Süddeutsche Zeitung

Nach den EU-Wahlen:Warum Europa mit Italien anders umgehen muss

  • Italiens Vizepremier Matteo Salvini will von den strengen Sparvorgaben Europas wegkommen.
  • Führende deutsche Ökonomen warnen nun davor, dass die Zusammenarbeit auch wegen Italien und der Rechtspopulisten komplizierter werde.
  • "Ungemütlich" könnte es in der Euro-Zone wieder werden, sagt etwa der Wirtschaftsweise Lars Feld.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Am Tag nach seinem Sieg bei den Europawahlen macht Matteo Salvini dort weiter, wo er zuvor aufgehört hatte. Er fordert eine Generalüberholung der europäischen Haushaltsregeln im Sinne Roms - also keine starren Sparvorgaben mehr, stattdessen will er mehr investieren. Der Chef der rechtspopulistischen Lega, zugleich Vizepremier des Landes, sagt, dass er erwartet, dass die neue EU-Kommission freundlicher mit Italien umgehen werde. Zuvor hatte er angekündigt, dass sein Land einen Kommissarsposten mit wirtschafts- und industriepolitischem Einfluss fordern werde. Salvini hört sich so an, als sei er Ministerpräsident seines Landes.

Ist er aber nicht. Jedenfalls noch nicht. Dafür kristallisiert sich am Montag heraus, dass sich alle weiteren Entscheidungen in besonderer Weise um Italien drehen. Man muss Salvinis 34,4-Prozent-Sieg mitdenken, wenn das Personalpaket für die Topjobs in Europa beschlossen wird. Wie gut sollte der nächste Kommissionschef Italienisch sprechen? Kann man ausschließen, dass der Rechtspopulist den nächsten Präsidenten der Europäischen Zentralbank zum Sündenbock macht, falls Italien an den Finanzmärkten unter Druck gerät? Wie kann man solidarisch sein?

Bloß keine Krise herbeireden

Führende deutsche Ökonomen warnen am Montag davor, dass die Zusammenarbeit auch wegen Italien und der Rechtspopulisten komplizierter werde. Vor allem beim Euro, bei internationalen Handelsabkommen sowie der Haushalts- und Steuerpolitik erwarten die Wirtschaftsforscher größere Probleme als bisher, Mehrheiten zu erreichen. Das ergibt eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung.

"Ungemütlich" könnte es in der Euro-Zone wieder werden, sagt Lars Feld. Der Wirtschaftsweise der Bundesregierung hält es für möglich, dass Salvini mit seiner erstarkten Lega Neuwahlen in Italien erzwingen könnte, um tatsächlich Ministerpräsident zu werden - "mit allen unangenehmen Konsequenzen für die Risikoaufschläge auf italienische Zinsen". Sollte es zu Neuwahlen und zu weiteren Zinsaufschlägen kommen, "werden die Sorgen um die Tragfähigkeit der italienischen Schulden steigen". Bewusst spricht Feld nur davon, dass es so kommen könnte. Denn auch das muss vermieden werden: dass jetzt die große Krise herbeigeredet wird.

Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts, fordert, Rom nicht weiter auszugrenzen. Bei der Weiterentwicklung des Binnenmarktes und der Handels- und Investitionspolitik müssten die Europäer einig nach außen auftreten. "Hier muss die EU vor allem Italien überzeugen, dass es allen nützt, wenn die EU zusammensteht", sagt Fuest. Als Gegenleistung sollte sich die EU solidarischer mit Italien zeigen, wenn es um Migration und die Aufnahme von Flüchtlingen geht.

Was den Euro betrifft, ist Fuest nicht nur wegen Italien skeptisch. "Der Erfolg von Salvini erschwert weitere Reformen in der Euro-Zone", sagt er. Allerdings sei Salvini nicht allein für mangelnde Reformen verantwortlich zu machen. "Auch Frankreich und Deutschland sind sehr zögerlich, außerdem sind die Vorstellungen der nordeuropäischen Mitgliedstaaten ganz anders als die vieler südeuropäischer Staaten."

Märkte bleiben vorerst ruhig

Henrik Enderlein, Präsident der Hertie School in Berlin, hält Neuwahlen für die bessere Alternative zum "Weiter-so" der jetzigen Regierung, deren Ministerpräsident Guiseppe Conte fast aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden ist. Die italienische Politik dürfe sich nicht weiter nur mit sich selbst beschäftigen und darüber die Herausforderungen des Landes vergessen. Bei vielen Wirtschaftsindikatoren sei Italien in Europa das Schlusslicht, das müsse sich ändern. "Salvini wird an der Leistung für das Land gemessen, nicht an seinem Populismus". Dass die Sorgen um Italien groß sind, ist zwar kein Geheimnis; darüber reden aber mag man ungern. Erst in der vorigen Woche stiegen die Risikoprämien für italienische Staatsanleihen, als Salvini bei einem seiner zahlreichen Wahlkampfauftritte angekündigt hatte, noch mehr Geld auszugeben; die italienischen Schulden schienen ihm egal zu sein.

An diesem Montag wird aufmerksam registriert, dass die Märkte relativ ruhig bleiben - trotz des Wahlsiegs und der Aufforderung, die Haushaltsregeln zu überarbeiten. Analysten zufolge liegt das vor allem daran, dass sich der Lega-Chef zuvor gesprächsbereit gezeigt hatte, mit Deutschland und Frankreich über die Budgetregeln zu reden. Dass Italien in den nächsten Monaten und Jahren entscheidend das Schicksal der Europäischen Union und des Euro mitbestimmen wird, macht es heikler, deutsche Kandidaten an die Spitze europäischer Institutionen zu senden. Es besteht das Risiko, dass bei einer italienischen Schuldenkrise der Streit zwischen Rom und Berlin ähnlich wie damals zwischen Athen und Berlin eskalieren könnte. Salvinis Rechtspopulisten würden kaum davor haltmachen, einen deutschen Präsident der Europäischen Kommission oder der Europäischen Zentralbank persönlich verantwortlich zu machen.

Die Szenarien werden mitgedacht, wenn über beide Spitzenjobs entschieden wird. Aus deutscher Sicht sind Manfred Weber (CSU) und Bundesbankpräsident Jens Weidmann kompetente Kandidaten. Ob einer von beiden einen Job erringt, ist dennoch offen. Weber muss es gelingen, für seine Kandidatur eine Mehrheit im EU-Parlament zu organisieren. Die Frist dafür läuft praktisch am Dienstagabend ab, wenn sich die Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel in Brüssel treffen.

Wird Weber nicht Kommissionschef, steigen die Chancen für Weidmann - theoretisch. Denn an Italien führt für ihn kein Weg vorbei. Zusammen mit Griechenland, Spanien und Portugal hat Rom eine Sperrminorität. Der Süden Europas aber hat nicht vergessen, dass Weidmann sich 2012 vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Euro-Rettungspolitik aussprach. Sieben Jahre später zeigt sich der Widerstand als Falle: Relativiert Weidmann seine damalige Position, wirkt er nicht glaubwürdig. Bleibt er dabei, gefährdet er den Euro. Das heißt: Wahl ausgeschlossen.

Anmerkung: Jens Weidmann sprach sich 2012 vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Euro-Rettungspolitik aus. In einer früheren Version dieses Textes hatte es geheißen, er sei gerichtlich dagegen vorgegangen. Das war nicht korrekt, wir haben den entsprechenden Satz geändert.

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SZ vom 28.05.2019/hgn
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