Süddeutsche Zeitung

Nabucco-Pipeline:Das große Spiel ums Gas

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Es geht um Milliardenbeträge: Die Europäer wollen ihre Abhängigkeit von russischer Energie mindern - Moskau arbeitet dagegen. Noch steht es unentschieden.

J. Rubner

Das Great Game, der historische Konflikt des 19. Jahrhunderts zwischen dem britischen Empire und dem russischen Zarenreich, drehte sich um die Vorherrschaft der Weltmächte in Zentralasien. Beim Großen Spiel des frühen 21. Jahrhunderts geht es um Ressourcen, vornehmlich um Erdgas, das in Aserbaidschan und Turkmenistan lagert.

Einen kleinen Sieg im Wettstreit um den Zugang zu dem begehrten Rohstoff will die Europäische Union an diesem Montag erringen: In Ankara unterzeichnen die fünf Länder, durch die die sogenannte Nabucco-Pipeline führen soll, einen Vertrag. Mit dem "Intergovernmental Agreement" soll das Projekt, dessen offizieller Startschuss schon vor drei Jahren fiel, endlich an Fahrt gewinnen.

Russland ist der direkte Konkurrent

Die 3300 Kilometer lange Pipeline ist die Antwort der EU auf andere Gasröhren, an denen maßgeblich Russland beteiligt ist: zum einen Nord Stream, die Pipeline durch die Ostsee, die 2012 russisches Gas nach Deutschland transportieren soll und deren Mehrheitseigner der staatliche russische Monopolist Gazprom ist.

Zum anderen forciert Moskau in direkter Konkurrenz zu Nabucco den Bau der South Stream Pipeline, die zentralasiatisches Gas via Russland und durch das Schwarze Meer nach Europa schaffen soll.

Auch dieses Vorhaben ist in der Hand von Gazprom, der Konzern unterzeichnete Mitte Mai in Sotschi Abkommen mit Energiefirmen der Transitländer Bulgarien, Serbien, Rumänien und Italien. Beide Röhren verschaffen Russland einen großen Absatzmarkt in Westeuropa - und politische Macht.

Auch deshalb waren die schleppenden Verhandlungen über Nabucco der EU-Kommission ein Dorn im Auge. Denn Brüssel will die Energieimporte der EU, die ein Drittel ihres Gases aus Russland bezieht, möglichst rasch diversifizieren, um energiepolitisch unabhängiger von Moskau zu werden. Auch die USA setzen sich vehement für dieses Ziel ein.

Dazu sind Röhren notwendig, welche die Reserven in der kaspischen Region, im Irak und - vielleicht sogar einmal im gasreichen Iran - anzapfen und an Russland vorbei nach Europa bringen können.

Die Türkei wollte ein Siebtel des Nabucco-Gases

Verzögert wurden die Verhandlungen über Nabucco auch, weil die Türkei als wichtiges Transitland lange verlangt hatte, ein Siebtel des Nabucco-Gases für eigene Zwecke abzweigen zu können.

Nun soll der Vertrag dokumentieren, dass die Politik hinter Nabucco steht. Nabucco, das ist ein Konsortium aus sechs Firmen, darunter der deutsche Energiekonzern RWE. Bis 2013 wollen sie den Abschnitt zwischen Ankara und der Verteilerstation Baumgarten bei Wien fertigbauen, 2015 das Stück zwischen der türkischen Hauptstadt und der Ostgrenze des Landes.

Zunächst sollen acht Milliarden Kubikmeter Gas jährlich fließen, bis 2020 hofft man, dass die Röhre mit 30 Milliarden Kubikmeter maximal ausgelastet sein wird. Zum Vergleich: Deutschland verbraucht jährlich 100 Milliarden, die EU 485 Milliarden Kubikmeter Gas.

So eine lange Pipeline hat ihren Preis: Die Kosten für Nabucco werden auf etwa acht Milliarden Euro geschätzt, von denen die EU 200 Millionen für die Projektierungsphase spendiert hat. Von der Europäischen Investitionsbank gibt es eine Zusage für Kredite über 2,5 Milliarden, auch die Europäische Bank für Wiederaufbau will das Vorhaben unterstützen.

Rentieren wird sich Nabucco aber nur, wenn ausreichend Gas fließt. In Brüssel gibt man sich zuversichtlich: "Aserbaidschan, Irak, Ägypten, Turkmenistan" listet ein Kommissionssprecher als Gas-Quellen für Nabucco auf.

Doch abgesehen vom Irak - die österreichische OMV und die ungarische MOL haben unlängst ein Lieferabkommen mit Bagdad geschlossen - haben sich die anderen Lieferanten keineswegs festgelegt.

Denn die gasreichen Zentralasiaten scheuen davor zurück, den Europäern Zusagen zu machen - auch mit Rücksicht auf Russland. RWE, das 2015 ein Viertel der Gasmenge für Nabucco bereitstellen muss, setzt auf turkmenisches Gas, hat jedoch dafür noch keinen Vertrag in der Tasche.

"Früher folgte man der Regel prove, drill, export", sagt Energieexperte Oliver Geden von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik: Gasvorräte seien erst nachgewiesen, dann gefördert und anschließend verkauft worden.

Eine Gruppe von Trittbrettfahrern

Bei Nabucco sei es andersherum. Die Firmen setzten darauf, so Geden, dass das politische Bekenntnis die Gaslieferanten überzeugt. "Jeder spielt Trittbrettfahrer", ätzt ein hoher Brüsseler Diplomat, nach dem Motto "Ich bin dabei, aber Risiken sollen die anderen übernehmen."

Im nächsten Schritt muss jedes der fünf Transitländer einen Vertrag mit dem Nabucco-Konsortium schließen, erst dann kann der Bau beginnen. Das Große Spiel ist längst nicht entschieden.

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SZ vom 13.07.2009/kfa
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