Musikerin Amanda Palmer:Wie Crowdfunding Fans zu Mäzenen macht

Musikerin Amanda Palmer: Berührungsängste kennt Amanda Palmer nicht. Die New Yorkerin lässt sich von ihren Fans auch mal mit Edding bemalen oder übernachtet bei ihnen.

Berührungsängste kennt Amanda Palmer nicht. Die New Yorkerin lässt sich von ihren Fans auch mal mit Edding bemalen oder übernachtet bei ihnen.

(Foto: Andrew Cowie/AFP)

Die US-Musikerin Amanda Palmer will ihre Werke künftig gratis im Internet veröffentlichen. Deshalb bittet sie ihre Anhänger um eine Art Grundeinkommen - und Tausende zahlen.

Von Stephan Radomsky

Schüchtern ist Amanda Palmer sicher nicht. Dürfte sie auch nicht sein - das würde das Künstler-Leben nur noch schwieriger machen. Palmer ist aber geradezu schmerzlos im Umgang mit dem Publikum, selbst nach den lockeren Maßstäben von Rockmusikern. Zu Interviews erscheint die Amerikanerin auch mal am ganzen Körper mit Filzstift bemalt, Reste einer Kunstaktion vom Vorabend. "Knutschflecke meiner Fans" nennt sie das dann.

Und diese liebevolle Horde soll ihr jetzt das Leben und die Arbeit finanzieren - einfach so. Seit einigen Tagen ruft sie ihre Fans über die Plattform Patreon.com auf, sie zu unterstützen: Immer dann, wenn Palmer etwas Neues - Musik, Videos oder Texte - veröffentlicht, soll sie dann Geld bekommen. Im Gegenzug will sie "so ziemlich alle künstlerischen Inhalte" gratis im Netz veröffentlichen, wie sie in einem Blog-Eintrag erklärt. Als einzigen Vorteil erhalten Palmers Web-Mäzene, je nach Summe, einen bevorzugten Zugang zur Künstlerin und einige mehr oder weniger exklusive Kleinigkeiten. Fast 3000 Fans haben mittlerweile mehr als 23 000 Dollar pro Veröffentlichung zugesagt.

Damit geht es für Palmer nicht länger darum, möglichst viele Kopien ihrer Werke zu verkaufen. Diese Unabhängigkeit, wirtschaftlich und künstlerisch, ist ein Thema, das sie spätestens seit 2008 umtreibt. Damals befreite sie sich aus einem Vertrag mit einem großen Musik-Label, seitdem versucht die heute 38-Jährige mit ihrer Kunst auf eigene Faust zu überleben.

"Ihr bezahlt mich, damit ich lebe und arbeite"

"Das ist ein riesiges Experiment", schreibt sie nun. Und: "Es geht um Vertrauen." Denn die neuen Mäzene bezahlen nicht nur für eine CD, die ihnen gefällt, sondern für die Künstlerin an sich. Mit dem Geld finanziere sie nicht nur das Studio oder Video-Drehs, sondern auch die Miete, die Reisen, die Telefonrechnung. "Ihr bezahlt mich, damit ich lebe und arbeite. Die ganze Zeit", schreibt Palmer.

Trotzdem hat sie sich nicht für die extremste Form der Unabhängigkeit entschieden, die Patreon bietet: Neben der Zuwendung pro Veröffentlichung, können Künstler auch eine fixe monatliche Unterstützung erbitten: eine Art bedingungsloses Künstler-Grundeinkommen, regelmäßig und kalkulierbar, ohne Verpflichtung.

In beiden Fällen können die Gönner vorab einstellen, wie viel sie jeweils geben wollen. Palmer gibt beispielsweise sechs Preisklassen vor, zwischen einem und tausend Dollar. Außerdem kann jeder ein monatliches Limit festlegen und die Unterstützung jederzeit wieder beenden.

Dass Palmer die Unterstützer bald wieder davonlaufen, ist aber unwahrscheinlich. Sie hat seit ihrem Abschied aus dem klassischen Musik-Business ein riesiges Netzwerk geknüpft und reichlich Erfahrung mit dem Um-Hilfe-bitten gesammelt. Sie hat sogar ein Buch darüber geschrieben: "The Art of Asking", Untertitel: "Wie ich lernte, mir keine Sorgen mehr zu machen und Leute helfen zu lassen", ist nicht nur eine Autobiografie, es ist ein Manifest. "Wir haben eine Kunst daraus gemacht, Leute darum zu bitten, uns zu helfen", erzählte Palmer bereits auf einem Vortrag. Sie liebe die "zufällige Nähe", die sich oft daraus ergebe.

Überhaupt, die Nähe: Ohne sie scheint es für Palmer nicht zu gehen. Angefangen hat sie als Straßenkünstlerin, seitdem sie Musik auf Bühnen macht, kommt sie nach jedem Auftritt ins Publikum. Auf Tour schlafen sie und ihre Truppe häufig zu Hause bei Fans. Und alles organisiert Palmer übers Netz, über ihr Netzwerk: Blog, Twitter, Facebook - sie ist immer online. Und sie ist ansprechbar, reagiert auf Fragen, lädt zum Diskutieren ein.

In ihrem Ansatz sieht Palmer eine Alternative für die Kunst in Zeiten des Internets. Herunterladen, Kopieren, Teilen, Liken stellen die Geschäftsmodelle von Labels und Verlagen immer stärker infrage. "Ich zwinge die Leute nicht, für Musik zu bezahlen, ich bitte sie darum - und dadurch schaffe ich eine Verbindung", sagt Palmer. Dass das funktionieren kann, hat spätestens ihr letztes Album bewiesen: Bevor die Aufnahmen begannen, sammelte sie per Crowdfunding Geld bei ihren Fans ein. Angepeilt waren 100 000 Dollar, am Ende gaben fast 25 000 Unterstützer an die 1,2 Millionen Dollar und bekamen dafür Vorab-Downloads oder auch ein Privatkonzert - je nach Summe.

Grundsätzlich neu sind Mäzene in der Kunst freilich nicht. Sie sind jahrhundertealt. Leonardo brauchte sie, auch Michelangelo und Beethoven, Dürer oder Rubens. Dass Kulturschaffende vom Verkauf ihrer technisch vervielfältigten Werke an ein Massenpublikum leben können, ist, historisch betrachtet, eher der Ausnahmefall.

Palmer treibt die Entwicklung nun aber noch einen Schritt weiter, indem sie die technischen Möglichkeiten des Internets für sich ausnutzt: Ab einem Dollar pro Monat können Fans zu Gönnern werden und bekommen dafür das gute Gefühl, etwas für die Kunst zu tun. Und Palmer ist nicht mehr von nur einem Mäzen - sei es nun der Papst oder eben ein Musik-Manager - abhängig.

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