Süddeutsche Zeitung

Musterverfahren gegen Volkswagen:Es wird eine verdammt lange Schlacht

  • In Braunschweig startet ein großes Musterverfahren gegen Volkswagen im Abgasskandal.
  • Die Kläger werfen dem Unternehmen vor, die Anleger nicht rechtzeitig über die Probleme mit dem Diesel informiert zu haben.
  • Es geht um mehr als neun Milliarden Euro. Das Gericht deutete aber an, dass einige Forderungen bereits verjährt sein könnten.

Von Angelika Slavik, Braunschweig

Der Congress-Saal in der Braunschweiger Stadthalle also. Holzvertäfelung an den Wänden, goldene Klangschalen an der Decke. Brillante Akustik, angeblich. Dass überhaupt alle hierher kommen mussten, verdeutlicht ganz gut, was das für ein Spektakel wird. Im Gebäude des Oberlandesgerichts gibt es keinen Saal, der all die Prozessbeteiligten aufnehmen könnte. Die Klage führt die Investmentgesellschaft Deka gegen Volkswagen. Sie wirft dem Unternehmen vor, die Anleger nicht rechtzeitig über die Probleme mit dem Diesel informiert zu haben. Der Prozess ist ein Musterverfahren, am Ausgang dieser Klage hängen mehr als tausend weitere ähnlich gelagerte Fälle. Streitwert insgesamt: Mehr als neun Milliarden Euro.

"Ich hoffe, Sie alle hatten eine angenehme Anreise."

Der Vorsitzende Richter Christian Jäde gibt sich an diesem Morgen, nun ja, väterlich. Er begrüßt die Dolmetscherinnen. Er sagt den Journalisten, dass er sich über ihr Interesse freue. "Das haben wir ja nicht so oft bei Zivilverfahren." Als er die Anwesenheit der Beteiligten überprüft, vierzig, vielleicht fünfzig Namen, heißt er jeden Einzelnen willkommen. Die Vertreterin der Vereinigten Staaten, guten Morgen. Die Herren aus der Rechtsabteilung von Volkswagen, schön, dass Sie da sind. Schon klar: Man wird in näherer Zukunft eine Menge Zeit miteinander verbringen. Das wird eine verdammt lange Schlacht. Jäde fragt in den Saal: "Sind Sie bereit?"

VW wehrt sich, erstens, gegen horrende Schadenersatzzahlungen. Vor allem aber ist das hier ein Kampf um die Deutungshoheit: War der Dieselbetrug die Machenschaft eines kleinen Zirkels von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene? Ein unglücklicher Ausnahmefall, von dem die Führungsetage des Konzerns nichts hätte ahnen können? Über die sie die Anleger also auch nicht früher hätte informieren können? Das ist die Interpretation, die Volkswagen vor Gericht präsentiert. Die Gegenseite zeichnet ein anderes Bild, eines von einem Unternehmen, das bewusst und billigend in Kauf genommen hat, mit den Dieselmanipulationen nicht nur gegen Gesetze zu verstoßen, sondern auch die Anleger zu schädigen.

Der Vorsitzende Richter Jäde lässt dann schon am Vormittag bemerkenswert deutlich durchblicken, wie die Chancen von beiden Seiten so stehen. Einige der Ansprüche könnten verjährt sein, sagt er. Konkret wird es schwierig für Forderungen, die sich auf Vorgänge beziehen, die vor 2012 passiert sind. Wie groß der Anteil dieser Forderungen am Streitwert ist, ist zunächst unklar. Von 40 Prozent ist die Rede. Es sieht nach einem ziemlich guten ersten Tag aus für Volkswagen: Das Risiko gleich mal kräftig reduziert. Ha! Die Juristenarmada der Klägerseite aber wird vom bekannten Anlegeranwalt Andreas Tilp geführt. Der lässt wissen, dass er und seine Kollegen in diesem Punkt "nachschärfen" werden, um den Senat zu überzeugen. So schnell gibt Tilp sich nicht geschlagen. Es wird hart gerungen.

Dieser Prozess wird Rechtsgeschichte schreiben

Richter Jäde will eigentlich nur erörtern, welche Fragen für das Verfahren entscheidend sein werden und in welcher Reihenfolge man sie abarbeiten werde. Tilp hat diverse Nachfragen. Anregungen. Interpretationsvorschläge. Folglich haben die VW-Anwälte auch Vorschläge. Ob man nicht größere Themenblöcke behandeln könne? Damit der Kollege Tilp nicht nach jedem Block irgendwelche nervigen Nachfragen stellen könne? Richter Jäde lächelt ein väterliches Lächeln. Hier kann jeder fragen, so viel er will.

Der Nachmittag läuft kompliziert. Man erörtert ausführlich die Sache mit dem Jahr 2012. Außerdem wird darüber diskutiert, was denn nun eine diskussionswürdige Frage sei. Spielt es eine Rolle, wann der Betrug an den Dieselmotoren begonnen hat oder macht das keinen Unterschied? Und, am wichtigsten: In welcher Führungsebene müssten sie denn vom Dieselbetrug gewusst haben, damit das Unternehmen den Anlegern hätte Bescheid geben müssen? Dazu gibt es bislang keine Entscheidung durch ein Höchstgericht. Dieser Prozess wird also Rechtsgeschichte schreiben. Immerhin. Irgendwann sagt der Vorsitzende Richter zu den Argumenten der Kläger, eine "Indizwirkung" sei "nicht völlig zu verneinen". Das ist keine besonders starke Festlegung, aber sie reicht, um Anlegeranwalt Tilp wieder Oberwasser zu verschaffen. In einer Prozesspause stellt er sich den Journalisten. Kameras, Mikros, Aufnahmegeräte. Tilp genießt die Aufmerksamkeit sichtlich. Die Tür sei nun "weit offen", sagt er und strahlt. Fortsetzung am Dienstag.

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SZ vom 11.09.2018/vd
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