Dringend nötig hatten sie es nicht, aber sie wollten es unbedingt: mehr Geld von den Investoren. Und so flogen Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal im November erst nach New York und dann weiter ins Silicon Valley, trafen 15 Investoren, verhandelten lange, flogen wieder hin - und unterschrieben am Ende Verträge, mit denen die beiden Chefs der Direktbank N26 jetzt zu den erfolgreichsten deutschen Fintech-Gründern der Geschichte werden. Zu einer Zeit, in der sich andere Banken gesund schrumpfen, wagen sie sich hinaus in die Welt, mit einer Wette auf die Zukunft und einem der größten Konzerne der Finanzbranche als Ankeraktionär: dem Versicherer Allianz.
Die neue Finanzierungsrunde ist für die deutsche Start-up-Szene außergewöhnlich; für eine europäische Fintech-Firma ist sie spektakulär: 260 Millionen Euro wollten die Investoren unter Führung des Risikokapitalgebers Insight Venture Partners der Digitalbank geben. Damit wird N26 mit insgesamt 2,3 Milliarden Euro bewertet - mehr als die Aareal Bank und ein Drittel so viel wie die Commerzbank.
Fintech, der Begriff steht hier für eine neue Privatkundenbank mit dem Handy als Schaltzentrale. N26 hat nur etwa 750 Mitarbeiter, ist aber in 24 Ländern aktiv. Die Kapitalerhöhung hätte es nicht unbedingt gebraucht, es ging eher um den Zeitpunkt und den Wunsch, schneller zu wachsen. Mit dem Kapital will das Start-up jetzt in die USA expandieren. Das Geld fließt also vor allem in den Glauben an rasches Wachstum außerhalb Europas. "Realistisch gesehen wollen wir in den ersten zwölf bis 24 Monaten eine Million Kunden haben", sagt Stalf mit Blick auf die USA. Über Hindernisse spricht er nicht, lobt sein Angebot und zieht den Vergleich zu Großbritannien: Dort habe N26 in zwei Monaten rund 100 000 Kunden gewonnen.
Aus ihren Ambitionen haben Stalf und Tayenthal nie ein Geheimnis gemacht. Inzwischen aber dürften sie auch wissen, wie zäh dieses Geschäft sein kann: "N26 ist einfach eine Privatkundenbank, und die funktioniert am Ende nur dann gut, wenn man Dienstleistungen anbietet, mit denen man auch eine Marge macht", sagt Oliver Mihm, Geschäftsführer der Beratungsfirma Investors Marketing. Die 2,3 Millionen Kunden, die N26 nach eigenen Angaben inzwischen hat, müssen dafür also mehr tun, als einfach nur ihr Konto zu nutzen.
Bisher wächst N26 eigenen Angaben zufolge zwar extrem schnell, schreibt aber weiterhin rote Zahlen. Jeder freie Euro werde in Wachstum investiert, sagt Stalf und betont zugleich, einfach einen Schalter umlegen zu können: "Abgesehen von Investitionen in Wachstum ist N26 heute bereits profitabel und deckt alle Kosten durch Umsätze." Zu einer globalen Bank wolle N26 werden, zu einer Marke mit einer Bewertung von mehr als 50 Milliarden Euro und irgendwann 100 Millionen Kunden.
In Deutschland, wo immer häufiger Werbung von N26 zu sehen ist ("Deine Bank verarscht dich"), hat die Firma etablierte Konkurrenz. Von anderen Direktbanken wie Comdirect, ING oder DKB unterscheidet sie kaum mehr als ihre strikte Konzentration auf Telefone und der Plattform-Gedanke: Kredite, Fonds und andere Angebote kommen in der Regel von Partnern, viele davon sind andere Fintechs. Außerdem, sagt Stalf, hätten Direktbanken je nach Land unterschiedliche Angebote, N26 dagegen immer das gleiche.
Das Geschäftsmodell hat auch den Weltkonzern Allianz überzeugt, dessen Beteiligung für die Bank viel bedeutet. Versicherer legen sehr langfristig an, das gibt der Bank Stabilität. Außerdem braucht N26 einen starken Versicherungs-Partner - gerade wegen der Vermittlung von Finanzangeboten. Die Allianz wiederum beteiligt sich erneut im Bankgeschäft, nachdem sie mit der 2001 übernommenen Dresdner Bank wenig Erfolg hatte und sie 2008 an die Commerzbank verkaufte.
Allerdings unterscheiden sich Kooperationen von Versicherern und Banken heute stark von damaligen Geschäftsmodellen: Damals sollten Bankmitarbeiter möglichst viele Verträge verkaufen, vor allem in der Lebensversicherung. Heute durchforsten Bank und Versicherer mit Zustimmung des Kunden alle Kontobewegungen um ihm Angebote, beispielsweise für einen günstigeren Versicherungsschutz, zu machen. Die Allianz sucht solche Kooperationen und hat sich heftig um einen Vertrag mit ING bemüht, den aber Axa gewann.
Die Kooperation mit N26 steht noch am Anfang. Bislang verdient die Bank ihr Geld vor allem mit Konten, Karten und Bezahlumsätzen. Je nach Kontomodell zahlen Nutzer eine Gebühr. In einigen Ländern nutzten 30 Prozent der Kunden diese "Premium"-Varianten, sagt Stalf. Je mehr Gebühren ein Nutzer zahlt, desto mehr Inklusivleistungen bekommt er.
Ein Sicherheitssystem der Bank gilt als missbrauchsanfällig
Um Kunden zu überzeugen, hat N26 stets auf Bequemlichkeit gesetzt. Innerhalb von acht Minuten könne man ein Girokonto eröffnen, heißt es - offenbar so leicht, dass es auch Kriminelle lockt. Seit Monaten haben Betrüger vermeintliche Stellenanzeigen im Netz geschaltet. Die Bewerber, hieß es, sollten sich für das Auswahlverfahren per Video-Ident ausweisen und sich dazu die App von N26 herunterladen, um sich im Videochat zu identifizieren. Tatsächlich eröffneten sie ein Bankkonto, zu dem sich die Betrüger Zugang verschafften, etwa um Geld zu waschen. Mehrere Landeskriminalämter warnen davor, der Name N26 fällt immer wieder.
Umstritten ist auch, dass die Bank in einigen EU-Staaten auf das in Deutschland nicht zugelassene Foto-Ident-Verfahren setzt. Dabei reicht es aus, sich mit seinem Ausweis zu fotografieren. Anders als im Video-Chat müssen die Kunden das Dokument dabei nicht drehen. Obwohl das System als missbrauchsanfällig gilt, lässt N26 das Verfahren weiterhin zu und nutzt dabei eine unklare Rechtslage in der EU aus.
"Was die Identifizierung oder auch das TAN-Verfahren betrifft, geht N26 näher an die Grenzen des Erlaubten als andere Banken", sagt der IT-Sicherheitsexperte Vincent Haupert von der Uni Erlangen. Die Bank beteuert, ihre Kunden innerhalb der Verifizierung per Videoanruf immer zu informieren, dass sie gerade ein Bankkonto eröffnen. "Außerdem fragen wir sie, ob die E-Mailadresse für die Registrierung durch den User erstellt wurde oder ob sie ihnen durch Dritte zur Verfügung gestellt wurde." Dass sich die Banken von ihren Kunden den Anlass für die Identifizierung bestätigen lassen müssen, schreibt auch die Finanzaufsicht Bafin vor. Von der haben Stalf und Tayenthal nicht erst einmal heikle Post bekommen.