Süddeutsche Zeitung

Musik in Geschäften und Restaurants:Die Ohren dröhnen, das Geschäft läuft

  • Geschäfte, Restaurants und Bars nutzen oft Musik und viele andere Reize, um ihr Geschäft anzukurbeln.
  • Tatsächlich bringt laute Musik Menschen zum Beispiel dazu, mehr zu essen und zu trinken, haben Forscher herausgefunden.
  • Für die Angestellten, die der Musik den ganzen Tag lang ausgesetzt sind, kann das aber gesundheitliche Folgen haben.

Von Katharina Kutsche und Felicitas Wilke

Ein Samstagabend in der Münchner Isarpost, einer Filiale der Burger-Kette Hans im Glück. Ein Gespräch zwischen zwei Freundinnen soll es werden, dazu Essen und Cocktails. Doch der Abend wird anstrengend: Das Geklapper von Besteck auf Geschirr hallt in dem Raum mit der hohen Decke, dazu dröhnt Musik, die besser in einen Club passt als in ein Restaurant. Nach 90 Minuten ist man satt, aber heiser. Und auch die Bedienung sagt, ja, es sei sehr laut hier. Aber die Geschäftsleitung wolle das so.

Es ist laut in vielen Restaurants und Geschäften, viele finden: zu laut. Gerade in der Stadt ist das Leben ohnehin schon verdichtet, der Verkehr rauscht, Sirenen dröhnen, Autos hupen. Zusätzlich überflutet gerade der Handel die Kunden mit allerlei Reizen: Es duftet in den Läden, immer öfter stehen Bildschirme herum, die über neue Angebote informieren, daneben sollen Kunde auf Knöpfe drücken und bekunden, wie zufrieden sie mit ihrem Einkauf waren. Im Einkaufscenter schepperten etwa in der Vorweihnachtszeit Variationen von "Last Christmas" und "Rudolph, the red-nosed Reindeer" aus den Boxen, beim Sportschuhladen dröhnen die Bässe unabhängig von der Saison, während im Deko-Shop nebenan französischer Pop erklingt. Unbeschallt geht niemand einkaufen.

Laute Musik macht Lust auf fettiges Essen. Burgerbratereien wissen, was zu tun ist

Dahinter steckt eine Strategie. In einer Zeit, in der viele Menschen nicht mehr in die Städte kommen, um einkaufen und essen zu gehen, sondern sich Schuhe oder Pizza nach Hause liefern lassen, versuchen die stationären Läden, ihre Kunden mit Sinneseindrücken zu betören. "Häufig nutzen Händler und Gastronomen Musik, um Atmosphäre zu schaffen und ihre eigene Marke zu vermitteln", sagt Monika Imschloß, Juniorprofessorin für Marketing und Handel an der Universität in Köln. Wer italienisches Flair kreieren will, dreht la musica lauter, damit sich die Menschen auch in Wuppertal fühlen wie auf einer belebten Piazza in Florenz. Sensorisches Marketing nennt sich das. Bei den inzwischen längst nicht mehr so angesagten Modeketten Hollister und Abercrombie & Fitch sollten die lauten Bässe eine junge Zielgruppe ansprechen. Zwischen 80 und 90 Dezibel (dbA) dröhnten auf die Kundschaft ein, maß eine österreichische Gewerkschaft in einer Hollister-Filiale. Ein Rasenmäher oder eine Motorsäge sind ungefähr genauso laut.

Mehrere Studien zeigen, was Musik mit den Konsumenten macht. Ist sie im Lokal laut, verursacht dies Stress und erhöht das Verlangen nach fettigem Essen, hat ein Forscherteam aus Florida herausgefunden. Der Burgerladen weiß also, was er zu tun hat. In einer Bar trinken die Gäste mehr, wenn die Musik aufgedreht ist. Im Handel hängt es vom Produkt ab, welche Musik den Umsatz ankurbelt. Monika Imschloß hat etwa herausgefunden, dass ruhige Musik ohne starke Bässe angebotene Textilien weicher wirken lassen.

50 dbA

Ungefähr so laut ist ein normales Gespräch oder leises Radiogedudel - unproblematisch also für die meisten Menschen. Die Schallenergie wird in Dezibel, abgekürzt db, gemessen. Akustiker beziehen jedoch meist mit ein, welche Frequenzen für unser Gehör belastend sein könnten: Dieser Wert wird in dbA angegeben. Unsere Hörschwelle liegt demnach bei null dbA, unsere Schmerzschwelle ist bei etwa 130 dbA erreicht. Das entspricht dem Lärm, den ein Rockkonzert oder startender Düsenjets macht. Wer seine Umgebung auf ihre Lautstärke testen möchte, kann dafür sein Smartphone nutzen: Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte hat eine Lärm-App herausgegeben, die den Geräuschpegel testet und anzeigt, ab wann das Ergebnis für den Menschen belastend wird. Akustikingenieure bezweifeln aber, dass die Messungen akkurat sind.

Trotzdem kommt laute Musik im Handel und in der Gastronomie nicht bei allen gut an. Wie eine Umfrage des Reservierungsportals Bookatable zeigt, empfinden die meisten Menschen Hintergrundmusik zwar als angenehm. Ist sie zu laut, würden 44 Prozent der Befragten allerdings nicht wiederkommen. Auf Bewertungswebseiten wie Tripadvisor finden sich regelmäßig Beschwerden, in bestimmten Restaurants wie L'Osteria oder Hans im Glück sei es einfach zu laut.

Dieter Maier sieht das auch so. Er sitzt im Vorstand des Vereins "Lautsprecher-aus", der die "akustische Selbstbestimmung" fördern will. Der Verein ist der deutsche Ableger des britischen Originals Pipedown, das 2016 die Kaufhauskette Marks&Spencer überzeugte, auf Hintergrundmusik zu verzichten. Lautsprecheraus kämpft seit 2000 gegen Gastronomen, Händler und Kommunen, die meinen, ohne Musik gehe es nicht. Auch wenn das Gedudel an sich nicht zu laut sei, führe es doch dazu, dass Menschen automatisch lauter redeten - und das wiederum erhöhe den gesamten Geräuschpegel. "Musik belebt, aber wenn man sie unfreiwillig hört, ist es etwas anderes", findet Maier.

Die Gastronomen und Händler halten mit Club-Musik, Chansons und italienischen Schnulzen dagegen - nicht aber mit Worten. L'Osteria und Hans im Glück möchten sich zu ihrer Musikpolitik nicht äußern. Daniel Alpert, Centermanager im Münchner Einkaufszentrum Pasing-Arcaden, ist auskunftsfreudiger. Alle Häuser des Betreibers Unibail-Rodamco-Westfield spielten Musik und hätten dafür ein spezielles Konzept, sagt er. Je nach Tageszeit und Ort im Center wird die Musik abgestimmt, auf den Toiletten erklingen andere Melodien als in den Gängen. Zu laut sollten sie aber nicht sein. "Man soll das ja im Hintergrund wahrnehmen und nicht mitsingen können." In den Geschäften sind die Händler aber für ihre Musik selbst verantwortlich, es gelte: "Der Sound des Shops bleibt im Shop."

Ist es für Kunden gefährlich, bei einer Shoppingtour oder im Restaurant akustisch reizüberflutet zu werden? Der Mainzer Arbeits- und Sozialmediziner Stephan Letzel gibt Entwarnung. Für Kunden seien die Geräusche "höchstens lästig". Für die Mitarbeiter kann es hingegen gesundheitliche Folgen haben, wenn die Musik ohne Pause aus den Lautsprechern schallt. Ist es dauerhaft laut, könnten die Angestellten nur eingeschränkt mit Kollegen und Kunden kommunizieren und sich schlechter konzentrieren. Gleichzeitig steige ihr Stresslevel. "Umso wichtiger ist es, dass sich die Angestellten auch mal in einen ruhigen Raum zurückziehen können", sagt Letzel. Wenn die Beschallung nicht mal in der Mitarbeitertoilette aufhöre, laufe etwas schief.

Arbeitnehmervertreter fordern daher weniger Durchsagen, mehr Schalldämmung, regelmäßige Pausen und leisere Musik und Betriebsvereinbarungen, in denen all das festgelegt ist. Die Gewerkschaft Verdi rät Betriebsräten, die Arbeitgeber auf die gesetzlichen Regelungen hinzuweisen, wenn sie "die Musik in Richtung Disco-Lautstärke aufdrehen". Das Bundesarbeitsministerium hat kürzlich festgelegt, dass der Lärm in Geschäften im Einzelhandel 70 Dezibel (dbA) nicht überschreiten dürfe. Spielt ein Laden Musik und macht Durchsagen, müssen demnach bis zu sechs Dezibel abgezogen werden. Dieses Maximum von 64 Dezibel ist etwa so laut wie ein Fernseher in Zimmerlautstärke.

Tatsächlich sind auch die Musik-Gegner vom Verein Lautsprecheraus große Lautstärken gewöhnt. Viele Vereinsmitglieder sind Berufsmusiker, unterstützt werden sie etwa vom Dirigenten Justus Frantz und Opernsänger Christoph Prégardien, aber auch von Künstlern wie Nina Kronjäger und Dieter Hallervorden. Sie stören sich nicht nur am Dauerlärm, sondern auch an der oft mittelmäßigen Musikauswahl. Gerade kleinere Einzelhändler verfolgten oft kein klares Ziel, wenn sie im Geschäft Musik einsetzen, sagt Marketingprofessorin Imschloß. "Da läuft meist ein beliebiger Radiosender oder teilweise dürfen auch die Mitarbeiter nach ihrem persönlichen Geschmack die Musik aussuchen."

Mittlerweile versuchen immer mehr Restaurants, Händler und Hotels, Musik strategisch einzusetzen. Es gibt sogar eigene Unternehmen, die sie dabei beraten, wie sich Musik gezielt nutzen lässt, um keine Kunden zu vergrätzen und die Umsätze anzukurbeln. "Ins Bierzelt passt kein Techno", sagt Daniel Stoiber, Musikdirektor bei der Firma Ketchup Music aus München. Die Musik müsse zu Raum und Klientel passen. "Die Kunden nehmen bewusst wahr, ob Musik und Konzept stimmig sind."

Dieter Maier vom Verein Lautsprecher-aus hält dagegen. "Die Musik dient nur dem Geschäft, der Manipulation der Sinne". Gäste und Kunden würden aber nie gefragt, ob sie das auch wollen. Händler und Gastronomen sollten daher Rücksicht nehmen auf diejenigen, die keine Musik hören möchten. Die anderen hätten ja ihre Lieblingsmusik ohnehin per Smartphone und Kopfhörer dabei.

Ob das eine Lösung ist, die allen Seiten gefällt, ist allerdings fraglich. Denn was jemand als störend empfindet, hängt wesentlich davon ab, ob er gegen den eigenen Willen beschallt wird. Das ist bei jedem anders.

"Ist es in einem Restaurant total leise, fühlt man sich von den anderen Gästen eher belauscht."

Würden die Händler und Gastronomen auch laute Musik spielen, wenn die meisten Kunden damit ein Problem hätten? Stille sei meist auch keine Lösung, sagt Monika Imschloß. "Ist es in einem Restaurant total leise, fühlt man sich von den anderen Gästen eher belauscht und beobachtet", sagt sie. Im Supermarkt wiederum klinge es einfach nicht schön, wenn man nur das Piepen der Scannerkasse oder das Klimpern des Kleingelds hören würde.

Der Verein Lautsprecheraus fordert, dass jeder Geschäftsführer das Recht haben sollte, die Musik in seiner Filiale auszuschalten - Corporate Identity hin oder her. Doch in den meisten Fällen reicht es vermutlich, die Lautstärke einfach etwas herunterzustellen. So könnten Verantwortliche flexibel reagieren, auf Beschwerden von Kunden - und Mitarbeitern.

Zwar gibt es keine Studien, die belegen, dass jüngere Menschen von lauter Musik weniger genervt sind als ältere. Doch weil es eher die Jungen sind, die selbstverständlich den ganzen Tag Musik hören und abends durch die Clubs ziehen, ist die Musik in Geschäften mit junger Zielgruppe eher lauter. Wem es zu laut ist, den will ein Laden oder Lokal also womöglich gar nicht ansprechen. Als Kundin kann man auf dem Absatz kehrt machen, wenn man sich nicht willkommen fühlt. Als Mitarbeiter geht das nicht so einfach.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2019/lüü
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