Nach Brexit-Votum:Britische Notenbank senkt Leitzins auf tiefsten Wert ihrer Geschichte

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Passanten vor dem Gebäude der Bank of England in London (Foto: Bloomberg)
  • Die britische Notenbank hat nicht nur den Leitzins auf einen historischen Tiefstand von 0,25 Prozent abgesenkt.
  • Sie weitet zudem ihr Anleihen-Kaufprogramm aus. Das soll die Konjunktur ankurbeln und die Wirtschaft nach dem Brexit-Votum beruhigen.

Von Vivien Timmler

Die britische Notenbank reagiert auf die wirtschaftlichen Folgen des Brexit-Votums. Sie entschied am Donnerstag, den Leitzins von 0,5 auf 0,25 Prozent abzusenken. Das ist der tiefste Stand, den es in der 322-jährigen Geschichte der Bank of England (BoE) je gab. Zudem kündigte die Notenbank an, dass sie noch in diesem Jahr zu einer weiteren Senkung in Richtung der Null-Linie bereit ist.

Neben der Änderung des Leitzins weitet die Notenbank auch den Kauf von Staatsanleihen überraschend aus. Das angepeilte Gesamtvolumen steigt von derzeit 375 Milliarden auf 435 Milliarden Pfund. Die Entscheidung bedeutet, dass die Notenbank nun wieder Wertpapiere kaufen wird. Das bisherige Gesamtvolumen war bereits ausgeschöpft gewesen. Erstmals will die britische Notenbank auch Staatsanleihen kaufen.

Die Bank of England reagiert mit ihren Maßnahmen auf die Auswirkungen des Brexit-Votums. Die britische Wirtschaft befindet sich nach der Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu verlassen, noch immer in einer Art Schockzustand. Nicht einmal zwei Monate nach der Abstimmung signalisieren erste Frühindikatoren bereits, dass das Votum der Briten die Wirtschaft empfindlich treffen könnte.

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Die Indikatoren für die Konjunktur seien deutich gefallen, begründete Notenbank-Chef Carney die Entscheidung, "in den meisten Fällen in Bereiche, die wir zuletzt in der Finanzkrise gesehen haben". Angesichts der enormen Auswirkungen des Brexit-Votums korrigierte die Zentralbank auch ihre Wachstumsprognose. Für das nächste Jahr rechnet sie nur noch mit einem Wachstum von 0,8 Prozent, zuvor war sie noch von 2,3 Prozent ausgegangen. Und auch langfristig rechnet die Notenbank mit schweren Folgen für die Konjunktur. Für 2018 sagt sie ebenfalls ein um 0,5 Prozent schwächeres Wachstum voraus. Die Maßnahmen, die sie nun ergreift, sollen die Lage nun zumindest beruhigen.

Notenbank schließt weitere Absenkung des Leitzins nicht aus

Drei Wochen zuvor, bei der letzten Sitzung der BoE, hatten sich die Notenbanker noch gegen frühe Maßnahmen entschieden. Doch diese Position hat sich in den vergangenen Tagen geändert. Zuletzt hatte BoE-Chefvolkswirt Andrew Haldane signalisiert, dass er im Zweifel bereit sei, lieber zu viel als zu wenig zu tun, um die Märkte zu stabilisieren. Es sei besser, "mit einem Vorschlaghammer eine Nuss zu knacken, als zu versuchen, mit einer Spielzeugschaufel aus dem Gefängnis auszubrechen", sagte der Notenbanker.

Mit der Absenkung des Leitzinses versucht die BoE, Konsum und Investitionen anzukurbeln. Es ist jedoch nicht gesagt, dass dieser Schritt ausreicht, um die Konjunktur dauerhaft zu stärken - schließlich lag der Leitzins bereits vor der Entscheidung auf einem historisch niedrigen Niveau von 0,5 Prozent. Die Notenbank deutete jedoch an, dass sie auch eine weitere Senkung des Leitzinses nicht mehr ausschließt. Ein deutliches Signal: Die Notenbanker sind nach dem Brexit-Votum nervös.

Die Börsen waren in den Tagen nach der Abstimmung dramatisch abgestürzt. Auch das britische Pfund sank auf ein neues Allzeit-Tief und erreichte mit einem Stand von unter 1,28 Dollar das tiefste Niveau seit 1985. Die Unsicherheit an den Finanzmärkten ist inzwischen auch auf die restliche Wirtschaft des Landes übergeschlagen. Die Furcht vor einer Rezession ist allgegenwärtig. Da hilft es wenig, dass der FTSE100, das britische Äquivalent zum Dax, seit dem Brexit-Votum sogar zugelegt hat. Denn in ihm sind beispielsweise Goldminen-Betreiber und besonders exportlastige Firmen notiert - Unternehmen, die vom Kursverfall des Pfund profitieren.

Großbritanniens Wirtschaft kämpft aber nicht nur mit den unmittelbaren Folgen des Votums, sondern auch mit der Ungewissheit. Niemand weiß genau, ob und wann ein Brexit tatsächlich kommen wird. Viele Unternehmer verschieben deshalb Investitionsentscheidungen. Und das wirkt sich schon jetzt aus: Der vom Institut Markit erhobene Einkaufsmanager-Index, der als wichtiger Frühindikator für die wirtschaftliche Lage der produzierenden Unternehmen gilt, ist so stark eingebrochen wie seit drei Jahren nicht mehr. Er fiel für den Monat Juli um 4,2 Punkte auf einen Wert von 48,2. Ein Wert über 50 signalisiert Wachstum, ein Wert unter 50 dagegen einen wirtschaftlichen Abschwung.

Immobilienbranche schwächelt

Auch weitere Indikatoren machen deutlich, dass die Folgen des Brexit gerade erst sichtbar werden: Vor allem die Immobilienbranche zeigte schlechte Zahlen. Der britische Bausektor ist nach der Abstimmung so stark geschrumpft wie seit sieben Jahren nicht mehr. Zudem sind zum ersten Mal seit Jahren die Immobilienpreise in der Londoner Innenstadt zurückgegangen, die lange als sichere Geldanlage galten.

Ob die heutige Entscheidung der Notenbanker das Brexit-Chaos nun wirklich abfedern kann, ist keinesfalls sicher. Falls die neuen Maßnahmen nichts bewirken, könnte die BoE neben einer erneuten Absenkung des Leitzinses aber noch eine weitere, relativ ungewöhnliche Maßnahme ergreifen. Sie könnte der Regierung einen direkten Kredit geben, also deren Konjunkturprogramme unmittelbar querfinanzieren. Diese Maßnahme ist höchst umstritten. Doch auch diese Option gilt unter Experten nicht mehr als ausgeschlossen.

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