Nach Abgasaffäre:Die alten VW-Manager müssen endlich weg

Hauptversammlung der Porsche Automobil Holding SE

Waren schon da, als man bei VW damit begann, mit einer raffinierten Software die Abgasmessungen bei Dieselmotoren zu manipulieren: Hans Dieter Pötsch und Matthias Müller.

(Foto: picture alliance / dpa)

Den richtigen Zeitpunkt für einen Neuanfang hat der Konzern verpasst, aber ganz zu spät ist es noch nicht - wenn Menschen wie Hans Dieter Pötsch gehen.

Kommentar von Thomas Fromm

Man kann sich Volkswagen vorstellen als Europas größten Autobauer und einen der größten Konzerne der Welt. Man kann sich diesen Industriekoloss aber auch als einen gigantischen Gutshof mit 600 000 Mitarbeitern vorstellen. Zwar ist dieser Gutshof börsennotiert und gehört eigentlich vielen. Allerdings wird er von einigen wenigen seit vielen Jahren als eine Art herrschaftlicher Besitz behandelt. Das ging jahrelang gut, mehr oder weniger. Über ein Jahr nach Ausbruch der Dieselaffäre aber droht dieser Gutshof nun an den archaischen Herrschaftsstrukturen zugrunde zu gehen.

Einblicke in die Funktionsweise des Gutshofes gab es an diesem Wochenende. Die Ankündigung der Staatsanwaltschaft, in der Dieselaffäre auch gegen VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch zu ermitteln, war gerade am Markt, da schlossen sich schon die Reihen der Großaktionäre. Man stehe "uneingeschränkt" hinter Pötsch, ließen die Familien Porsche und Piëch, denen rund die Hälfte von VW gehört, wissen. Das Land Niedersachsen, das 20 Prozent hält, warnte vor "vorschnellen Schlussfolgerungen", und auch die Vertreter der IG Metall winkten ab.

Alle für einen, einer für alle: Selten ist man sich in diesem Konzern so einig wie in der Pötsch-Frage. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Ex-VW-Boss Martin Winterkorn und Markenchef Herbert Diess wegen des Verdachts, die Manager hätten zu spät über den Abgasskandal informiert. Dass sie nun auch Pötsch im Visier hat, scheint für die Gutsherren in Wolfsburg nur more of the same zu sein - ein bisschen mehr noch vom Altbekannten, kein großes Ding. Abwarten.

Lieber jemand an der Spitze, der keine dummen Fragen stellt

So einfach ist es aber nicht. Selbstverständlich gilt bei dem Manager, der bis vor einem Jahr Finanzchef im Autokonzern war, die Unschuldsvermutung. Und, ja, selbstverständlich muss erst noch geklärt werden, ob Pötsch als Finanzchef bewusst zu spät über die Milliardenrisiken der Abgasmanipulationen informiert hatte. Nur: Kann der heutige Chefkontrolleur Pötsch aufklären, was einst unter dem Finanzchef Pötsch schieflief? Was zeitig oder zu spät kommuniziert wurde?

Natürlich geht das nicht, und daher ist es nun an der Zeit, dass jemand anderes die Geschäfte im Aufsichtsrat führt. Um VW glaubwürdig in die Zukunft zu retten, braucht es jemanden, der im Konzern keine Vergangenheit hat.

Die Risiken waren bekannt, als der 65-Jährige vor über einem Jahr an die Spitze des Aufsichtsrates gesetzt wurde. Schon damals wurde diskutiert, ob ein Externer dem Gutshof nicht besser bekäme als der Vertreter aus der Alt-Herren-Garde. Alternativen zu Pötsch hätte es zwar gegeben, aber die Gutsherren wollten es damals so - ahnend und wohl schon einkalkulierend, was da auf sie zukommen würde. Lieber einer, der den Laden in- und auswendig kennt, als ein Neuer, der dumme Fragen stellt und mit den Gesetzen des Hofes nichts anfangen kann.

Einer von außen, der den Laden nicht kennt, wäre noch das kleinste Problem gewesen. Viel wichtiger ist womöglich: Einer von außen kennt die Spielregeln der Herrschaft nicht, weiß nicht, wie hier seit Jahren und Jahrzehnten regiert und durchregiert wird. Einem, der diese sehr speziellen Regeln nicht kennt, will man bei VW nicht den Hof überlassen. Andere Konzerne - zum Beispiel Siemens nach der Korruptionsaffäre - haben einen personellen Neuanfang eingeleitet. VW geht einen anderen Weg, den des Gutshofes. Gerade darin liegt die Tragödie.

VW steckt in der eigenen Vergangenheit fest

Die Marketing-Strategen erzählen die Geschichte eines Konzerns, der den Dieselskandal nutzen will, um ein anderer, ein modernerer Konzern zu werden. Tatsächlich aber steckt dieser Konzern noch immer in seiner Vergangenheit fest. In einer Zeit, in welcher der alte Patriarch Ferdinand Piëch über Autos, Strategien und Menschen entschied. Aus dieser Zeit, in der von oben nach unten regiert wurde und Widerspruch zwecklos war, stammen Männer wie Pötsch, aber auch Winterkorn-Nachfolger Matthias Müller und Audi-Chef Rupert Stadler. Beide waren, wie Pötsch, längst schon in hohen Ämtern, als man begann, mit einer raffinierten Software die Abgasmessungen bei Dieselmotoren zu manipulieren - das sorgt heute nicht unbedingt für Entspannung.

Auch der Vorsprung-durch-Technik-Hersteller Audi steckt tief drin im Dieselmorast; zuletzt soll bei der VW-Tochter eine neue Schummel-Software entdeckt worden sein. Es hört einfach nicht auf, und wie immer, seit über einem Jahr, die selben Fragen: Was wusste der, was wusste der andere? Der Konzern hätte sich eine Menge Ärger und Diskussionen erspart, wenn er schon vor einem Jahr auf einen richtigen Neustart gesetzt hätte. Früher oder später kommt er eh - so oder so .

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