Musikindustrie:Hurra, hurra

Musik aus dem Netz - Hartwig Masuch

Von Hagen aus in die Welt: Hartwig Masuch mit Gitarre in Berlin.

(Foto: Daniel Naupold/dpa)

Hartwig Masuch, der Erfinder der Band Extrabreit, hat für Bertelsmann die Rückkehr ins Musikgeschäft organisiert. Jetzt hofft BMG auch auf den Durchbruch.

Von Caspar Busse, Berlin

Im Herbst 2008 war Hartwig Masuch plötzlich ganz alleine. Sein Arbeitgeber, das Medienunternehmen Bertelsmann, war gerade vollständig aus dem Musikgeschäft ausgestiegen und hatte alle Anteile an dem Gemeinschaftsunternehmen an Sony verkauft. Vorbei waren damit die Zeiten, als Bertelsmann mit Firmen wie Ariola und anderen mal der weltweit größte Anbieter von Musik gewesen war. Zu brutal war der Wandel durch die Digitalisierung in der jahrzehntelang so einträglichen Industrie, zu groß auch der Kapitalbedarf der Zentrale in Gütersloh. Also weg damit. Masuch, der seit 1991 bei Bertelsmann arbeitete und der zuletzt die Musikrechteabteilung leitete, war nun ohne Aufgabe und überlegte: Was jetzt? Sich selbständig machen?

Ringo Starr, Rolling Stones, Lenny Kravitz, Bruno Mars - BMG hat viele Rechte gekauft

Doch Bertelsmann und der heutige Konzernchef Thomas Rabe (damals Finanzvorstand), ein Musikfan, der früher selbst in einer Band gespielt hatte, beschlossen, noch mal ganz von vorne anzufangen. Mit zwei Kollegen bezog Masuch also vor genau zehn Jahren ein kleines Büro in Berlin-Mitte und machte sich an die Arbeit; anfangs mussten sie das Papier in den Druckern selbst wechseln und schnell wieder gute Leute finden. "Wer hätte das damals gedacht, dass wir so weit kommen?", lacht er, wenn er heute daran zurückdenkt. "Das hatte damals wirklich einen Start-up-Moment", sagt Dominique Kulling, die damals als eine der ersten von Masuch eingestellt wurde und heute das Deutschland-Geschäft der Bertelsmann Music Group (BMG) führt.

Es ist ein durchaus erstaunliches Comeback, das da gelang. Die neue BMG ist wieder wer, vertritt inzwischen Stars wie Ringo Starr, die Rolling Stones, Lenny Kravitz, Black Sabbath oder Bruno Mars, ist mit einem Jahresumsatz von einer halben Milliarde Euro die größte europäische Musikfirma. Im weltweiten Musikgeschäft liegt BMG hinter Universal, Warner und Sony. "Wenn wir unser Wachstum zehn Jahre durchhalten würden, hätten wir natürlich alle abgehängt - aber das wird nicht passieren. Trotzdem: Wir kommen näher", so Masuch. Der 64 Jahre alte ehemalige Punkrocker arbeitet heute in einem schönen Eckbüro in Berlin-Mitte mit Blick auf den Berliner Gendarmenmarkt und das Konzerthaus. BMG hat mehrere Etagen angemietet, hier arbeiten 170 der weltweit 800 Beschäftigten. Masuch ist gerade von einem Management-Treffen aus Los Angeles zurückgekommen, da muss er einmal im Monat hin, die USA sind noch immer der mit Abstand wichtigste Musikmarkt der Welt. Hinter Masuchs Schreibtisch steht ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto, es zeigt Keith Richards und ihn - Arm in Arm. An der Wand hängt ein großes Bild von Nena, am Regal lehnt eine Gitarre.

Der Mann mit dem westfälischen Zungenschlag kommt aus Hagen, dort hatte er vor 40 Jahren seine erste Band, The Ramblers, gegründet. Masuch war der Sänger, die Combo spielte sogar mal als Vorband bei den Konzerten der Rocksängerin Joan Jett. Das große Geld brachte das nicht, und so musste sich Masuch mit Taxifahren über Wasser halten. Nena arbeitet damals in der Zentrale und gab den Fahrern die Aufträge durch. "Das waren durchaus lustige Abende in der Kleinstadt Hagen", erinnert sich Masuch, der sein Wirtschaftsstudium nie abgeschlossen hat, sich aber schon früh auch als Manager betätigte. Er produzierte das erste Album von Extrabreit ("Hurra, hurra die Schule brennt") und Ina Deters "Neue Männer braucht das Land". Masuch ist einer der Begründer der Neuen Deutschen Welle.

In den vergangenen Jahren hat sich das Musikgeschäft sehr geändert. Durch die Digitalisierung war Musik plötzlich überall erhältlich. Jeder Künstler kann heute global erfolgreich und berühmt werden, per Youtube, Internet und Fernsehen. Die neue Technik hat alles auf den Kopf gestellt, kaum jemand kauft noch CDs, fast alle streamen Musik. Damit hat sich auch die Rolle der Musikfirmen gewandelt. BMG sieht sich eher als Partner und Interessensvertreter der Künstler, die Firma kümmert sich um die Rechte und produziert nicht mehr vor allem CDs.

Masuch glaubt sogar, dass es jetzt erst richtig losgehen wird: "Die Welt verändert sich grundlegend, das wird noch dramatischer als bisher. Der Zugang zum Endkonsumenten wird künftig von Apple, Google, Spotify, Amazon, Deezer und Co. beherrscht." Auch die anderen Musikunternehmen müssten ihre Rolle hinterfragen. Genau das sei seine Chance. "Wir als BMG werden sehr viel Platz haben, wenn unsere Wettbewerber nicht auch konsequent auf die Veränderungen reagieren", glaubt Masuch. "Letztes Jahr haben wir in Deutschland den Durchbruch geschafft", sagt auch Deutschland-Chefin Kulling. Es gebe jetzt Künstler, die wechselten von den Großen zu BMG. "Und sie sagen, BMG sei das Label 3.0", sagt Kulling. Unter Vertrag stehen etwa der deutsche Rapper Kontra K, Max Giesinger oder Stefanie Heinzmann. Die Kooperation mit den Rappern Kollegah und Farid Bang wurde dagegen wegen Antisemitismus-Vorwürfen gestoppt.

Die Musikindustrie ist nach der Spielebranche der am schnellsten wachsende Medienbereich, ein Plus von fünf bis sieben Prozent im Jahr werden prognostiziert. Der Grund: Die Nachfrage nach Musik wächst stark. "Es wird heute viel Musik genutzt, die es schon lange, teilweise seit 50 Jahren und mehr, gibt. Das ist gut für uns", sagt Masuch. BMG hat in den vergangenen Jahren Musikkataloge vieler Künstler gekauft und vermarktet diese. 1,5 Milliarden Euro hat Bertelsmann seit 2008 investiert, größtenteils in den Jahren nach der Finanzkrise, als die Preise für Musikrechte niedrig waren. Anfangs hatte Bertelsmann das Geschäft zusammen mit dem internationalen Finanzinvestor KKR betrieben, diesen dann aber ausgezahlt.

Die Zeit der großen Übernahmen ist nun vorbei, jetzt müssen BMG und Masuch gute Ergebnisse nach Gütersloh liefern. "In diesem Jahr planen wir einen Umsatz von etwa 600 Millionen Euro", sagt er. Das wäre ein Plus von etwa 20 Prozent. Das Ergebnis werde sehr gut ausfallen und sogar schneller als der Umsatz wachsen. Und es soll weitergehen, Masuch, auch Mitglied des obersten Bertelsmann-Managementkreises, ist jedenfalls nach zehn Jahren Aufbauarbeit nicht müde und will noch länger machen. Sein aktueller Vertrag läuft noch mehr als zwei Jahre.

"Musik war immer ein zentraler Teil von Bertelsmann", sagt Masuch. Im vergangenen Jahr besuchte er mit Liz Mohn - ihrer Familie und der Bertelsmann- Stiftung gehört der Konzern - ein Rolling-Stones-Konzert in Hamburg, die beiden waren sogar hinter der Bühne bei den Musikern. Mohn, 77, soll es gut gefallen haben.

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