschi mit einem dreistelligen Millionengewinn - vom Schreckgespenst zum Börsenstar. Der Börsenindex kletterte am 7. Mai auf den Höchststand von 24 544 Punkten.

Am Tag danach war die Party vorbei. Auf den Hasardeur Silvio Berlusconi, der sein Land 2011 an den Rand der Staatspleite getrieben hatte, schienen nun ebenso verantwortungslose Narzissten zu folgen. Die Mailänder Börse verlor 51 Milliarden Euro an Wert.

"Ich bin sehr besorgt", sagt Alberto Bombassei. Der Mann, der mit seinem Unternehmen Brembo die gehobene PS-Branche mit Bremsen beliefert, ist an diesem Abend aus Bergamo nach Rom gekommen. Auf Italiens Hauptstadt richten sich nun die angstvollen Blicke Europas. Vielerorts las man den Koalitionsvertrag von Cinque Stelle und Lega als Anleitung für die Auslösung einer neuen Schuldenkrise. "Da stehen Riesendummheiten drin, in denen enorme Risiken stecken", sagt Bombassei.

Der Unternehmer sitzt auf der Terrasse der deutschen Botschaftsresidenz Villa Almone, und gibt seine Meinung zu den Koalitionären kund: "Sie sind sehr anmaßend und verfügen über keinerlei Erfahrung."

"Di Maio ist sehr jung, hat nie gearbeitet und bringt keine Kompetenzen mit."

Der Erfolgsunternehmer hat die Populisten fünf Jahre aus der Nähe beobachtet, denn Bombassei wurde 2013 auf der Liste von Ex-Premier Mario Monti in den römischen Senat gewählt. Nun hat ihn die schwäbische Unternehmerin Nicola Leibinger-Kammüller, Chefin des Maschinenbauers Trumpf, zu einer Podiumsveranstaltung zum Thema Chancen von Industrie 4.0 in die Botschaftsresidenz geladen. Auf dem Feld der Digitalisierung holte Italien in den beiden vergangenen Jahren stürmisch auf. Das staatliche Investitionsprogramm Industria 4.0 hatte mit 30 Milliarden Euro Steueranreizen die Innovation in den Unternehmen befeuert und das Wachstum angeschoben.

Nun fürchtet sich Bombassei am meisten vor dem Cinque-Stelle-Chef Di Maio. Der 31-Jährige will die beiden wirtschaftlichen Schlüsselressorts Industrie und Arbeit zu einem Superministerium verschmelzen, dessen Führung er für sich beansprucht. "Di Maio ist sehr jung, hat nie gearbeitet und bringt keine Kompetenzen mit", seufzt Bombassei. "Mir graust es dabei", sagt er.

In den norditalienischen Wachstumsregionen versuchen die Industriellen, anders als im Ausland und an den Finanzmärkten, das anhaltende Wahlkampfgeschrei zu ignorieren. "Wenn aber Salvini und Di Maio das Regierungssteuer in die Hand nehmen, dann kapieren sie entweder, dass Italiens Platz in Europa unverzichtbar ist, oder die Unternehmen in Venetien wandern aus", warnt Luciano Vescovi, Chef des Industrieverbandes der Provinz Vicenza, die eine Hochburg der Lega ist. Würde eine neue Regierung zudem wichtige Errungenschaften ihrer Vorgänger zurückdrehen, werde man nicht tatenlos zuschauen. "Es geht dann ganz schnell, und die Unternehmen emigrieren in Länder, in denen es sich arbeiten lässt", sagt der Unternehmer.

Piquadro-Chef Palmieri hat am Wochenende mit seinen Anwälten an den letzten Details der Übernahme des Pariser Taschenlabels Lancel gearbeitet. Kehrt südlich der Alpen die Lira zurück, kann er Beutezüge jenseits der Grenzen wohl vergessen. Dann wird ein Schild an der Italien AG hängen: Ausverkauf.

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