Musikmarkt:"Lieber wenig, aber richtig"

Die Umsätze mit Musik-CDs schrumpfen seit Jahren. Sony-BMG-Deutschland-Chef Edgar Berger erklärt wie der Musikriese die Herausforderung meistern will.

Hans-Jürgen Jakobs

SZ: Herr Berger, für viele Medienmanager ist der schwierige Musikmarkt ein Bermuda-Dreieck. Sie sind erst im September 2005 dazugestoßen. Haben Sie den Schritt schon bereut?

Edgar Berger, Chef von von Sony-BMG-Deutschland

Edgar Berger, Chef von von Sony-BMG-Deutschland

(Foto: Foto: Sony BMG)

Edgar Berger: Nein. Ich habe mich von vorneherein gefreut auf den Job. Es ist eine unglaublich vielfältige Aufgabe. Musik ist das emotionalste Medienprodukt, das man sich vorstellen kann. Es geht sicherlich herzhafter zu als in anderen Branchen.

SZ: Herzhafter? Vielleicht auch schmerzhafter! Die Umsätze und Verkäufe von Musik-CDs schrumpfen seit Jahren.

Berger: Das fordert alle in der Branche heraus. Die Märkte ändern sich extrem. Das ist ein großer Reiz, aber auch ein Nervfaktor.

SZ: In Deutschland kommt Sony BMG auf Marktanteile von rund 28,7 Prozent. Wann schaffen Sie die 30 Prozent?

Berger: Wir sind nach einem verhaltenen Start ins Jahr dabei, unseren Marktanteil auszubauen. Lange waren wir aufgrund der Fusion von Sony und BMG mit uns selbst beschäftigt, jetzt wird allen klar: Wir sind zurück! Sony BMG ist in Deutschland auf Augenhöhe mit Universal. Im zweiten Quartal waren wir sogar erstmals Marktführer. Künstler von Sony BMG standen jede Woche auf Platz 1 der Single Charts, durchgehend. Fünf Künstler hintereinander. Das ist die richtige Richtung.

SZ: Vielleicht ist es einfach nur ein Zufalls-Ausschlag in einem unberechenbaren Geschäft.

Berger: Es ist eine Momentaufnahme, ganz klar. Und es gehört sicherlich auch Glück dazu. Dass zum Beispiel das Konzept der RTL-Show Deutschland sucht der Superstar so gut aufgeht, konnte man nicht unbedingt erwarten. Aber wenn nunmehr viele unserer Veröffentlichungen Chart-Spitzenreiter wurden, hat das da-mit zu tun, dass wir klare Prioritäten setzen. Wir definieren mittlerweile genau, was uns wichtig ist.

SZ: Wollen Sie die Zusammenarbeit mit TV-Sendern wie RTL ausbauen? Berger: Gute Möglichkeiten nehmen wir immer wahr. Die Plattform Fernsehen ist wichtig, aber kein Erfolgsgarant. Der aktuelle Erfolg von Silbermond, Andrea Berg oder Herbert Grönemeyer ist so nicht zu erklären. Grönemeyer steht mit seiner WM-Single "Zeit, dass sich was dreht" erst zum zweiten Mal in seiner Karriere überhaupt auf Platz eins.

SZ: Ein Beispiel für Kooperation mit TV sind die Erfolge von Teenie-Bands wie Banaroo, die von Super RTL vermarktet werden. Sechs- bis Dreizehnjährige, die das Geld ihrer Eltern ausgeben, wurden als Zielgruppe entdeckt.

Berger: Es ist ein Trend des vergangenen Jahres, der sich fortsetzt. Ob das sehr stark auszubauen ist, wage ich zu bezweifeln. Fokussieren würde ich mich darauf jedenfalls nicht.

SZ: Sondern?

Berger: Der Trend zum nationalen Produkt hält weiter an. Hier bauen wir gezielt aus. Es ist ein Vorteil, dass wir die Veröffentlichungen bei nationalen Künstlern besser steuern können.

SZ: Was machen Sie, um geeignete deutsche Musiker besser zu finden?

Berger: A & R, Artists and Repertoire, ist die wichtigste Zelle der Firma, wenn es um den Aufbau von Music-Acts geht. Das haben wir gestärkt. Das Wichtigste bei uns ist, dass die Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen und bei einem Wagnis, einer neuen Band, sagen: "Ja, ich mach`s. Ich glaube an sie." Ein halber Ansatz macht keinen Sinn. Lieber wenig, aber richtig. Generell wollen wir, dass die Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen und selber entscheiden. Das ist der Wert, den sie zum Unternehmen beitragen. Nicht-Entscheiden kann ich selber." Zudem versuchen wir durch Beteiligungen an Musiklabeln uns breit aufzustellen. So haben wir jetzt auch die restlichen 50 Prozent an Four Music erworben, eines der erfolgreichsten deutschen Labels. Es wird seinen Charak-ter als Independent-Label behalten.

SZ: Im deutschen Musikmarkt teilten sich bisher die Umsätze hälftig auf internationale und heimische Interpreten auf. Bleibt es dabei?

Berger: Ich glaube, der lokale Anteil wird weiter steigen. In Frankreich machen französische Titel zum Beispiel 70 Prozent des Geschäfts aus. In Deutschland sind es bei Sony BMG im ersten Halbjahr 60 Prozent.

SZ: Kann mit deutschen Künstlern die wirtschaftliche Talfahrt gestoppt werden?

Berger: Wir haben uns für dieses Jahr vorgenommen, trotz eines rückläufigen Marktes - schätzungsweise minus vier Prozent im ersten Halbjahr - unseren Gesamtumsatz von deutlich mehr als 300 Millionen US-Dollar mindestens stabil zu halten, ergo den Marktanteil zu steigern.

"Lieber wenig, aber richtig"

SZ: Wie soll das gelingen?

Berger: Mit mehr und erfolgreicheren Veröffentlichungen, zum Beispiel mit der Berliner Band Mia oder dem neuen Album von Peter Maffay. Und international kommt Neues von Christina Aguilera, Justin Timberlake und Beyonce.

SZ: Sie müssten immer mehr CDs solcher Künstler absetzen, um den Preisverfall aufzuhalten. Längst gilt der alte Preis von 19,99 Euro nicht mehr.

Berger: Wir wollen nicht über den Preis wachsen, sondern über gute Acts. Die Kunden sind jedoch sehr preissensibel. Es gibt diesen Druck auf die Preise. Im nächsten Jahr steigen die Margenprobleme bei Produkten, die beispielsweise zu 9,99 Euro angeboten werden - weil die Mehrwertsteuererhöhung kommt. Und es ist auch nicht gerade hilfreich, wenn Wettbewerber ziemlich neue Alben zu 4,99 Euro in die Geschäfte bringen.

SZ: Wie sieht Ihre Preispolitik aus?

Berger: Wir müssen uns mit dem Markt entwickeln und haben bei Singles neue Preismodelle eingeführt, etwa eine Two-Track für 2,99 Euro oder eine Premium-Ausgabe für Fans, mit Video, die fünf bis sieben Euro kostet. Durch Marktforschung ist belegt, dass ein Viertel der Two Track-Käufer im Jahr zuvor, keine Musik gekauft hatten.

SZ: Wie wollen Sie die Internet-Generation ansprechen, die Musik aus dem Netz bezieht?

Berger: Das wichtigste ist immer gute Musik. Wir setzen große Hoffnungen auf den digitalen Markt - die Kunden werden verstärkt Musik für iPod, MP3-Player und Mobiltelefon kaufen.

SZ: Über digitale Chancen wird viel geredet. Was aber ist damit zu verdienen?

Berger: In diesem Jahr macht das digitale Geschäft vermutlich rund vier Prozent vom Gesamtmarkt aus, in den USA waren es im ersten Quartal dieses Jahres 20 Prozent. Leider entwickelt sich dieses Geschäft bei uns nicht wie vorhergesagt. 30 Prozent Wachstum statt, wie prognostiziert, 70 Prozent. Das ist enttäuschend.

SZ: Mit dem Resultat, dass einer Firma wie Sony BMG wahrscheinlich etwas mehr als fünf Millionen Euro fehlen.

Berger: Die Zahl kommentiere ich nicht. Fest steht jedenfalls, dass der digitale Markt langsamer wächst als im Ausland.

SZ: Liegt es Ihrer Meinung nach an anderen juristischen Voraussetzungen, an anderen Gesetzen gegen Raubkopien?

Berger: Die Möglichkeiten zur Privatkopie sind in Großbritannien deutlich eingeschränkter als bei uns. Die Tonträgerindustrie legt bei der Urheberrechtsnovelle in Deutschland Wert darauf, das Recht der Künstler und unserer Branche zu schützen. Der Einzelne sollte Kopien nur noch vom eigenen Original anfertigen und keine Kopien mehr von Dritten erhalten dürfen. Wichtig wäre auch ein Verbot intelligenter Aufnahme-Software im In-ternet. Wenn Deutschland sich in Werbekampagnen als "Land der Ideen" präsentiert, dann muss geistiges Eigentum besser geschützt werden.

"Lieber wenig, aber richtig"

SZ: Folgt die Politik diesem Weg?

Berger: Das wird noch sehr kontrovers diskutiert. Im Jahr 2005 wurden jedenfalls rund 125 Millionen Musik-Alben verkauft - und mehr als doppelt so viele CD-Rohlinge mit Musik bespielt. Hier besteht Handlungsbedarf.

SZ: Also Kriminalisierung als Ausweg?

Berger: Nein. Es muss nur klar definiert werden, was mit einem Musikstück möglich ist und was nicht, so wie es für Filme und Computerspiele auch festgelegt ist. Natürlich bauen wir unsererseits die legalen digitalen Angebote stark aus.

SZ: Da bewiesen die Musikmajors große Schwächen. Und die Computerfirma Apple konnte mit iTunes reüssieren.

Berger: Es gab ja auch Versuche der Musikkonzerne. Manchmal hat es ein dritter Neutraler eben leichter, alle unter ei-nen Hut zu kriegen. Das Geschäftsmodell von Apple beruht im wesentlichen darauf, Hardware zu verkaufen. Das war erfolg-reich. In Deutschland gibt es einen gesunden Wettbewerb zwischen Apple und Mu-sicload.

SZ: Jeder Song kostet 99 Cent bei Apple. Was hält ein Musikmanager davon?

Berger: In der physischen Welt ist das anders, da kostet nicht alles gleich viel. Es wird in der digitalen Welt auch zu einer flexibleren Preisgestaltung kommen.

SZ: Welche Erfahrung hat Sony BMG mit eigenen Innovationen gemacht, zum Beispiel mit dem Verkauf von MP3-Playern, auf denen Musik schon vor installiert ist?

Berger: Der Erfolg ist nicht exorbitant, aber es ist ein Anfang. Wir bauen das weiter aus. Mit allen Mobilfunkfirmen sind wir in Kontakt, damit deren Kunden Klingeltöne und Musiktitel von Sony BMG herunterladen können - und auch Musikvideos.

SZ: Videos? Wollen Sie ihr Geschäft hier ausbauen?

Berger: Die Musikindustrie hat in der Vergangenheit ihre Musikvideos immer umsonst zur Verfügung gestellt. Ganze Fernseh-Imperien sind so entstanden. Die digitale Welt ermöglicht es, dass wir diese Videos selbst per download verkaufen können. Daran arbeiten wir.

SZ: Ein eigener Internet-Channel?

Berger: So weit würde ich derzeit nicht gehen. Noch ist die Zahl der downloads gering, aber es ist ein Zeichen, dass neue Umsatzquellen erschlossen werden können.

"Lieber wenig, aber richtig"

SZ: Videos verkaufte Sie bei den so genannten dual discs erstmals zusammen mit Musik-CDs auf einer Scheibe.

Berger: Das war nicht von Erfolg gekrönt. Vielleicht, weil es keinen gemeinsamen Ansatz der Musikindustrie gab. Wir haben die Zahl der Veröffentlichungen reduziert. Aber grundsätzlich finde ich es sehr positiv, dass hier mal etwas Neues probiert wurde.

SZ: Zu den gemeinsamen Versuchen der Branche, die eigene Attraktivität zu erhöhen, gehört die jährliche Musikmesse Popkomm. Sony BMG nimmt nach zweimaliger Abwesenheit wieder daran teil. Wie wichtig ist ein solcher Event?

Berger: Wir wollen einen neuen Anlauf nehmen und signalisieren: Wir sind offen für Innovationen und Veränderungen.

SZ: Wann rechnen Sie mit einer Gesundung des Musikgeschäfts?

Berger: Da wurden schon so viele Jahreszahlen genant. 2006 geht der Markt wohl noch einmal zurück. Es gab aber erstmals, von März bis Mai, drei Monate mit Wachstumsraten. Im Juni dann hatten die Menschen rund um die WM so viel Free-Entertainment, da kauften sie weniger CDs - es sei denn, sie hatten mit Fußball zu tun.

SZ: Der ganz große Optimismus ist aus Ihren Worten nicht heraus zu hören.

Berger: Ich bin, wenn Sie so wollen, ein optimistischer Realist. Die Ticket-Preise für Konzerte haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt - das Plattengeschäft hat sich in den letzten 5 Jahren fast halbiert. Die Menschen geben also weiter Geld für Musik aus, nur in anderer Form. Also müssen auch wir uns ändern.

SZ: Der Erfolg eines Managers wird gerade in einem solchen Krisengeschäft daran gemessen, welche Rendite ihm gelingt. Was signalisieren Sie Ihren Gesellschaftern Sony und Bertelsmann?

Berger: Die Umsatzrendite ist im zweistelligen Prozentbereich, und wir planen, sie auch in diesem Jahr zu erhöhen. Meine Zahlen gehen jedoch nicht an die Gesellschafter, sondern an die Zentrale von Sony BMG.

SZ: Was bei einem bestenfalls stagnierenden Umsatz nur über Kosteneinsparungen geht.

Berger: Wir überlegen genau, für was wir Geld ausgeben, wo wir in Marketing investieren. Natürlich gibt es immer auch Stellenzusammenführungen und Anpassungen in der Personalstruktur. Es kann passieren, dass wir in schrumpfenden Bereichen Jobs verlieren und dafür woanders Jobs entstehen. Die Zahl der Mitarbeiter liegt bei etwas über 300 und ist geringfügig zurückgegangen.

SZ: Es gibt Spekulationen, wonach Sony schrittweise den Mitgesellschafter Bertelsmann herauskaufen will. Ist es da wichtig, die Braut schöner zu machen?

Berger: Die Diskussion dazu in den Zeitungen verfolge ich natürlich - auch die Dementis. Ich kann nur sagen, dass wir uns voll auf das Tagesgeschäft konzentrieren. Wir müssen so oder so Musik verkaufen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: