Nach den guten Konjunkturdaten:Regierung vor neuem Steuerstreit

Kaum springt die Wirtschaft kräftig an, wird auch schon über den Sparkurs und Entlastungen diskutiert. Doch das Finanzministerium mahnt - und warnt vor zu viel Euphorie.

Daniela Kuhr, Berlin

Jeder Spielraum, der sich jetzt ergebe, müsse für Steuersenkungen genutzt werden, sagte der Außenminister der Bild am Sonntag: "Für mich bleibt das Thema: Wie geben wir die Aufschwungdividende an die weiter, die sie erwirtschaften?" Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden zur Wirtschaftsentwicklung hatten gezeigt, dass die Konjunktur im zweiten Quartal überraschend stark zugelegt hat. Offiziell geht die Bundesregierung für dieses Jahr zwar noch von einem Wachstum von 1,4 Prozent aus. Doch nach mehreren Medienberichten erwartet man im Bundeswirtschaftsministerium inzwischen ein Wachstum von drei Prozent im Vergleich zu 2009.

'Spiegel': Wirtschaftsministerium erwartet drei Prozent Wachstum

Die Wirtschaft hat die Krise abgehakt, es läuft wieder rund.

(Foto: ddp)

Die unverhofft gute Konjunkturentwicklung wird die öffentlichen Kassen dieses Jahr entlasten. Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden werden nach Ansicht des Ökonomen Alfred Boss vom Kieler Institut für Weltwirtschaft um mindestens elf Milliarden Euro über dem liegen, was Steuerschätzer bisher erwartet haben. Das Bundesfinanzministerium mahnte jedoch, man dürfe die positive Entwicklung in den ersten Monaten nicht einfach hochrechnen. Rückschlüsse auf die Neuverschuldung im Gesamtjahr könne man noch nicht ziehen. Ursprünglich hatte die Regierung dafür 80 Milliarden Euro angesetzt. Sie geht inzwischen aber nur noch von gut 65 Milliarden Euro neuen Schulden beim Bund aus. Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer hatte erst kürzlich in einem Interview gesagt, signifikante weitere Verbesserungen erwarte er derzeit nicht.

Das Finanzministerium machte daher deutlich, dass es bei den Sparbeschlüssen der Koalition bleibe. Einige Koalitionspolitiker unterstützten die Position. "Wer glaubt, wir hätten jetzt mehr Geld, das wir ausgeben können, der irrt sich", sagte der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke in der Zeitung Die Welt. "Wir haben höchstens weniger neue Schulden." CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte, es sei "zwingend geboten", am Sparkurs festzuhalten. "Dies schulden wir unseren Kindern." Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) forderte sogar, sich zugunsten der Haushaltssanierung schneller als geplant aus den Konjunkturprogrammen zu verabschieden.

Die Opposition sieht das ganz anders: Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, forderte in der Bild-Zeitung, angesichts des Aufschwungs auf Kürzungen im Sozialbereich zu verzichten und im Gegenzug die Senkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen zu kippen.

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel plädierte dafür, den Aufschwung für eine sozialere Politik zu nutzen. "Wenn jetzt der Aufschwung kommt, darf es nicht nur ein Aufschwung für Boni bei Managergehältern sein, sondern ein Aufschwung für alle", sagte er im ZDF. Für ihn bedeute das unter anderem, dass angemessene Lohnsteigerungen möglich sein müssten.

Das kräftige Wirtschaftswachstum hat bei den Bürgern Hoffnungen auf deutliche Lohnzuwächse sowie auf eine Korrektur am staatlichen Sparkurs geweckt. Vertreter der Wirtschaft dämpften die Erwartungen jedoch: "Auch wenn unsere Geschäfte wieder gut laufen, sind die Auswirkungen der Krise noch zu spüren", sagte etwa BASF-Chef Jürgen Hambrecht der Süddeutschen Zeitung. Der Präsident der Metall-Arbeitgeber, Martin Kannegiesser, äußerte sich ebenfalls kritisch: "Wir stecken immer noch in der Krise, nur nicht mehr so tief wie vor Jahresfrist", sagte er der SZ.

Trotzdem profitiert schon die Bundesagentur für Arbeit vom Wachstum. Sie wird in diesem Jahr weniger Bundeszuschüsse benötigen als angenommen. Laut Bild-Zeitung wird ihr Defizit nur noch bei sieben Milliarden Euro liegen, zuletzt war von minus neun Milliarden Euro die Rede gewesen. Das Bundesarbeitsministerium konnte die konkrete Zahl nicht bestätigen, doch der Trend stimme, hieß es. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet statt mit 3,5 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt jetzt nur noch mit 3,2 bis 3,3 Millionen. 2011 könnte sich die Zahl sogar der Drei-Millionen-Marke nähern, sagte Sabine Klinger vom IAB zur Berliner Zeitung.

Die Wirtschaft in der Eurozone insgesamt erholt sich nur allmählich. Das Wachstum von einem Prozent im zweiten Quartal sei vor allem von dem deutlichen Anstieg in Deutschland getrieben worden, sagte das Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank, Patrick Honohan: "Trotz ziemlich ermutigender Nachrichten aus Deutschland ist es doch eine ziemlich langsame Erholung."

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