Nach dem Brexit:Mit Schirm, Charme und Vorsicht

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Der Brexit kann neue Finanzierungshürden bringen. (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Deutsche Firmen leiden bereits unter dem Brexit, insbesondere Autohersteller und Zulieferer. Viele Firmen haben ihre Wachstumspläne erst einmal ad acta gelegt. Doch den britischen Markt aufgeben wollen sie nicht.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Ende April trifft sich die europäische Transport- und Logistikbranche im Nordwesten Englands zur Birmingham Commercial Vehicle Show. Mit dabei auf der britischen Nutzfahrzeugmesse ist die bayerische Firma Sortimo. Für den Fahrzeugausstatter, der bereits in den 1990er-Jahren nach Großbritannien expandierte, ist die Messe ein Pflichttermin. Besonders jetzt, wenige Monate nach dem Brexit-Entscheid.

"Es ist noch völlig unklar, wann der Austritt Großbritanniens aus der EU tatsächlich erfolgt. Es ist daher nicht die Zeit für Aktionismus", sagt Frederic Strass, Leiter des internationalen Geschäfts von Sortimo. Stattdessen will man sich an den Standorten in Warrington und Birmingham auf das Tagesgeschäft konzentrieren. Rund 550 bayerische Unternehmen sind wie Sortimo mit Niederlassungen in Großbritannien präsent. Bundesweit sind es 2500 Firmen, die am Ort rund 400 000 Mitarbeiter beschäftigen. Sie alle müssen mit Umsatzeinbußen durch den Austritt Großbritanniens aus der EU rechnen.

Am stärksten von den britischen Marktveränderungen betroffen, ist die Automobilindustrie, Zugpferd der bayerischen Wirtschaft, und mit ihr Tausende Zulieferbetriebe aus dem Fahrzeug- und Metallbau. Das gesamte Ausmaß der Belastungen lässt sich vor Abschluss der Austrittsverhandlungen und der Neuregelung der Handelsbeziehungen nur vage prognostizieren. Erste negative Folgen lassen sich bereits an den Exportzahlen ablesen. Die deutschen Ausfuhren in das Vereinigte Königreich (insgesamt 86 Milliarden Euro) brachen im dritten Quartal 2016 um mehr als neun Prozent ein.

Der Gegenwind wird am britischen Markt für Exporteure zunehmen

"Unsicherheit ist Gift für Unternehmen. Die Betriebe warten die Verhandlungsergebnisse ab und halten derzeit bei ihren strategischen Entscheidungen für den britischen Markt die Füße still", sagt Frank Dollendorf, Bereichsleiter Außenwirtschaft bei der IHK München. Derweil ist man in den Firmenzentralen von Konzernen wie BMW und Bosch bis zu mittelständischen Betrieben wie Sortimo seit Monaten mit Kalkulationen beschäftigt. Auch bei Mawa in Pfaffenhofen: "Wir haben uns die Auswirkungen aller möglichen Szenarien angeschaut und sind vorbereitet. Investitionen in den Markt sind auf absehbare Zeit gestoppt und wir haben das Marketingbudget ganz heruntergefahren", sagt Michaela Schenk, geschäftsführende Gesellschafterin von Mawa.

Der Kleiderbügel-Hersteller mit 57 Mitarbeitern und 80 Prozent Exportanteil wollte das Geschäft in Großbritannien eigentlich ausbauen. Statt der Expansion, für die Schenk bereits eine Förderzusage des Landes in der Tasche hatte, führt sie nun Preisverhandlungen. Infolge des Brexit-Votums hat das britische Pfund massiv an Wert verloren, was Importe ins Land deutlich verteuert. "Als das Pfund nach dem Referendum stark fiel, verlangten unsere Abnehmer eine Rabattierung in Höhe der Wechselkursdifferenz. Das hat mich dann schon überrascht", sagt Schenk. Ergebnis der Kursverluste: Absatzeinbußen von rund 20 Prozent.

Ein Los, das Sortimo, wo Werkzeugboxen und -koffer für Handwerker- und Serviceautos ausschließlich von den 850 Mitarbeitern am Zusmarshausener Firmensitz gefertigt werden, teilt. Das Unternehmen verzeichnete Einbußen von mehr als einer Million Euro. "Als Reaktion auf den Einbruch des Wechselkurses haben wir bei den Kosten an der Effizienzschraube gedreht, unsere Vertriebsmaßnahmen angepasst und noch weiter intensiviert", sagt Strass. Somit konnte der Lieferant von VW, Ford und Toyota neue Kunden gewinnen.

Der Gegenwind wird am britischen Markt für Exporteure zunehmen. "In den kommenden beiden Jahren wird sich der Euro-Pfund-Wechselkurs eher seitwärts bewegen, allerdings unter mehr oder weniger starken Schwankungen. Das Risiko einer spürbaren Pfund-Abwertung ist hingegen um den Zeitpunkt des Austrittes durchaus gegeben", sagt Commerzbank-Ökonom Marco Wagner. Einigen Produzenten bringt die Teuerung durchaus Vorteile. "Die deutsche Konsumgüterbranche profitiert aktuell vom Brexit. Denn die britischen Konsumenten ziehen Käufe vor, weil sie Kursverluste ihrer Währung und somit steigende Preise befürchten", sagt IHK-Experte Dollendorf.

Die Verbraucherpreise im Vereinigten Königreich sind im Januar um 1,8 Prozent im Vorjahresvergleich gestiegen, mit Zuwächsen wird gerechnet. Auch wenn die Details unklar sind, eine Tendenz, wie ein künftiger Handelsvertrag zwischen Großbritannien und der EU aussehen wird, ist zu erkennen. "Vor ein paar Monaten haben wir die Situation optimistischer eingeschätzt. Wir erwarten hinsichtlich des Handelsabkommens zwischen der EU und Großbritannien zwar immer noch eine Kompromisslösung, aber zu härteren Spielregeln", sagt Wagner.

Die britische Regierung plant nicht nur die EU, sondern auch den Binnenmarkt sowie die Zollunion zu verlassen und ein neues Abkommen mit den Europäern abzuschließen. Ob der Vertrag binnen zwei Jahren steht, ist höchst zweifelhaft. "Die Unternehmen wünschen sich künftig eine Zollunion zwischen der EU und Großbritannien. Das heißt keine Abgaben beim Binnenhandel, allerdings gemeinsame Außenzölle gegenüber Drittstaaten", sagt Dollendorf. Handelshemmnisse bedeuten mehr Aufwand und mehr Kosten, was wiederum die Gewinnmargen schmälert. Zölle auf Komponenten, die von deutschen Firmen in Großbritannien endgefertigt werden, oder Produktzertifizierungen für den britischen Markt sind Beispiele. Beides trifft besonders die Autohersteller und Zulieferer mit transnationalen Lieferketten.

Geht die Rechnung nicht mehr auf, werden sich deutsche Betriebe vom britischen Markt zurückziehen. "Sobald das Abkommen vorliegt und die Standortpolitik der Briten klar ist, werden die Vor- und Nachteile für das jeweilige Geschäft genau evaluiert und entsprechende Entscheidungen getroffen. Eine Produktionsverlagerung kann dann binnen weniger Monaten über die Bühne gehen", sagt Analyst Wagner.

Noch ist es nicht so weit. Trotz Umsatzeinbußen und drohender Kostensteigerungen sehen mittelständische Betriebe weiterhin Potenzial. "Wir geben den britischen Markt auf keinen Fall auf und bleiben in Kontakt mit den Kunden. Sobald sich der Wechselkurs stabilisiert, sind wir optimistisch, dass wieder vermehrt Bestellungen kommen", sagt Schenk. Ausfälle könne Mawa auf den anderen 63 Auslandsmärkten kompensieren. Auch Sortimo will sich vom Brexit nicht beirren lassen. "Wir hängen in Großbritannien an der Binnennachfrage, und die entwickelt sich sehr positiv. Wir wachsen in diesem Markt jährlich stärker als die Zulassungszahlen im Nutzfahrzeugmarkt und sehen gute Chancen auf überproportionales Wachstum", sagt Strass. Gelegenheit für Neugeschäft bietet sich schon auf der Birminghamer Messe.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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