Musterprozess in Frankfurt:Kleinanleger scheitern mit Klage gegen Telekom

Seit Jahren zieht sich dieser Mammut-Prozess nun schon hin: 17.000 Kleinanleger wollen Schadensersatz von der Deutschen Telekom. Ein wichtiges Urteil bringt eine Niederlage für die Anleger. Doch sie wollen weitermachen.

Silke Bigalke und Markus Zydra, Frankfurt

Man möchte der enttäuschten Frau intuitiv recht geben: "Für dieses Urteil hätte man nicht die vielen Jahre brauchen müssen", sagt sie in die Fernsehkameras. Sie ist eine der Klägerinnen gegen die Deutsche Telekom. Sie fühlte sich betrogen beim Börsengang des Staatskonzerns, sie hat gehofft auf Schadenersatz, sie hat verloren. Oberlandesgericht Frankfurt, Haus D, Saal 110. Die große Telekom gewinnt gegen 17.000 Privatsparer. Der größte deutsche Zivilprozess aller Zeiten ist beendet, vorerst. "Es ist eine Durchgangsstation", sagt Andreas Tilp, der Rechtsvertreter der Kleinanleger in diesem Musterprozess. Tilp hofft nun auf den Bundesgerichtshof, der dieses Urteil überprüfen wird.

Ron Sommer gibt den Einführungspreis der T-Aktie bekannt, 1996

1996: Der damalige Telekom-Chef Ron Sommer gibt den Einführungspreis der T-Aktie bekannt.

(Foto: DPA)

Im April 2008 begann der Prozess, damals hatte das Gericht die Verhandlung in einen großen Verhandlungssaal im Frankfurter Osten ausgelagert. Der Ex-Telekomchef Ron Sommer musste als Zeuge aussagen, die Öffentlichkeit war fasziniert. Doch damals gab es noch keine Finanz- und Eurokrise. Irgendwie passt der Schadenersatzprozess um die T-Aktie nicht mehr in diese Zeit, in der ein Kollaps der Euro-Zone droht.

Deshalb musste das Gericht zur Verkündung der Entscheidung auch nicht umziehen, der Saal 100 mit den knapp 100 Plätzen reichte gut. Noch einmal sprachen Anwälte und Betroffene ihre Sätze in die Mikrophone der TV- und Hörfunksender. Es klingt routinierter als früher, die lange Verhandlungsdauer verhärtet die Gemüter. Man bekommt Erfahrung mit seiner Rolle. Schließlich zieht sich der Prozess seit Jahren, die erste Klage wurde 2001 eingereicht.

Weshalb wollen die Kläger Schadensersatz?

Viele glaubten an das große Glück, das ihnen die Telekom-Aktie versprach. Doch die Kleinaktionäre kauften ein Papier, das sich nicht so entwickelte, wie sie es erwartet hatten. Die Anleger werfen dem Konzern vor, dass er sie nicht ausreichend über wirtschaftliche Risiken informiert habe. Im Jahr 2000 gab die Telekom eine dritte Tranche an Aktien aus, danach stürzte der Kurs stark ab. Im Prozess ging es darum, ob das Börsenverkaufsprospekt von damals irreführend war. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat nun entschieden, dass es keine gravierenden Fehler enthalten habe. Die Anleger können daher keinen Schadensersatz geltend machen.

Wie viel Geld haben die Anleger verloren?

Als die T-Aktie 1996 startete, kostete sie umgerechnet 14,57 Euro und stieg in den folgenden Jahren bis auf den Rekordwert von mehr als 103 Euro. Kurz vor dem dritten Börsengang 2000 stürzte sie zwar wieder auf 60 Euro ab. Trotzdem griffen die Anleger bei einem Preis von 63,50 Euro zu, denn sie hielten das Papier für erfolgversprechend. Schauspieler Manfred Krug warb im Fernsehen für die Anlage, der damalige Telekom-Chef Ron Sommer soll sie als sicher "wie eine vererbbare Zusatzrente" angepriesen haben. Doch nach dem dritten Börsengang brach der Kurs weiter ein. Heute ist eine Aktie nur noch 8,80 Euro wert. Insgesamt geht es vor Gericht um Schadensersatz in Höhe von 80 Millionen Euro.

Worauf stützen sie ihre Klage?

Als der Staatskonzern 1995 zum privaten Unternehmen wurde, hat er viele seiner Immobilien, Funkmasten und Telefonzellen sehr optimistisch bewertet. Die Zahlen wurden erst 2001 korrigiert, um mehr als zwei Milliarden Euro. Die Anleger kritisieren jetzt, sie hätten den wahren Wert des Unternehmens gar nicht gekannt. Dieses Argument haben die Richter aber schon früher zurückgewiesen. Die Abweichung war ihnen nicht groß genug, berücksichtigte man den Wert des gesamten Konzerns. Außerdem hat die Telekom 2000 kurz nach dem dritten Börsengang die amerikanische Mobilfunkgesellschaft Voicestream übernommen. Das Geschäft galt schon damals als überteuert und wurde größtenteils auf Pump finanziert. Die Übernahme sei beim Börsengang längst beschlossene Sache gewesen, sagen die Kläger, sie hätte im Börsenprospekt erwähnt werden müssen. Auch hier waren die Richter anderer Meinung.

Wie erklärte das Gericht nun sein heutiges Urteil?

Fehlerhafte Immobilienbewertung, Verbuchung von Scheingewinnen, das umstrittene Übernahmegeschäft mit der US-Gesellschaft Voicestream - viele kleine Streitpunkte machten deutlich: Wer sich mit Bilanzen und dem Finanzjargon auskannte, der wusste, was bei der Telekom gespielt wird. Kann man diese Kenntnis von einem Anleger erwarten - oder noch konkreter: "Darf ein Anleger ganz dumm sein, oder muss er Sachkunde haben und wissen, was ein Buchgewinn ist, bevor er eine Aktie kauft?", hatte Richterin Birgitta Schier-Ammann am letzten Verhandlungstag gefragt, mit dem Hinweis, sie sei sich noch nicht klar über die Antwort. Nun hat sie die Antwort gegeben. "Wir haben den bilanzkundigen Anleger zugrunde gelegt." Deshalb habe die Telekom auch nichts falsch gemacht in dem Prospekt.

Wie reagieren die Kläger?

Anlegeranwalt Tilp sagt: "Wir glauben, das ist falsch. Man kann nicht erwarten, dass ein normaler Kleinanleger gleichzeitig ein Bilanzexperte ist. Tilp geht optimistisch in die nächste Instanz: "Das OLG ist nur eine Durchgangsstation. Erst der BGH wird die Sache richten", sagt er. Bis dahin könnte aber noch ein bis anderthalb Jahre dauern.

Klagen alle 17.000 Anleger gemeinsam?

Sammelklagen sind in Deutschland nicht zulässig, jeder Anleger muss einzeln Klage einreichen. Im aktuellen Prozess tritt deswegen auch nur ein Kläger auf. Das Urteil wird aber als Musterentscheid gewertet, an dem sich die Entscheidungen in allen anderen Fällen orientieren. Der Musterkläger, der von Anwalt Andreas Tilp vertreten wird, hat überdurchschnittlich viel Geld mit der T-Aktie verloren. Er fordert 1,2 Millionen Euro Schadensersatz. Sobald der Musterprozess entschieden ist, gehen die anderen Fälle alle zurück ans Landgericht, wo jeder einzeln entschieden wird. Für dieses Verfahren hat die Bundesregierung 2005 extra ein eigenes Gesetz ins Leben gerufen, das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) oder auch "Lex Telekom". Kritiker behaupten allerdings, das Gesetz funktioniere nicht, weil weiterhin jeder Einzelfall individuell entschieden werden müsse.

Warum dauert das Verfahren so lange?

Einige Anleger warten seit elf Jahren auf eine Entscheidung, die ersten Klagen stammen aus dem Jahr 2001. Weil die erste Instanz, das Landgericht Frankfurt, mit Aktionärsklagen regelrecht überschwemmt wurde, wurde 2005 das KapMuG geschaffen. Erst damit konnte der Fall anhand einer Musterklage direkt in die zweite Instanz gehen, zum Oberlandesgericht Frankfurt (OLG). Der Prozess vor dem Landgericht liegt seitdem auf Eis. 2008, nach drei Jahren Vorverfahren, begann die Verhandlung vor dem OLG. Seither hat das Gericht 17 Mal getagt und zahlreiche Zeugen vernommen, darunter auch Telekom-Chef Ron Sommer. Für einige Vernehmungen reiste das Gericht sogar in die USA. 2010 wurde der Vorsitzende Richter Christian Dittrich pensioniert, für ihn übernahm Birgitta Schier Ammann. Mit ihrem Urteil wird der Fall nicht abgeschlossen sein. Kläger-Anwalt Tilp hat bereits angekündigt, zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe zu ziehen.

Die Telekom hat sich mit US-Aktionären außergerichtlich geeinigt. Warum?

In den USA hat die Telekom freiwillig 120 Millionen Dollar an private Anleger gezahlt. Die beiden Seiten haben sich verglichen, das sei jedoch kein Eingeständnis von Schuld gewesen, betonte der Konzern. "Die USA haben ein völlig anderes Rechtssystem und ungleich höhere Rechtsrisiken", begründete ein Telekom-Sprecher die Entscheidung. In den USA sind, anders als in Deutschland, Sammelklagen möglich. Eine Niederlage kann für ein Unternehmen daher sehr teuer werden. Außerdem sorgen Laienrichter für eine höhere Unsicherheit.

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