Japan: Atomkatastrophe:Kommt die Munich Re mit diesem Schaden klar?

Der finanzielle Schaden bei der Naturkatastrophe in Japan hat eine bisher nicht gekannte Dimension erreicht. Mitten drin: die Munich Re. Kann der Rückversicherer das alles bezahlen?

Catherine Hoffmann

Torsten Jeworrek, 49, ist seit 2003 Mitglied des Vorstands der Munich Re. Er trägt die Verantwortung für das Kerngeschäft des Dax-Konzerns: die Rückversicherung. Seit dem Unglück in Japan steht das Telefon nicht still. Auch Jeworrek ist schockiert von den Fernsehbildern. Solange die Nuklearkatastrophe noch schwelt, fällt es ihm schwer, nüchtern die Schäden zu analysieren, die Erdbeben und Tsunami in Japan angerichtet haben. Aber genau das ist sein Job. Die Folge: Eine Gewinnwarnung.

Quartalszahlen Münchener Rück

Vorstand Jeworrek: "Wir haben vor allem die gewerblichen und industriellen Risiken versichert. Die privaten Wohngebäude in Japan sind größtenteils durch einen staatlichen Pool gedeckt, eine Rückversicherung im Ausland untersagt die japanische Regulierung."

(Foto: dpa)

SZ: Herr Jeworrek, Japan schätzt die Kosten der Naturkatastrophe auf 220 Milliarden Euro - ein Schaden ohne Beispiel?

Jeworrek: Dies wäre der höchste ökonomische Schaden, der jemals bei einer Naturkatastrophe entstanden ist. Dies trifft aber nicht auf den versicherten Schaden zu. Da gab es nach jetzigem Stand mit dem Hurrikan Katrina und dem Angriff auf das World Trade Center höhere Versicherungsschäden.

SZ: Wie viel der Kosten trägt die Munich Re?

Jeworrek: Seriöserweise kann man im Moment nur grobe Schätzungen geben. Wir nutzen unsere Erdbebenmodelle und kalkulieren damit die von uns gegebenen Versicherungdeckungen in den betroffenen Gebieten. Da kommen wir auf etwa 1,5 Milliarden Euro. Was noch fehlt, sind Schadensmeldungen unserer Kunden, von denen haben wir noch keine Information bekommen.

SZ: Wo entstehen dem Unternehmen die größten Schäden?

Jeworrek: Wir haben vor allem die gewerblichen und industriellen Risiken versichert. Die privaten Wohngebäude in Japan sind größtenteils durch einen staatlichen Pool gedeckt, eine Rückversicherung im Ausland untersagt die japanische Regulierung.

SZ: Wie schlimm werden die Folgen für Japans Wirtschaft sein?

Jeworrek: Die ökonomischen Folgen für das Land und die Weltwirtschaft hängen noch mehr von dem Ausgang des Atomunglücks ab als von Erdbeben und Tsunami. Ginge es "nur" um diese beiden, wären die Folgen für Japan und erst recht die Weltwirtschaft beschränkt. Kommt es aber zum Super-Gau, kann man durchaus gravierender werden, insbesondere wenn auch Tokio betroffen wäre. Aber erfahrungsgemäß erholen sich entwickelte Industrien wie Japan relativ schnell von Naturkatastrophen, selbst bei schwerwiegenden Ereignissen. Der Wiederaufbau sorgt sogar für Aufträge, die Wirtschaft kommt in Schwung, natürlich auf Pump.

SZ: Kann Munich Re die Folgen von Japan mühelos verkraften?

Jeworrek: Ohne Zweifel. Das ist für uns zwar ein finanziell großes Ereignis, einer der größten Schäden überhaupt. Aber genau dafür sind wir da. Wir kalkulieren Extremereignisse sehr scharf und unser Risikomanagement sorgt dafür, dass die Haftung strikt limitiert und an unsere Finanzkraft gekoppelt ist. Wir hätten auch einen Worst Case, wenn es Tokio schwer getroffen hätte, ohne Probleme überstanden.

SZ: Aber ihr Jahresziel von 2,4 Milliarden Euro Gewinn haben sie kassiert.

Jeworrek: Das Ziel basierte auf der üblichen Annahme eines normalen Verlaufs der Katastrophenschäden, auf die im langfristigen Mittel rund eine Milliarde Euro entfallen. Nun müssen wir im ersten Quartal mehr als 2,5 Milliarden Euro vor Steuern verkraften: Zum Erdbeben in Japan kommen die Flut in Brisbane, der Zyklon Yasi und das Beben in Neuseeland, die uns 1,1 Milliarden Euro kosten werden.

SZ: Sind sie auch in Zukunft bereit, solche Risiken zu tragen wie in Japan?

Jeworrek: Wir fangen nicht an neu zu rechnen, sonst hätten wir unser Hausaufgaben nicht gemacht. Dieses Ereignis ist zwar schlimm, aber nicht so schlimm wie wir es für extreme Fälle erwarten. Deshalb ist unsere Risikobereitschaft unverändert.

SZ: Wie wirken sich die hohen Schäden auf die Prämien aus, die ihre Kunden zahlen müssen?

Jeworrek: Für gewöhnlich erhöhen sich die Preise im lokalen Markt nach solchen Ereignissen, oft auch im globalen Geschäft. So war es jedenfalls in der Vergangenheit. Hinzu kommt: Das Erdbeben im Norden Japans hat etwas weiter im Süden höhere Spannungen der Erdplatten ausgelöst. Wir müssen deshalb damit rechnen, dass es in den kommenden Monaten und Jahren zu weiteren Erdbeben kommt. Es ist natürlich vollkommen unklar, wann und in welcher Schwere diese passieren können.

SZ: Müssen Sie als Rückversicherer einen Super-GAU fürchten?

Jeworrek: Als Menschen müssen wir das fürchten, als Rückversicherer weniger. Die Atomrisiken sind fast überall in Atompools versichert, an denen die private Versicherungswirtschaft einen gewissen Anteil hat. In Japan deckt der Pool aber keine Erdbeben- und Tsunamirisiken. Es ist weltweit so: Die atomaren Gefahren, egal ob Schäden an Kraftwerken oder die Haftpflichtrisiken infolge von Strahlungsunfällen, sind vor allem durch den Staat gedeckt. Die private Versicherungswirtschaft haftet hier kaum.

SZ: Was sind die wahren Kosten der Atomenergie?

Jeworrek: Das ist schwer zu beantworten: Das eine sind die Kosten eines schweren Unfalls. Das andere ist die Endlagerung.

SZ: Müssen Industriegesellschaften neu darüber nachdenken, wie viel Risiken sie sich zumuten wollen?

Jeworrek: Man kann darüber diskutieren, wie groß die Risikoneigung einer Gesellschaft ist. Das ist aber keine Frage der Mathematik, sondern am Ende eine subjektive Sache. Dabei gibt es kein richtig oder falsch. Was die Atomkraft angeht, die wir als Brückentechnologie betrachten, müssen wir eine Güterabwägung vornehmen: Wollen wir zuerst die Atommeiler ersetzen, aber mit fossilen Energien zum Klimawandel beitragen? Oder wollen wir erst fossile Kraftwerke durch erneuerbare Energien ersetzen und damit dem Klima etwas Gutes tun - und müssen dann aber auch eine gewisse Laufzeit der Atomkraftwerke in Kauf nehmen? Und schließlich müssen wir die Kosten ins Kalkül ziehen. Auf jeden Fall plädiere ich dafür, etwas mehr Ruhe in die Diskussion zu bringen.

SZ: Trifft der Eindruck zu, dass die Welt immer riskanter wird?

Jeworrek: Unter dem psychologischen Druck von Katastrophen sieht es so aus, als ob sich die Unglücksfälle häufen. Vermutlich ist das aber Zufall. Erdbeben gibt es schon seit Millionen von Jahren. Was sich aber ändert, sind ihre Folgen.

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