Gut zwei Monate nach dem Feuertod zweier rumänischer Arbeiter der Meyer-Werft haben sich der betroffene Schiffbauer und die IG Metall auf einen Haustarifvertrag für Werkvertragsarbeiter geeinigt und diesen am Montag vorgestellt. Die Vereinbarung schreibt soziale Mindeststandards für Werkverträgler vor, darunter einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Der neue Vertrag soll auch die Informations- und Kontrollrechte des Betriebsrats stärken und Klarheit über den Einsatz osteuropäischer Arbeiter schaffen.
Es ist der erste Tarifvertrag in Deutschland, der explizit für Werkverträge gilt und der den Missbrauch von osteuropäischen Billigkräften eindämmen will. "Das ist ein Novum", lobt Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste. Damit gebe es einen "guten Werkzeugkasten für den Betriebsrat".
Lob kommt auch von der Meyer-Werft. "Wir sind sehr froh und zufrieden mit dem Ergebnis", sagt Geschäftsführer und Inhaber Bernard Meyer. Der Haustarifvertrag werde "zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Werkvertragsarbeitern beitragen".
3,50 Euro pro Stunde
In Papenburg im Emsland waren Mitte Juli zwei Arbeiter aus Rumänien in ihrer Unterkunft verbrannt. In dem Einfamilienhaus waren 33 Werft-Arbeiter gemeldet. Seit dem Unglück tauchten immer mehr Details zu Massenunterkünften und Dumpinglöhnen auf.
Bei der Meyer-Werft arbeiten geschätzt mehrere Hundert Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Viele sind bei Sub- oder Sub-Sub-Firmen angestellt. Nach Recherchen der SZ verdienen viele Arbeiter bisher nur zwischen 3,50 und fünf Euro pro Stunde.
Die Einigung auf den Haustarifvertrag ist auch auf Druck der rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen zustande gekommen. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) nennt den Vertrag einen "Meilenstein". Das Bundesland setzt sich verstärkt für bessere Arbeitsbedingungen von Werkvertragsarbeitnehmern ein. Laut Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat sich die Ausbeutung von zumeist osteuropäischen Arbeitern zum "Geschwür auf dem Arbeitsmarkt" entwickelt.
Vertrag gilt von Oktober an
Ende August hatte das Land angekündigt, mit einer Bundesratsinitiative gegen den Missbrauch von Werkverträgen vorzugehen, am Freitag wird dazu ein Entwurf in den Bundesrat eingebracht. Niedersachsen ist vielfach betroffen. Werkverträge werden nicht nur auf Werften, sondern auch in der Fleischindustrie eingesetzt. In vielen Schlachtbetrieben arbeiten überwiegend Werkvertragsarbeiter. Oft werden sie über ein Geflecht von Sub- und Sub-Sub-Firmen angeheuert.
Für den Haustarifvertrag hatten Gewerkschaft und Schiffbauer Meyer - hier werden Kreuzfahrtschiffe wie die Aida gebaut - über Wochen verhandelt. Nach fünf Treffen einigten sie sich auf einen fünfseitigen Vertrag, der von Oktober an gilt. Er regelt den Umgang mit Beschäftigten von Werkvertragsunternehmen, die länger als einen Monat auf der Werft im Einsatz sind. Bei der privaten Firma arbeiten - je nach Auftrag - etwa 290 Leiharbeiter und gut 1500 Werksvertragsarbeitnehmer. Zur Stammbelegschaft gehören 3100 Menschen. Pro Schiff wird mit etwa 1000 Partnerfirmen kooperiert.
Auf Werften sind Werkverträge zu einem gewissen Maß nötig. Um Kreuzfahrtschiffe zu bauen, werden spezielle Handwerker wie Theaterbauer oder Klimaanlagen-Hersteller benötigt. Sie werden für eine bestimmte Stundenzahl und Leistung per Werkvertrag bezahlt. Zudem ist der Arbeitsanfall unregelmäßig. Für die Werft sei es wichtig, auch künftig mit solchen Werkverträgen produzieren zu können, betont Firmenchef Meyer: "Als moderne Firma müssen wir flexibel mit den besten Firmen ihres Faches zusammenarbeiten."
Weniger Rechte als Leiharbeiter
Gewerkschaften werfen der Werft aber vor, dass sie zunehmend auch Werkverträge einsetze, um die Stammbelegschaft zu ersetzen. Der neue Tarifvertrag regelt erstmals, dass Werkvertragsarbeiter nur maximal zehn Stunden am Tag und 60 Stunden pro Woche eingesetzt werden. Damit soll verhindert werden, dass Arbeiter zwei Schichten nacheinander leisten. Dies sei nach Aussagen einiger Rumänen auf der Werft durchaus vorgekommen.
Neuerdings bekommt der Betriebsrat Informations- und Kontrollrechte für Werkvertragsarbeiter - etwa bei Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. Bisher wussten häufig weder Betriebsrat noch Firmenleitung genau, wie viele Arbeiter welches Dienstleisters gerade auf der Werft waren und was genau sie taten. Darüber soll bald Transparenz herrschen. Beim Ersteinsatz von Ausländern hat sich die Werft verpflichtet, die Menschen in Landessprache über Mindeststandards und Möglichkeiten zur Beratung zu informieren. Auch dürfen die Werkvertragsarbeitnehmer künftig Sozialräume wie etwa die Umkleiden und die Kantine nutzen.
Um Missbrauch einzudämmen, wird eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich einmal im Monat treffen soll. Diese Gruppe soll darüber informiert werden, wenn Sub-Firmen die Mindeststandards nicht einhalten. Der Vertrag regelt, dass solche Firmen künftig ausgeschlossen werden können bei der Auftragsvergabe. "Der Betriebsrat kann bei Streitfällen die Einigungsstelle anrufen", betont IG-Metall-Bezirksleiter Geiken. Es dürfe nicht sein, dass Werkvertragsarbeitnehmer zunehmend die Arbeit von Leiharbeitern oder der Stammbelegschaft leisteten, sagt Geiken.
Doch das Grundproblem kann die Gewerkschaft auch nicht lösen: Werkvertragsarbeiter haben weit weniger Rechte als Leiharbeiter. Diese sind bei Leiharbeitsfirmen angestellt und sozialversichert, sie haben Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung bei Krankheit. Seit 2012 ein Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche eingeführt wurde, hat es eine extreme Zunahme von Werkverträgen gegeben.