Süddeutsche Zeitung

Nach Corona:Abgelenkt, aber ganz zufrieden

Eine Frage, eine Antwort: Arbeiten wir im Home-Office mehr?

Von Felicitas Wilke

Home-Office, das ist ein gemütlicher Netflix-Tag mit Laptop auf dem Schoß? Eine ganztägige Yoga-Einheit mit drei Pro-Forma-Arbeitstelefonaten dazwischen? Was vor der Pandemie noch gängige Vorurteile gegenüber dem mobilen Arbeiten waren, klingt heute wie ein müder Witz aus einer vergangenen Epoche. Hörte man in den vergangenen anderthalb Jahren den Konzernlenkern und Personalchefinnen zu, wiesen sie immer wieder darauf hin, wie "erstaunlich gut" das mit dem dezentralen Büro doch klappe.

Und in der Tat: Zuhause wird gearbeitet, tendenziell sogar mehr als im Büroturm. Wie Forschende der Harvard Business School und der New York University herausgefunden haben, dauert ein durchschnittlicher Arbeitstag im Home-Office während der Pandemie 48,5 Minuten länger. Die Zeit, die Beschäftigte für den Weg zum Büro einsparen, verbringen sie also schnell mal länger vor dem PC - vor der Videokamera, um genau zu sein. Denn insbesondere die Zahl der Meetings hat im Home-Office zugenommen (wobei die virtuellen Treffen nicht so lange dauerten), außerdem schrieben die Beschäftigten im Durchschnitt eineinhalb E-Mails mehr. Gibt es keinen Flurfunk mehr, muss eben getippt oder videokonferiert werden.

Viele Menschen können mit dem neu strukturierten Arbeitstag aber offenbar ganz gut leben: Wie Befragungen des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zeigen, wünschen sich die meisten Erwerbstätigen, die zwischenzeitlich zuhause gearbeitet haben, dies auch weiterhin tun zu können. Sich den Stau auf der Autobahn zu sparen, die Arbeitszeit freier einteilen zu können oder zwischendurch nach den Kindern schauen zu können: Das nehmen Beschäftigte als Vorteile wahr.

Mehrere Studien, darunter eine Befragung des Digitalverbands Bitkom, haben zudem gezeigt, dass sich berufstätige Menschen am heimischen Schreibtisch als produktiver einschätzen. Mit diesem subjektiven Eindruck könnten sie allerdings falsch liegen. Denn Forschende des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) erfuhren mithilfe eines Analysetools, das die Arbeitsleistung von 10 000 Probanden aus einem asiatischen IT-Unternehmen mit deren Einverständnis maß: Die Beschäftigten lieferten zwar auch im Home-Office den gleichen Output, doch sie mussten dafür rund 30 Prozent mehr Arbeitszeit aufwenden. Die Produktivität ging zuhause also zurück - und zwar vor allem bei Beschäftigten mit Kindern, die immer mal wieder von der Arbeit abgelenkt wurden. Die Vorteile und die Nachteile liegen manchmal ganz schön nah beieinander.

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